Festival „Zoo 3000 – Occupy Species“: Der Esel, der nicht will
Das Festival „Zoo 3000 – Occupy Species“ auf Kampnagel in Hamburg widmet sich dem komplexen Verhältnis von Mensch und Tier.
Dass nicht nur die Boulevard-Presse zum Auftakt des Hamburger Live Art Festivals auf Kampnagel einen Skandal wittern würde, war beabsichtigt. „Abscheulich und menschenverachtend“ sei die Installation „Human Zoo“ der Wiener Gruppe God's Entertainment, die dort aufgebaut sei, zitiert die Bild-Zeitung etwa den sozialpolitischen Sprecher der CSU-Landesgruppe Max Straubinger. Und die Hamburger Morgenpost fragt: Kunst oder „perverse Idee“?
Eine Reihe gesellschaftlicher Stereotype über „menschliche Randgruppen“ ist hier in Käfigen ausgestellt, dargestellt von davon tatsächlich Betroffenen: Eine Hartz-IV-Familie mit Steckie-Zigaretten am Küchentisch, ein Frührentner vor dem Fernseher. Ein Asylbewerber, direkt daneben der böse tätowierte Neonazi. Man habe sich viel Mühe gegeben, die „Spezies“ in ihren natürlichen Habitaten zu präsentieren, erfährt man in der Führung. Und bekommt auf Tafeln Infos über Lebensraum oder Nahrungsgewohnheiten. Füttern kann man die Ausgestellten mit Schokoriegeln aus dem Zoo-Kiosk.
Angelehnt ist die Inszenierung an die „anthropologisch-zoologischen“ Völkerschauen, deren erfolgreichster Ausrichter eben der Hamburger Erfinder des naturalistischen Freigeheges Carl Hagenbeck war. Bei den Zuschauern ruft sie Befremden hervor: Kurze beschämte Blicke auf die Exponate, zu den von manch Ausgestellten erhofften Gesprächen kommt es nicht. Und auch von der dahinter steckenden „zoopolitischen These“ erfährt man nichts: Kontroll- und Ordnungsmechanismen erfahren einen Transfer von Tier zu Mensch.
Der Animal Turn
Denn unter dem Titel „Zoo 3000 – Occupy Species“ widmet sich das diesjährige Live Art Festival dem Verhältnis von Tier und Mensch. Hintergrund ist jener „Animal Turn“, der in den letzten Jahren mit Human-Animal Studies, Animal Studies, Posthumanismus, Anthro- oder Archäozoologie eigene Perspektiven und Wissenschaftszweige entwickelt hat und zunehmend auch in künstlerische Arbeiten Einzug hält.
Zahm aber war, was da außer dem Menschen-Zoo bislang zu sehen war. Beeindruckend zwar, wie der papuanische Choreograf Jecko Siempro in seinem Stück „In Front of Papua“ den Mensch in Beziehung zum Raum und zu den meist als „primitiv“ dargestellten rituellen Tänzen der Papua-Kultur stellte. Eine verblüffende Tanzsprache kommt da heraus, die ebenso weltgewandt wie unverkopft mit der Ambivalenz ihrer Wahrnehmung spielt. Wird hier gerade ein Tier imitiert? Eine Geschichte erzählt? Eine menschliche Beziehung analysiert? Pop-Kultur zitiert? Oder Klamauk gemacht?
Rituelle Verwandlung
Zähflüssig blieb hingegen, was die Künstlerin Corinna Korth in ihrer Lecture Performance als performative Forschung ihres Instituts für Hybridforschung präsentierte: Ein Videotagebuch einer rituellen Verwandlung in einen Werwolf. Und am Ende steht man in Weihrauch gehüllt einem Einhorn gegenüber: langweilig.
Auch die Performance „Balthazar“ von David Weber-Krebs und Maximilian Haas konnte nicht überzeugen. Auf der Bühne stehen in dieser Untersuchung von Phänomenen des Passiven – Ding, Tier, Mensch – ein zotteliger Esel und zwei menschliche Performer. Eine Choreografie gibt es nicht, das Tier allein soll die Taktiken des Abends bestimmen. Der zottelige Performer aber will offenbar die Bühne verlassen, das hätte spannend werden können. Daran wird er dann doch gehindert.
Noch bis Sonntag wird das Mensch-Tier-Verhältnis auf Kampnagel untersucht. Zum Abschluss hat der Wiener Philosoph Fahim Amir internationale DenkerInnen zur „Explodierten Universität“ geladen, um sich über Tiersouveränitäten oder die Möglichkeiten einer Transspeziessolidarität auseinanderzusetzen. Denn Höhepunkt soll im Anschluss eine „Lange Nacht der Befreiung“ sein, in der Hamburger Performance-Künstler auf dem ganzen Gelände Arbeiten zum Thema Tier- und Mensch-Befreiung präsentieren. Aus den Käfigen befreit werden dann auch die menschlichen Zooexponate.
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