Festival und Messe "Jazzahead" in Bremen: "Montreux an der Weser"

Die Bremer Messe hat sich zu einem der wichtigsten Events der internationalen Jazzszene gemausert. Sie dient als Handelsplattform und Treffpunkt.

Jazz wird nicht nur von alten Männern gespielt: Die Künstlerin Maria Markesini auf der Jazzahead in Bremen. Bild: dapd

BREMEN taz | 42 Stunden Anreise für 45 Minuten Konzert – die australische Jazzband Trichotomy hat einiges an Strapazen auf sich genommen, um am Eröffnungsabend der diesjährigen Jazzahead in Bremen ein einziges Konzert zu spielen. Auch andere Bands aus Übersee, aus halb Europa und der Türkei sind weit gereist, um sich bei der weltweit einzigen reinen Jazz-Fachmesse mit angeschlossenem Festival und Fachkonferenz per Kurzkonzert zu präsentieren.

Die Jazzahead hat sich in den vergangenen fünf Jahren zum Durchlauferhitzer der internationalen Jazzszene gemausert. Vier Tage lang treffen sich Agenten und Produzenten, Label- und Vertriebsmenschen, Journalisten und Musiker - ein Paradies für Netzwerker. 357 Aussteller aus 30 Ländern waren es zur sechsten Ausgabe im zweckmäßig schlichten Bremer Congress Centre, angefangen hatte man dort 2006 mit 80 Ständen.

"Bisher war der Jazz angedockt an andere große Messen wie die Midem in Cannes oder die Popkomm in Berlin. Man war ein bisschen fünftes Rad am Wagen. Die internationale Jazzszene brauchte aber eine eigene Handelsplattform und einen gemeinsamen Treffpunkt", erklärt der Trompeter Ulrich Beckerhoff, künstlerischer Leiter der Jazzahead, die große Anerkennung beim Fachpublikum. Die zwischenzeitlichen Überlegungen, die Messe als Biennale im Wechsel mit Linz zu veranstalten sind längst vom Tisch, mit Spanien steht das Partnerland für die Jazzahead 2012 bereits fest.

Aufbruchstimmung macht sich bemerkbar

Die Aufbruchstimmung macht sich auch optisch bemerkbar. Das Giftgrün der Tragetaschen für die Akkreditierten, prall gefüllt mit Programm, Broschüren und Promo-CDs, ist die Signalfarbe der Veranstaltung, die nicht nur den graumeliert-gesetzten Jazzhörer erreichen soll, sondern auch ein junges Publikum jenseits von intellektueller Rotweinglückseligkeit. Mit einer Clubnight hat sich die Jazzahead in diesem Jahr erstmals krakenartig in der ganzen Stadt ausgebreitet.

Es gibt das Mitmachprogramm "Jazz for Kids an Teens", sowie iPhone-App und Podcast mit dem Festivalplaner zum Download. Als letztes der insgesamt 65 Konzerte spielte am Sonntag der türkische Hochgeschwindigkeitsrapper Ceza, bekannt nicht nur wegen seiner zehn Millionen You Tube-Zugriffe, sondern auch aus Fatih Akins Istanbuler Musikdokumentation "Crossing the bridge".

Türkei und Rap bei einer Jazzmesse? Der erstmals gesetzte Hot Spot eines Länderschwerpunkts und die stilistische Öffnung stehen stellvertretend für ein weiter gefasstes Verständnis von Jazz. Sicher nicht umsonst hat die Jazzahead mit Claude Nobs, dem Gründer des Montreux Jazz Festivals, einen musikalischen Grenzgänger mit dem diesjährigen Skoda-Award geehrt. Peter Schulze, künstlerischer Berater des Festivals, spricht auch nicht mehr nur von Jazz, sondern von allgemein von "improvisierter Musik". Die Türkei, sagt er, sei zwar nicht unbedingt das erste Land, das man gemeinhin mit Jazz verbindet. „Der Ragtime aber wird von Musikhistorikern als Meilenstein der Jazzgeschichte verstanden. Und die 'Rags' sind etymologisch und musikalisch in der orientalischen Bauchtanz-Musik verwurzelt", erklärt der Musikjournalist.

Umjubelter Auftritt der türkischen Pop-Diva Sezen Aksü

Dass es zumindest in Istanbul um den dortigen Club „Babylon“ eine vibrierende Szene um Jazz und improvisierte Musik gibt, zeigten die Konzerte der türkischen Bands, die zum besten des diesjährigen Festivals gehörten. Der umjubelte Auftritt der türkischen Pop-Diva Sezen Aksü im edlen Ambiente des Konzerthauses Glocke im Bremer Stadtzentrum als einzigem abendfüllendem Konzert war ein atmosphärischer Höhepunkt zwischen orientalischer Folklore, Weltmusik und Jazz als süßem Beiwerk. Von intimer, elektrisierender Spannung war das improvisierende Duett mit dem altehrwürdigen Gitarristen und Saz-Spieler Erkan Ogur und Derja Turkan an der dreisaitigen Schoßgeige bei der "Turkish Night" im Veranstaltungszentrum Schlachthof.

Auch wenn in Bremen schon mal vom "Montreux an der Weser" die Rede ist, im Gegensatz zu dem Schweizer Mega-Event sind die großen Namen der vergangenen Jazzahead-Jahre wie John Scofield, Joe Zawinul oder John McLaughlin weitestgehend aus dem Programm verschwunden, auch aus Geldmangel. Deshalb und weil die gestiegene Zahl der Fachbesucher möglichst viele Bands zur möglichen Verpflichtung für Aufnahmen oder Konzerte sehen will, setzt man schon seit Längerem auf halbstündige Showcase-Konzerte mit deutschen und europäischen Bands.

Ein jazzuntypisches Konzept, kurz und knapp, anfangs kritisch beäugt, inzwischen ein Herzstück des Festivals. Einige Highlights: Der Kölner Trompeter Frederik Köster mit Brüchen zwischen Rock und Hardbop, der vielfarbig schillernde Tanzsound der französischen Großband um Jean-Marie Machado & Danzas oder das fast traditionell daherkommende, aber unglaubliche dicht und perkussiv brodelnde Rafael Zaldivar Pianotrio aus Kanada bei der Overseas Night. „Kein billiger Appetithappen, sondern Fokussierung“, sagt Peter Schulze, "denn eine Band, die mich nach 30 Minuten nicht interessiert, interessiert mich auch nach einer Stunde nicht." Eine Popularisierung des Jazz im positiven Sinne.

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