Femizide in Österreich: Tödliches Pflaster für Frauen
17 Femizide wurden 2021 in Österreich verübt. Gleichzeitig werden Fallkonferenzen seltener und es fehlt Geld für Frauenhäuser und Initiativen.
Im April starb eine 35-jährige Frau, die der Ex-Partner in ihrer Wiener Trafik mit Benzin überschüttet und angezündet hatte. Der mutmaßliche Täter gestand die Tat, leugnete aber die Tötungsabsicht. Ende April wurde kurz nach dem tödlichen Schussattentat auf eine Krankenschwester deren ehemaliger Lebensgefährte festgenommen. Es handelt sich um den Betreiber eines Craft-Beer-Lokals, den die Öffentlichkeit seit Jahren als „Bierwirt“ kennt. Er hatte wegen Persönlichkeitsrechts gegen die Grünen-Fraktionschefin Sigrid Maurer geklagt, weil sie obszöne Postings, die von seinem Computer versandt wurden, öffentlich gemacht hatte. Der Prozess wurde inzwischen eingestellt, der „Bierwirt“ hatte seine Anzeige nach mehreren juristischen Instanzen zurückgezogen.
Österreich ist ein tödliches Pflaster für Frauen. Nach einer Zählung der „Autonomen Österreichischen Frauenhäuser“ sind im Jahr 2021 bis jetzt 17 Frauen in Österreich ermordet worden. In mindestens 22 weiteren Fällen überlebte das weibliche Opfer den Mordversuch oder schwere Gewalttaten, die auch tödlich hätten ausgehen können. Tatverdächtig ist fast immer der Partner oder Ex-Partner, Auslöser meist die bevorstehende oder vollzogene Trennung.
In einer Statistik, die Eurostat im Herbst 2020 veröffentlichte, wird Österreich als das einzige EU-Land geführt, wo mehr Frauen als Männer Gewaltverbrechen zum Opfer fallen. Einen Höchstwert erreichten Femizide in Österreich 2018, als 41 Opfer registriert wurden – mehr als doppelt so viele wie im Jahr 2014. 2020 waren es 31. Für die feministische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz ist es das katholische Erbe, das im Land der erfolgreichen Gegenreformation eine latente und offene Frauenfeindlichkeit erzeugt habe. Dass nicht wenige der Femizide von muslimischen Zuwanderern verübt werden, ist für sie im Interview mit der taz kein Widerspruch: „Es gibt einen Schulterschluss zwischen Fundamentalismen jeder Art.“
Relativ sicher, nur nicht für Frauen
Für die Linzer Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner gibt es noch eine andere Erklärung. „Wir haben eine geringe Zahl an männlichen Opfern, weil Männer meist in kriminellen Subkulturen und eskalierenden Streiten getötet werden“, so Kastner vergangenen Mai in der Tageszeitung Der Standard. Es gebe in Österreich wenig Bandenkriminalität und keine Tradition, Waffen mitzuführen, wenn sich „die Männer im Wirtshaus ansaufen“. Kastner weiter: „Wir sind ein relativ sicheres Land, was das betrifft. Für Frauen sind wir nicht so sicher, weil sie in über 90 Prozent der Fälle in Beziehungskonstellationen getötet werden.“ Sie trifft sich in ihrer Analyse aber mit Streeruwitz, wenn sie die dahinterstehenden Rollenbilder verantwortlich macht.
Nach jedem Femizid ruft das feministische Bündnis „Claim the Space“ zu einer Kundgebung am Wiener Karlsplatz auf. Es orientiert sich an der 2015 in Argentinien entstandenen Bewegung „ni una menos“, die sich als „kollektiven Aufschrei gegen machistische Gewalt“ definiert. Gelegentlich wird auch in größeren Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen protestiert. Zuletzt im vergangenen Mai. Mit dem Slogan „Stoppt Femizide, man tötet nicht aus Liebe“ wandte sie sich auch gegen die Boulevardpresse, die Frauenmorde oft als „Beziehungstat“ verharmlost.
Österreich hat eigentlich gute Gesetze, um Frauen zu schützen. 1997 trat in Österreich das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Das war Pionierarbeit, weil nicht mehr die – meist weiblichen – Opfer häuslicher Gewalt aus der Wohnung fliehen müssen, sondern die Täter von der Polizei weggewiesen werden können. Sie kann Gewalttäter selbst aus deren eigener Wohnung weisen und über sie ein Rückkehrverbot verhängen. 2020 wurden 11.652 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen.
Doch obwohl die Regelung regelmäßig angewandt wird, also dass Männer und nicht Frauen das eigene Zuhause verlassen müssen, sind die Frauenhäuser in Österreich weiterhin überfüllt. Und immer wenn die konservative ÖVP mit der rechten FPÖ koaliert, sind Rückschritte paktiert. So wurde unter der türkis-blauen Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) das Budget für Fraueninitiativen, die nicht in das konservative Weltbild passen, gekürzt. Die Fallkonferenzen, bei denen in Fällen akuter Gewaltdrohungen Frauenschutzorganisationen und Polizei präventive Maßnahmen diskutieren und planen konnten, wurden 2018 ohne Begründung abgeschafft. Unter Türkis-Grün sind sie wiederbelebt worden, doch jetzt nur auf Initiative der Polizei. Früher habe es allein in Wien bis zu 80 Fallkonferenzen gegeben, vergangenes Jahr keine einzige, sagt Maria Rösslhumer, die Leiterin der Autonomen Frauenhäuser.
Es fehlt das Geld für die Opferhilfe
Ein Femizid in Österreich, der nicht ins Schema passt und viel debattiert wurde, ist der Tod eines erst 13-jährigen Mädchens, dessen Leiche Ende Juni an einen Baum gelehnt auf einer Wiener Straße von Passanten entdeckt wurde. Tatverdächtig sind vier junge Afghanen, von denen drei gestanden haben, dass sie die Jugendliche unter Drogen gesetzt und nacheinander vergewaltigt hätten. Besondere öffentliche Empörung erregte vor allem dieser Fall, der Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) willkommen war, um Abschiebungen nach Afghanistan zu rechtfertigen. Eine von Justizministerin Alma Zadić angestoßene Evaluierung von Deportationen in das Bürgerkriegsland war damit vom Tisch.
Bezeichnend ist auch, dass die ÖVP bei den Koalitionsverhandlungen den Grünen, die auf dem Gebiet eindeutig mehr Kompetenz gezeigt haben, das Frauenministerium nicht überlassen wollten. ÖVP-Frauenministerin Susanne Raab will sich nicht als Feministin bezeichnen lassen und sieht die Gewalt gegen Frauen in erster Linie als Problem der Zuwanderung. Nach einer Häufung von Frauenmorden zu Jahresbeginn versprach sie, eine Studie in Auftrag zu geben, die sich mit „unterschiedlichen Motiven kultureller Gewalt“ befassen soll. Frauen mit Migrationshintergrund sollten gestärkt und über die vorhandenen Hilfsangebote aufgeklärt werden, sagte die Ministerin, die auch für Integration zuständig ist und derzeit in Elternzeit ist.
Meri Disoski, Frauensprecherin der Grünen, widerspricht unter Berufung auf Studien: „Die Mehrzahl der Femizide steht in keinem ethnischen Zusammenhang. Vielmehr zeigte sich einmal mehr, dass Trennungssituationen die gefährlichste Zeit für Frauen sind, weil da offenbar bei Tätern patriarchale Muster wie Besitzdenken besonders stark hervortreten.“
Auch die Journalistin Olivera Stajić, Leiterin der Edition Zukunft in der Redaktion des Standard, übt an dieser einseitigen Sichtweise Kritik: „Patriarchale Strukturen begünstigen Gewalt an Frauen, die viel zu oft tödlich endet. Diese Strukturen gibt es auch in österreichischen Migrantencommunitys. Gewalt an Mädchen und Frauen und sogenannte häusliche Gewalt im Allgemeinen ist hier oft akzeptiert, schambehaftet und wird totgeschwiegen. Nicht anders als in jenen österreichischen Familien, die in jüngerer Zeit keine Migrationsgeschichte vorzuweisen haben.“
Im Frühjahr beschloss die Regierung ein Gewaltschutzpaket von 25 Millionen Euro, etwa ein Zehntel dessen, was die einschlägigen Einrichtungen für nötig erachten. Zehn Millionen davon sind für die Täterarbeit bestimmt. Das sei gut und wichtig, meint Frauenhaus-Leiterin Rösslhumer. Aber: „In Buben- und Männerarbeit fließt viel mehr Geld als in die Opferhilfe.“ In der Opferberatung sei eine Person für 300 Frauen zuständig. Marlene Streeruwitz würde sich von einer Frauenministerin wünschen, dass Sozialarbeit gegen Gewalt Priorität genieße. Und die Täterarbeit solle schon in der Schule beginnen, wo schon die klassischen Texte kritisch zu lesen seien: „Wenn zum Beispiel der Herr Odysseus herumfährt und vergewaltigt und brandschatzt, dann hat das mit dieser Abwertung des einen Geschlechts und der Aufwertung des anderen zu tun“.
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