Festival für Experimentelles: Abenteuerausflug für die Ohren
Stimmattacken und mächtige Klangwogen: Wieder gibt es vielfach sortierte Experimentalmusiken beim Berliner Festival A l’arme! zu hören.
Schönes Wetter, blauer Himmel, ein paar Handbreit nebenan die träge sich räkelnde Spree … und was sich so vielleicht als Postkartenbeschreibung eines sommerlichen Urlaubstages liest, war doch der Auftakt zu einem durchaus dem Lärm verpflichteten Avantgardemusikfestival.
Aber es kann ja mal beides zusammengehen, Urlaubsstimmung und Lärmmusik, die allerdings bei den DJ-Sets zum Kick-off des Festivals A l’arme! am Mittwochabend im Biergarten Zenner schon milder gestimmt war und lautstärkemäßig heruntergedimmt. Weil hier halt doch ein Biergarten bespielt wurde, wer wollte, konnte Käsespätzle oder Trüffelpesto zur Musik oder eher zum Getränk zu sich nehmen, hier und da spielte man, die Hände hoch, Sitzbankrave. Noch charmanter aber wäre es vielleicht gewesen, an diesem Ort, dem Biergarten, eine Dixiekapelle zum „a l’arme!“ blasen zu lassen, die so mit dem Verweis auf die Anfänge des Jazz sich auch mit der Festivalgeschichte verknüpft hätte.
Das „A l'arme!“-Festival 2021 steht nach der Coronapause vergangenes Jahr unter dem Motto „Back to Life“ und dauert im Berliner Radialsystem, Holzmarktstraße 33, noch bis Samstag, 31. Juli.
Denn am Anfang widmete sich das von dem Berliner Musiker Louis Rastig konzipierte Festival vor allem dem Free Jazz, bei der ersten Ausgabe 2012 stand durchaus programmatisch mit Peter Brötzmann so ein Leuchtturm des freien Spiels auf dem Programm, um sich von diesem Schwergewichtsjazz aus dann in Folge interessiert in die unterschiedlichsten Richtungen umzuhorchen, bei allen Arten von Freistil- und Experimentalmusiken.
Das war auch als eine abwechslungsreich gestaffelte Übersicht am Donnerstag spreeabwärts beim ersten „richtigen“ Festivaltag zu hören, wo man sich zwar kurz fragen mochte, ob so ein Biergarten als Konzerthaltungsform nicht doch angenehmer ist als das schwüle Dunkel, in das man nun im Radialsystem gesteckt wurde.
Zwischen Improvisationsästhetik und Neuer Musik torkeln
Wo man aber halt weniger abgelenkt werden konnte von der Musik, und dass Avantgarde nicht unbedingt immer zu einem unbeschwerten Urlaubstag taugt, demonstrierte gleich die brasilianische Performerin Marcela Lucatelli, deren schreikindige Stimmakrobatik bestens zu einem hechelnd überdrehten Zeichentrickfilm gepasst hätte. Und mit diesem heftigen Aerosolregen hörte man diese Attacken auch noch mal anders als in vorpandemischen Zeiten.
Die Band Skultura im Anschluss ließ die Musik hübsch unentschieden zwischen Improvisationsästhetik und Neuer Musik torkeln, gönnte sich zwischendurch ein paar Soundekstasen und konnte als Alleinstellungsmerkmal darauf verweisen, dass hier auch ein Banjo traktiert wurde, ein Instrument, das in diesen musikalischen Kreisen sonst wirklich kaum mal zu sehen ist. Gespielt (also attackiert, betrommelt oder sonst wie klangerzeugend ausgenutzt) wurde es von dem Bassisten Nick Dunston aus New York, der erst vor wenigen Monaten nach Berlin gezogen ist. Was Skultura, die Band wurde von Dunston zusammengestellt, zu einem weiteren schönen Beispiel dafür macht, dass man in dieser Stadt so bunt zusammengewürfelt – die türkische Sängerin Ayşe Cansu Tanrıkulu, der Saxofonist und Klarinettist Eldar Tsalikov aus Russland und die amerikanische Keyboarderin Liz Kosack – doch immer irgendwie gemeinsam einen sich interessant hörenden Weg findet.
Zum Schluss des Abends durfte man in den satt schwappenden und versiert in Bewegung gebrachten Klangwogen eines Trios um Stephen O’Malley vibrieren, dem Gitarristen der bei Lärmexperten sehr geschätzten Dröhnband Sunn O))). Multiinstrumentalist Oren Ambarchi ließ es lustvoll klirren, Will Guthrie trommelte in strenger Heftigkeit, O’Malley gab die Dröhngitarre: ein Lehrstück über die Erhabenheit des Lärms.
Was man mit O’Malley ein weiteres Mal erleben darf am Samstag beim „A l’arme!“-Abschlusstag, wo es dazu unter anderem noch psychedelischen Rock mit Karkhana zu hören gibt und etwas Akkordeonirrwitz mit Zbigniew Chojnacki.
Nicht unbedingt Urlaub, mehr so ein Abenteuerausflug für die Ohren. A l’arme eben.
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