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Ferngesteuerte EU-KommissionUrsula im hannoverschen Homeoffice

Die Präsidentin der EU-Kommission führt die Geschäfte krankheitsbedingt von Hannover aus. Regeln für eine Vertretung gibt es nicht. Das hat Gründe.

Ursula von der Leyen: Führt die EU-Geschäfte derzeit aus Hannover Foto: Pascal Bastien/ap

Brüssel taz | Die EU hat zu Jahresbeginn eine heimliche neue Hauptstadt bekommen: Hannover. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, leite die Arbeit der EU-Behörde von ihrer niedersächsischen Heimat in Hannover aus, erklärte ihre Chefsprecherin am Montag in Brüssel. Da von der Leyen wegen einer Lungenentzündung ans Bett gefesselt sei, habe sie sich für diese ungewöhnliche Führungsmethode entschieden.

Die deutsche CDU-Politikerin kümmere sich nicht nur um ihre 26 Kommissarinnen und Kommissare, hieß es. Sie habe es sich auch nicht nehmen lassen, mit Italiens postfaschistischer Regierungschefin Giorgia Meloni zu telefonieren, bevor diese am vergangenen Wochenende zu einer Privataudienz zum künftigen US-Präsidenten Donald Trump in die USA geflogen war. Auch sonst habe von der Leyen alles im Griff.

Zwar musste die wöchentliche Kommissionssitzung am kommenden Mittwoch abgesagt werden. Auch die Reise der Brüsseler Behörde zur Eröffnungsfeier des neuen polnischen EU-Vorsitzes in Danzig wurde verschoben. Die Kommission sei jedoch voll arbeitsfähig. Die sechs „exekutiven“ Vizepräsidenten müssten nicht für von der Leyen einspringen, betonte ihre Sprecherin.

Oder dürfen sie nicht? Schon bei der Aufstellung der neuen EU-Behörde im vergangenen Herbst war im EU-Parlament die Kritik laut geworden, dass die Kommission auf von der Leyen und ihren mächtigen Kabinettschef Björn Seibert zugeschnitten sei. Die Ressorts seien bewusst so ausgelegt worden, dass sie sich überschneiden und die Chefin das letzte Wort behält.

Einen draufgelegt

Zuletzt hatte die scheidende EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly sogar noch einen draufgelegt. Die Brüsseler Behörde werde von ungewählten Beamten und „mächtigen Consig­liere“ in von der Leyens Kabinett beherrscht, kritisierte die Irin. Mit „Consigliere“ können sowohl normale Berater als auch Mafioso gemeint sein. Mit den Strippenziehern in der EU-Kommission sei sie nie warm geworden, betonte O’Reilly.

Ein weiteres Problem ist, dass es keine klaren Regeln für die Vertretung an der Kommissionsspitze gibt. Falls von der Leyen komplett ausfallen sollte, ist nicht einmal ihre Nachfolge geregelt. Zwar gilt die Spanierin Teresa Ribera als Primus inter Pares bei den geschäftsführenden Vizepräsidenten. Doch die Sozialistin ist umstritten, die in Brüssel tonangebende konservative Europäische Volkspartei will ihre Macht beschneiden.

Dies gilt auch als Grund dafür, dass sie nicht einmal vorübergehend die Geschäfte übernehmen soll. Dabei gäbe es genug zu tun. So muss sich Brüssel auf die Machtübernahme von Trump am 20. Januar vorbereiten, um mögliche Alleingänge in der Ukrainepolitik, aber auch die angedrohten Strafzölle auf deutsche und europäische Waren parieren zu können. Einzelne Telefonate, wie sie von der Leyen führt, dürften da nicht ausreichen.

Zudem geht es an die Umsetzung des Arbeitsprogramms der Kommission. Von der Leyen und ihr Team hatten versprochen, bis Mitte März zu liefern. Nun läuft die Zeit davon. Nur ein Termin kann offenbar problemlos warten: An diesem Montag sollte von der Leyen vor einem belgischen Gericht erscheinen, um sich zu Vorwürfen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Corona-Impfstoffen („Pfizergate“)zu äußern. Das Verfahren schleppt sich schon seit Monaten dahin – nun wurde der unangenehme Termin wegen Krankheit auf unbestimmte Zeit verschoben.

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8 Kommentare

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  • Warum sollte sie sich auch anders verhalten als als Ministerin in Deutschland (bevor sie zur EU weggelobt wurde) ?



    Solcher Politiker haben noch immer nicht erkannt, warum viele (jetzt auch jüngere) nach rechts abdriften oder einfach keinen Bock mehr auf Politik haben.

    • @Andreas Braun:

      Keine Ausrede für "nach rechts", sorry.



      Von der Leyen war damals ansonsten in Deutschand massiv angezählt. Für Brüssel brachte sie gute Fremdsprachen mit und das Verständnis von EU und USA, das Merkel selbst arg abging - viel mehr aber auch nicht.



      Rot-Grün-Gelb hätten sie durch einen eigenen, besseren Kommissar ersetzen sollen. Hofreiter stand bereit.

  • Ein Schelm, wer da auf den Gedanken kommen könnte, dass sich von der Leyen schon wieder vor der Verantwortung und der Aussage vor Gericht drückt. Undenkbar bei der Lebensgeschichte von vdL, die doch schon immer Verantwortung für ihr Versagen oder ihre Rechtsbeugungen übernommen hat.

    • @Sonja Bleichle:

      So wie Olearius bei Cum-Ex? Zu krank für einen Prozess aber fit genug für eine Klage gegen Frau Brorkhilker mit vdLs Unionskumpel von der Kanzlei Gauweiler & Sauter.

      • @TOM1976:

        Es macht im Rechtsstaat eben einen Unterschied, welche Rolle man hat: Wenn man klagt, kann man sich 24/7 anwaltlich vertreten lassen, auch in einem Zivilprozess muss man nicht persönlich anwesend sein; anders ist es aber bei einem Strafverfahren, bei dem der oder die Angeklagte in der Regel anwesend sein muss, damit er oder sie die Möglichkeit hat, zu reagieren. Das wird dann im Zweifel durch eine polizeiliche Vorführung gewährleistet.

  • Für jeden Menschen gilt: Er-sie-es muss ersetzbar und vertretbar, zumindest notüberbrückbar sein, sonst ist etwas falsch im System.

    Dass vdL auch mal von Hannover agieren darf, ist nicht der Punkt, das hat das dortige Geschlecht zunächst auch mit Großbritannien getan, ohne moderne Kommunikationsmittel.



    Die anderen angesprochenen Punkte sind es eher.

    Man hätte zeitig als Ampel vdL absägen sollen, um einen fachkundigen starken Kommissar statt dessen unterzubringen, auch gegen Sven Lehmanns persönlich motiviertes Strippenziehen gegen Hofreiter.

    • @Janix:

      Eher umgekehrt, Hannover wurde von London regiert: schon Georg II. war zum Schluss nur noch alle zwei bis drei Jahre in der alten Heimat.

      • @o_aus_h:

        Erst Georg III. war sprachlich Engländer, und Nr. 1 nahm sich über 4 Monate, um sich auch nur am Ort krönen zu lassen. Dagegen ist eine Pneumonie-Auszeit Peanuts.



        Hatten Sie übrigens mein bewusstes "zunächst" wahrgenommen?