Festival-Veranstalter Helge Nickel: "Der Blues hat ein Problem"
Obwohl Blues nicht mehr so viel gehört wird, hat das dem Blues-Baltica-Festival in Eutin nicht geschadet: Es ist das größte Festival seiner Art in Deutschland. Veranstalter Helge Nickel über große Namen, junge Hoffnungen - und warum der Eintritt nach wie vor frei ist.
taz: Herr Nickel, der Blues hat ein Imageproblem. Manche Leute denken beim Schlagwort "Blues" an ältere Männer mit Bauchansatz, die ein noch älteres Bluesschema runterschrammeln. Sie aber nennen Ihr Blues-Festival "Young and Fresh". Was haben Sie sich dabei gedacht?
Helge Nickel: Der Blues ist die Mutter aller modernen Musikrichtungen, mit Ausnahme derer, die auf Folklore basieren. Ohne Blues gäbe es keinen Jazz, aber auch keinen RocknRoll, Rock, Metal, Hip-Hop, Rave. Alles, was wir heutzutage im Radio hören, basiert auf dem Blues. Er hat sich immer weiterentwickelt.
Bekommen die Besucher des Blues-Baltica-Festivals also alles zu hören, nur keinen traditionellen Blues?
Nein. Wir starten meistens mit traditionellem Blues, weil das eine schöne Zuhör-Musik ist für den Nachmittag. Dann werden die Stile moderner. Die JW Jones Band aus Kanada zum Beispiel macht knallharten Bluesrock. Außerdem haben wir viele junge Bands eingeladen. Das "Young" im Titel bezieht sich nicht nur auf die jüngeren Formen des Blues, sondern auch auf das Alter der Musiker. Marquise Knox, die Nachwuchshoffnung, die wir extra aus Amerika einfliegen, ist gerade 18 Jahre alt.
Woher kommt das Image-Problem, das der Blues hat?
In den 70er und 80er Jahren wurden Musiker wie B. B. King oder Muddy Waters in die Fernsehshows eingeladen und im Radio gespielt. Die Öffentlichkeit war auf diese großen Namen fixiert. Diese Stars haben einen übergroßen Namen entwickelt, so dass die zweite Reihe, die gar nicht schlecht ist, nicht mehr populär wurde.Wenn dann die alten sterben, geht die Medienpräsenz zurück. Irgendwann bleibt dann nur so ein blödes Klischee übrig. Und das betrifft nicht nur den Blues: Auch die klassische Musik und ganz schlimm der Jazz haben Probleme in der breiten Masse.
Das Blues-Baltica-Festival in Eutin wurde 1988 gegründet, weil für ein Folklore-Festival das Geld nicht reichte.
Mit über 15.000 Besuchern an vier Tagen ist es mittlerweile das größte Blues-Festival in Deutschland.
Vom 21. bis 24. Mai werden insgesamt 24 Programmpunkte mit über 60 Musikern auf dem Eutiner Marktplatz und in der Alten Mühle angeboten.
Highlights sind die JW Jones Band aus Kanada, die Sharpnotes aus Schweden, Big Dez aus Frankreich und Margit Bakken aus Norwegen.
Der Eintritt ist frei.
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ist Inhaber der Veranstaltungsagentur "Kreativ+Konkret" und organisiert seit 21 Jahren das Blues-Festival.
Was lässt sich dagegen tun?
In den USA hat die Blues Foundation das Projekt "Blues at School" aufgelegt. Das machen wir in Eutin seit drei Jahren auch. Wir gehen mit unseren Künstlern an die Schulen, um die Schüler direkt anzusprechen. Wir wollen ihnen ihre Hip-Hop- und Rave-Musik gar nicht ausreden. Wichtig ist, dass sie eine Idee davon bekommen, dass es nochmal etwas anderes gibt.
Gibt es im Blues eine Avantgarde?
Nein. Der Blues hat ein Problem, das sich zum Beispiel am Soul zeigt. Der Soul hat anfangs Soul-Blues geheißen. Das war den Leuten aber zu lang und deswegen haben Sie das Wort "Blues" einfach weggenommen. Ein berühmtes Beispiel ist auch der Rhythm and Blues. Ray Charles hat dafür das Label "R & B" entwickelt. Es gibt heutzutage bei den Grammy Awards immer noch den R & B-Preis, aber der hat nichts mehr mit Blues zu tun. Das hat dem Blues geschadet. Deshalb ist alles, was an Weiterentwicklung beim Blues stattgefunden hat, dem Publikum heutzutage nicht mehr bewusst.
Beim Blues-Baltica-Festival präsentieren Sie vier Tage lang Szenegrößen aus den USA und Europa und das alles bei freiem Eintritt. Warum?
Die Leute würden keine dreißig Euro für ein Konzert zahlen, bei dem sie keine Idee davon haben, welche Musik sie erwartet. Die Schwelle, Eintritt zu bezahlen, nehmen wir weg. Wir wollen, dass die Leute aus Neugier vorbeikommen und feststellen, dass der Blues nicht nur der arme schwarze Gitarrist ist, der vor sich hinheult, wie schlecht das Leben ist. Sondern dass der Blues auch eine lebensbejahende Musik ist.
Wie machen Sie das mit der Finanzierung?
Wir haben die üblichen Festival-Stände, die zahlen Standmieten. Wir haben Sponsoren. Und wir laufen mit Spendendosen rum: Es ist erstaunlich, wie viel Geld dabei teilweise zusammen kommt.
Das Blues-Baltica-Festival hat sich zum größten Bluesfestival in Deutschland entwickelt. Seltsam eigentlich: Die Amerikaner waren nach dem zweiten Weltkrieg ja im Süden stationiert. Dort müsste es eigentlich eine stärkere Blues-Tradition geben als im Norden.
Ich vermute, dass das nach dem Krieg auch so gewesen ist. Die Swing- und Jazz-Szene war sehr eng gebunden an die amerikanische Präsenz. Nur: Seitdem sind 50, 60 Jahre ins Land gegangen. Und die Musik ist damals über die Radios überall populär geworden.
Ist der Blues noch eine amerikanische Angelegenheit?
Die Blues Foundation in USA hat erkannt, dass der Blues in Amerika im eigenen Saft kocht. Sie ist seit einigen Jahren dabei, sich nach Europa zu öffnen. Die haben die Europäer angestoßen, eine europäische Blues-Union zu gründen. Wir werden uns dieses Jahr in Spanien treffen und dort wird sich die Europäische Blues-Union wohl auch konstituieren. Der Anstoß kam aus den USA, obwohl die Amerikaner selten etwas freiwillig abgeben und sehr gerne Führungsrollen in allen möglichen Bereichen übernehmen.
Ist also Europa vielleicht der Ort, an dem der Blues seine Zukunft hat?
Das würde ich so nicht unterschreiben. Es gibt auch in USA eine Menge Musiker, die den Blues weiterentwickeln. Aber es tut sich viel in Europa. Dazu kommt: Die besseren Gagen werden in Europa bezahlt. Dementsprechend schielen die amerikanischen Musiker sehr stark nach Europa.
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