Festnahmen nach linksextremen Drohschreiben: Das Ende der Mieze

Ein Stuttgarter Paar soll Drohschreiben an PolitikerInnen verschickt haben. Ihre Biographie überrascht: Sie waren Teil der ÖDP, traten im Internet offen auf.

Brandanschlag auf das Gebäude der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung durch die RAZ 2011

Brandanschlag der RAZ auf die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Jahr 2011 Foto: Björn Kietzmann

STUTTGART/BERLIN taz | Guido Klamt ist noch immer fassungslos. „Die Nachricht hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt der baden-württembergische Landeschef der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Seine beiden ParteikollegInnen seien immer nett und hilfsbereit gewesen. Mit Stefanie C. (Name geändert*) habe er sogar mal über extremistische Gewalt gesprochen, erinnert sich Klamt. „Wir waren einer Meinung, dass die ÖDP damit nichts zu tun hat.“

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Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat ein anderes Bild von Stefanie C. und ihrem Partner Dirk R.. Am Freitag ließ sie die 39-Jährige und den 38-Jährigen in einer Berliner Wohnung festnehmen, gleichzeitig wurden drei Wohnungen in Stuttgart durchsucht. ErmittlerInnen rückten auch beim Bezirksrathaus Bad Cannstatt an. Der Vorwurf: Das Paar soll unter dem Alias „MIlitantE ZellE (Mieze)“ dutzende linksextreme Drohschreiben an MinisterInnen, PolitikerInnen oder Behörden verschickt haben, teils mit beigelegten Platzpatronen, Messern oder Grillanzündern.

Dazu kommt ein versuchter Brandanschlag auf die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg am 2. August. Der Brandsatz zündete nicht richtig, es entstand kein größerer Schaden. Auch sollen die Festgenommenen Ende August einen unangezündeten Brandsatz vor das Haus von Fleischfabrikant Clemens Tönnies im Landkreis Gütersloh gelegt haben.

Drohschreiben mit RAF-Referenz

Die Serie begann Ende Dezember 2019 mit Briefen samt Reizstoffpatronen an die umweltpolitischen SprecherInnen der Bundestagsfraktionen. Da sie nichts gegen „Ausbeutung, Faschismus, Gentrifizierung, Ignoranz gegenüber Klimaprobleme“ täten, sei dies eine „Warnung“, hieß es darin. Zitiert wurde auch der frühere RAF-Terrorist Holger Meins, „unser verstorbener Genosse“, mit den Worten: „Entweder du bist Lösung, oder Problem.“

Danach folgten vier weitere Wellen von Schreiben unter anderem an Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann oder Bundesinnenminister Horst Seehofer. Der letzte Schwung erfolgte laut Spiegel im Oktober, diesmal mit Schreiben an Nahverkehrsunternehmen in Stuttgart, Berlin und Köln, in denen gefordert wurde, Schwarzfahrer nicht mehr zu bestrafen.

Die Verfasser knüpften mit ihren Schreiben explizit an eine Drohserie an, die bereits ab 2009 unter dem Alias „Revolutionäre Aktionszellen“ (RAZ) verübt wurde. Auch damals wurden Schreiben mit Patronen an PolitikerInnen verschickt, darunter an den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich – als Teil des „sozial-revolutionären Widerstandes“ oder als erklärte Antwort auf „Repressionsschläge“ durch den Staat. Zudem bekannte sich die Gruppe zu Brandanschlägen mit Gaskartuschen in Berlin und Göttingen, auf Gerichte oder das Bundesverwaltungsamt. Die Aktionen endeten 2011. Die „Mieze“-VerfasserInnen erklärten in ihrem ersten Bekennerschreiben nun die „kreative Pause“ der RAZ für beendet und benannten sich als Handelnde „im Kollektiv“ mit der Gruppe.

Bundesanwaltschaft sieht keine weiteren Täter

Zu der ersten RAZ-Drohserie ermittelt die Bundesanwaltschaft bereits seit Jahren erfolglos, trotz einer größeren Razzia 2013. Auch zu den neuen Schreiben übernahm die Behörde zunächst die Ermittlungen. Nach taz-Informationen kamen die ErmittlerInnen Stefanie C. und Dirk R. wegen Videoaufnahmen am Tatort in Nürnberg und DNA-Spuren an Drohschreiben und einem der Brandsätze auf die Spur. Weitere MittäterInnen sieht die Bundesanwaltschaft jedoch nicht und damit auch keine terroristische Vereinigung, wie anfangs vermutet. Sie übergab die Ermittlungen deshalb kurz vor den Festnahmen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe lauten nun auf versuchte Nötigung und versuchte Brandstiftung.

Die Union beglückwünschte die ErmittlerInnen. „Die Festnahmen zeigen: Der Linksextremismus in unserem Land wird radikaler“, erklärte CDU-Innenexperte Thorsten Frei. Der Rechtsstaat müsse darauf „eine starke Antwort“ geben.

Aber es bleiben Fragezeichen, nicht nur für die ÖDP. Noch am Freitagabend verschickte die Partei eine Erklärung, in der sie einräumte, dass die beiden Festgenommenen Mitglieder der ÖDP seien. Das Paar sei aber nie durch Gewalt oder entsprechende Aufrufe aufgefallen. „Beides wird in der ÖDP auf keinen Fall toleriert.“ Bundeschef Christian Rechholz äußerte sich „entsetzt über die Gefahren, denen betroffene Politiker und Behördenmitarbeiter ausgesetzt waren“. Die Parteimitgliedschaft der Festgenommenen ruhe nun. Bestätige sich der Tatverdacht, erfolge der sofortige Ausschluss.

Aber klar scheint auch: Zum harten Kern klandestin-militanter Autonomer gehören die Festgenommenen wohl nicht. Und auch ob sie mit den ersten RAZ-Aktionen zu tun haben, ist sehr fraglich.

Aktives Engagement in der ÖDP

Ein Engagement dieses Klientels in der ÖDP war bisher jedenfalls nicht bekannt. Und die Festgenommenen waren in der Partei keine Mitläufer: Dirk R. saß in Stuttgart im Bezirksbeirat Bad Cannstadt, Stefanie C. ließ sich im Sommer gar in den Landesvorstand der ÖDP wählen. Beide arbeiteten als Kundenbetreuer im Personenverkehr, pflegten offene Facebookprofile. Dirk R. veröffentlichte vor zwei Jahren unter vollem Namen Berichte, wie er sich an den Protesten im Hambacher Forst beteiligte.

Auch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft erklärt, dass das Paar bisher nicht als LinksextremistInnen aufgefallen sei. Offenbar auch nicht in Verbindung zur ersten RAZ-Serie. Tatsächlich unterscheiden sich die damaligen Schreiben im Duktus von den jüngsten der „Mieze“. Auch erfolgten diesmal weit mehr Briefe in vergleichsweise kurzer Zeit, teils auch an ein anderes AdressatInnenspektrum, nun verstärkt aus dem Umweltbereich. Und: Die ersten Täter agierten weit professioneller, hinterließen keine Spuren bei ihren Taten.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang warnte zuletzt bereits vor einer neuen Radikalisierung im Linksextremismus. Vor allem in Leipzig, Berlin und Hamburg werde linke Gewalt „enthemmter“, direkte Angriffe auf Personen seien in der Szene kein Tabu mehr. Jedoch: Festnahmen gelingen der Polizei fast nie. Nur in Baden-Württemberg verhafteten sie zuletzt einen 21-Jährigen nach einem Angriff auf einen rechten Gewerkschafter. In Sachsen wurden zwei Männer nach einem Brandanschlag in Rodewisch festgenommen. Die Beweislage ist hier aber wackelig.

„Ein bisschen spinnert“

Auf die nun erfolgten Festnahmen der Stuttgarter reagierte deren Umfeld überrascht. „Unerklärlich“ sei der Fall, das Paar sei nicht negativ aufgefallen, hieß es aus der Stuttgarter ÖDP. Ein Mitglied aus der Fraktion verschiedener linker Parteien im Bezirksbeirat, in dem Dirk R. saß, sagte, der 38-Jährige sei ihm zwar „schon ein bisschen spinnert“ vorgekommen, solche Taten hätte er ihm aber nicht zugetraut. Er selbst habe Dirk R. aber seit Monaten nicht mehr in der Fraktion gesehen. Man habe deshalb seinen Rückzug gewollt, R. aber nicht mehr erreicht.

Laut Stuttgarter Staatsanwaltschaft waren Dirk R. und Stefanie C. zuletzt ohne festen Wohnsitz. Zumindest Stefanie C. aber schrieb noch bis in den Oktober hinein auf ihrem Facebookprofil, kritisierte dort die Stuttgarter Grünen für ihre Wohnungspolitik oder rief zu einer Kundgebung gegen SUVs auf. Zuletzt erschien im Internet von einer Person gleichen Namens auch ein „Augenzeugenbericht“ zu den Berliner Protesten gegen die Räumung des Hausprojekts Liebig 34. Sie habe dort mit ihrem Verlobten teilgenommen und „provozierende Bullen“ erlebt, schreibt die Autorin. Die „Linksextremisten“ seien dagegen „nicht einfach so gewaltbereit“ gewesen.

Ein solcher Beitrag mit voller Namensnennung entspricht indes ebenfalls nicht dem sonstigen Vorgehen verschwiegener Autonomer. Tatsächlich blieb in der linken Szene nach den Festnahmen am Freitag vorerst Solidarität aus. Dort reagierte man mit: Schweigen.

*Name geändert, der Redaktion bekannt

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