Feldforschung zum Klimawandel: Das Freiluftlabor
Sensoren erfassen Nährstoffe und senden Daten. In Sachsen-Anhalt untersuchen Forscher Klimaänderungen auf landwirtschaftlichen Flächen.
In den Hightechkonstruktionen simulieren Schädler und sein Team den Klimawandel. „Das ist eine Wahnsinnstechnik!“, sagt Schädler und staunt auch noch zwei Jahre nach Versuchsbeginn. Sein Kollege und Technikexperte Konrad Kirsch drückt einen Knopf, und schon umschließen vier Folienwände und ein Dach das Stahlgerüst: Fertig ist das Gewächshaus.
Dass der Klimawandel bereits weltweit in vollem Gange ist, darauf deuten Tsunamis, Dürren und das Steigen der Meeresspiegel – oder auch die heftigen Unwetter, die jüngst etwa in Deutschland wüteten. In der Forschungsanlage, die den futuristischen Namen Global Change Experimental Facilty (GCEF) trägt, arbeiten rund 60 Mitarbeiter daran, herauszufinden, wie die Umwelt auf die Folgen reagiert.
Wie verändern sich unterschiedliche Ökosysteme? Was passiert in den Böden, mit den Pflanzen und Tieren?
Die Global Change Experimental Facilty (GCEF) ist ein Projekt des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung. Im Juni 2014 starteten die Versuche.
Das Bundesforschungsministerium und die Ministerien der Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt haben den Bau der Anlage mit 4 Millionen Euro bezuschusst.
Die Betriebskosten belaufen sich auf rund 50.000 Euro jährlich, die das Helmholtz-Zentrum mit Forschungsgeldern finanziert.
Sensoren in den Parzellen messen die Temperatur, Feuchtigkeit und den CO²-Gehalt in Luft und Boden. Die Daten werden an eine Rechenzentrale gefunkt.
Martin Schädler deutet auf eine dicht bewachsene Parzelle. Die Gerste steht hüfthoch. Mohnblüten ragen zwischen den Gräsern hervor. Es summt und wimmelt vor Insekten. Dies ist eine der fünf Landnutzungsarten, die hier erforscht werden: der ökologische Ackerbau.
Anders sieht es auf der benachbarten Parzelle aus, beim konventionellen Ackerbau. „Hier ist nichts dem Zufall überlassen“, sagt Schädler. Das Getreide wächst nicht so hoch, dafür aber zentimetergenau in Reih und Glied. Unkraut gibt es kaum. Dafür sorgen Pestizide und künstlicher Dünger. Schädler kniet am Rand des Feldes nieder und zerbröselt etwas Erde mit der Hand. Der Boden ist staubtrocken. Erste sichtbare Folgen des simulierten Klimawandels. Die Ökovariante von nebenan verträgt die Veränderungen besser – die Erde ist weniger stark ausgetrocknet.
Man möchte sich reinlegen
Neben den beiden Ackerbauvarianten gibt es auf den übrigen drei Parzellen eine intensiv und zwei extensiv genutzte Grasflächen. Bei der intensiven Landnutzung pflanzen Bauern Wiesen aus homogenen Futtergräsern, die sie oft mähen und bewässern. Typisch für die extensive Landnutzung hingegen ist eine vielfältige Pflanzenstruktur. Gemäht wird nur ein- bis zweimal im Jahr. In alle Richtungen sprießen die Gräser, durchzogen von weißen Wildblumen. Man möchte sich am liebsten hineinlegen.
Auf einer der extensiven Grasflächen mähen die Forscher gar nicht: Hier steht eine kleine Herde von Schafen, es sind die Lieblinge der Station. Die Tiere sind bereits an die Menschen gewöhnt und grasen auf der Wiese, bis der Schäfer sie zur nächsten bringt. Die Wissenschaftler untersuchen dann, wie sich der beweidete Boden verändert hat.
Auf 15 Jahre angelegt
Heute suchen die Schafe in der Mittagssonne nach Schatten. Dumpfe Schläge lassen sie aufhorchen. Forscher schlagen mit einem Holzhammer flache Löcher ins Gras. Sie sammeln Bodenproben für das Labor. Einige Jungtiere hüpfen aufgeregt umher. Die belgische Studentin Zoë De Corte und der chinesische Doktorand Rui Yin hocken neben der Schafparzelle und nehmen ebenfalls Proben. Hier auf der intensiven Fläche ist das Gras bereits gemäht. „Ein Traumversuchsplatz, auch für Studenten“, sagt Zoë De Corte. Unbezahlbar für die meisten Universitäten. Dafür ermöglicht die Kooperation mit der GCEF vielen Studenten der Universitäten in Leipzig, Halle und Köln, hier zu forschen. Das GCEF ist wiederum ein Projekt des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung, das auch den Betrieb finanziert.
Seitdem er 2009 die Koordination der GCEF übernommen hat, ist Martin Schädler Feuer und Flamme für das Mammutprojekt und stolz, daran mitwirken zu können. Es ist heiß unter der knallenden Mittagssonne, der Biologe hat sich gerade erst warm geredet. Da sei zum einen die zeitliche und räumliche Dimension. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn. Das Projekt ist auf 15 Jahre angelegt, denn Bodenprozesse zeigen oft erst nach drei bis vier Jahren Ergebnisse, sagt er. Zudem ist das Versuchsdesign neu, weil die fünf Landnutzungsarten gleichzeitig untersucht werden – fünfmal unter unveränderten Bedingungen, fünfmal unter Simulation des Klimawandels. „Für einen experimentellen Ökologen wie mich ist das das Nonplusultra!“, sagt er. Bei Einbruch der Dunkelheit und bei Regen schließen die Wände und Dächer automatisch. So ahmt die Anlage das in fünfzig Jahren zu erwartende Klima nach: trockene Luft, heiße Temperaturen und weniger Niederschlag – rund zwanzig Prozent des Regenwassers fangen die Dächer ab, woraufhin unterirdische Leitungen es in ein Auffangbecken transportieren.
Der Regenmacher
„Und immer wenn Martin sagt, dass er Regen haben will, lasse ich es regnen“, sagt Konrad Kirsch. Per Knopfdruck setzt der Technikprofi in seiner Schaltzentrale die automatische Bewässerungsanlage in Gang. Hier, in einem blauen Container am Rande der Anlage, hat er Zugriff auf alle Daten, die in den Parzellen angebrachte Sensoren aufnehmen und per WLAN übermitteln.
Dass die Versuche bislang weitgehend reibungslos ablaufen, überrascht den 45-Jährigen. „Unser einziger Feind ist der Wind“, sagt er und pfeift den Schafen zu, die unruhig werden – er ist mit der Zeit zum Ziehvater der Tiere geworden. „Versuch mal, so eine riesige Plane allein zu halten, wenn sie sich löst. Das ist Selbstmord! Die ist so groß wie ein Segel, da ist ordentlich was dahinter.“ Von den bundesweiten Unwettern der vergangenen Wochen wurde Bad Lauchstädt glücklicherweise verschont. Die Wissenschaftler um Martin Schädler sind sich aber einig, dass sie künftig mit starken Stürmen rechnen müssen, auch infolge des Klimawandels.
Forscher, Studenten und Doktoranden verrichten zum Teil Bauernhofarbeit – Schafe hüten, Rasen mähen, säen und Feldfrüchte ernten. Techniker warten die Anlage mit großen Hebebühnen. In einem Beet vor den Experimentalflächen hocken Masterstudenten und pflanzen Gemüse. „Wir haben aber auch einen enormen Organisationsaufwand“, sagt Martin Schädler und öffnet die Tür zum Hauptgebäude. Zu Hunderten liegen ordentlich beschriftete Papiertüten auf langen Tischen; bereit für die Bestückung mit unterschiedlichen Pflanzen und die anschließende Untersuchung. Ein Großteil der Proben landet danach im Archiv.
„Das, was ich hier mache, ist nur zur Hälfte Wissenschaft“, erklärt Schädler. Als Koordinator muss er seine eigentliche Leidenschaft, das Forschen, für die Organisationsarbeit zurückstellen. Der Chef von rund 50 Wissenschaftlern und 13 Technikern weiß genau Bescheid, wer gerade wo welches Projekt macht und ob es gerade gut läuft oder nicht. Mit der gleichen Begeisterung wie auf der Anlage, steckt der Biologe auch zu Hause mit beiden Händen in der Erde: Beim Arbeiten im eigenen Garten.
Rhythmus der Natur
„Man muss hier bei allem, was man macht, leidenschaftlich bei der Sache sein, das geht gar nicht anders.“ Die Anlage soll schließlich noch viele Jahre laufen und schlüssige Ergebnisse liefern.
„Ihr Journalisten wollt ja immer wissen, ob wir der Politik oder Landwirtschaft Handlungsempfehlungen geben können. Doch darauf zielt unsere Arbeit erst in zweiter Linie ab“, erklärt Schädler und wandert durch die Gänge, vorbei an Maschinen und Laboren. „Hier betreiben wir Grundlagenforschung.“ Wie sich die Nährstoffdynamik im Boden verändert und wie verschiedene Lebewesen, zum Beispiel Pflanzen und Pilze interagieren, wenn sich das Klima ändert, das wollen die Forscher herausfinden.
Dass die Experimente früher oder später Ergebnisse abwerfen, die auch für Politik und Wirtschaft interessant sein dürften, ist eher ein Nebenprodukt der Arbeit. Denn bereits nach dem ersten Versuchsjahr zeichnet sich ab, was Theorien längst prognostizieren: Ökologischer Landbau ist weniger empfindlich für Klimaveränderungen als konventioneller Landbau. Je mehr der Mensch eingreift, desto weniger Möglichkeiten hat das Ökosystem selbst, sich an Veränderungen anzupassen. Dies ist zwar keine neue Hypothese, der wissenschaftliche Beweis dafür dürfte aber in gut 15 Jahren gefestigt sein, wenn sich die Ergebnisse aus dem ersten Versuchsjahr wiederholen.
Beunruhigende Nachrichten für Pestizidhersteller, konventionelle Landwirte und all die, die von der Branche profitieren. „Eine ganz finstere Geschichte ist das“, sagt Schädler und meint den Umgang mit dem Pestizid Glyphosat. Es ist das erste Mal im Gespräch, dass er ansatzweise politisch wird. Doch müsse man die Ergebnisse wegen der langen Laufzeit des Projekts zunächst mit Vorsicht interpretieren, fügt er vorsichtshalber hinzu. Die Natur folgt schließlich ihrem eigenen Rhythmus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“