Feinstaubalarm in Südkorea: Das ist die Seouler Luft
In Herrn Kims Apotheke boomt der Verkauf von Atemschutzmasken. Kinder dürfen nicht mehr draußen spielen. Was tun?
Mit dem Frühling kommen in der südkoreanischen Hauptstadt mit seinen knapp 10 Millionen Einwohnern nicht nur angenehme Temperaturen, sondern auch der Feinstaub. Seit Wochen gehört der Blick auf die Handy-App zum Checken der Smogwerte zur obligatorischen Morgenroutine. Was die Bewohner dort sehen, ist erschreckend: Immer wieder rangieren Seouls Feinstaubwerte weltweit an erster Stelle – noch vor Dhaka, Delhi oder Peking. An mehreren Tagen im März war kein Ort der Welt schmutziger als Seoul.
Die Rede ist von sogenannten PM2.5-Partikeln, die als besonders gefährlich gelten und ihre Bezeichnung aufgrund ihres Umfangs von weniger als 2,5 Mikrometern bekommen haben. Anfang März diesen Jahres lagen die Feinstaubwerte sechs Tage in Folge auf Rekordwerten. Bis zu 200 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter enthielt die Luft in gleich mehreren koreanischen Städten. Die Regierung klassifiziert Werte jenseits von 75 Mikrogramm als „sehr schlecht“, die Weltgesundheitsorganisation schreibt dagegen Richtlinien von unter 25 Mikrogramm vor.
Am Dienstagabend Ortszeit (13.45 Uhr MEZ) lag der Wert in Seoul bei immer noch hohen 129 Mikrogramm. Schon nach einem kurzen Spaziergang stellt sich ein Kratzen im Hals ein.
100 Atemschutzmasken gehen täglich über den Ladentisch
Für den 40-jährigen Herrn Kim – weißer Arztkittel, Nickelbrille und stets ein freundliches Lächeln im Gesicht – lässt das Feinstaubproblem die Kasse klingeln. Kims Apotheke ist nur einen Steinwurf vom Seouler Rathaus entfernt, im Erdgeschoss einer kleinen Gasse zwischen Café und einem Laden für Kimbap-Rollen. Herr Kim verkauft all die nötigen Medikamente für die gestressten Angestellten, die vor allem während der Mittagspause in seinen Laden strömen. Derzeit läuft besonders ein Produkt: Atemschutzmasken.
„Am Montag allein waren es weit über 100 Stück. Wenn ich es mit dem letzten Jahr vergleiche, dann konnte ich meinen Umsatz locker ums Doppelte steigern“, sagt er und verweist auf seine Produktpalette: Atemschutzmasken in Weiß oder Schwarz, mit bunten Design-Aufdrucken, verstellbaren Verschlüssen für Kleinkinder, als Wegwerfmasken oder in wiederbenutzbarer Form. Der Pharmaziehersteller Dongkook hat bereits in den ersten zwei Monaten dieses Jahres ähnlich viele Masken verkauft wie insgesamt im letzten Jahr.
Ein Blick durch die Glasfront der Apotheke belegt: Ob Banker in Anzug und Krawatte, die ältere Dame vom Obststand nebenan oder die Lieferanten auf ihren Mopeds – gut die Hälfte aller Passanten in der Seouler Innenstadt tragen Atemschutzmasken.
Ob die gestiegenen Verkaufszahlen am erhöhten Gesundheitsbewusstsein der Koreaner liegen? Apotheker Kim winkt ab: „Das hat einen viel einfacheren Grund – die Luft ist einfach viel schlechter geworden. Noch vor zehn Jahren hatten wir gar kein Smogproblem, da strahlte der Himmel meist blau“.
Jeong Yeon Mi, Umweltforscherin der Seouler Nationaluniversität, zeichnet ein komplexes Bild: „Bis Anfang der 2010er Jahre sind die Feinstaubemissionen in Seoul sogar gesunken, aber seit 2012 können wir eine Zunahme beobachten.“ Innerhalb des Stadtgebiets von Seoul würden Dieselautos zu den Hauptverschmutzern zählen.
Der hausgemachte Feinstaub aus Kohle und Diesel
Vor allem ist Südkoreas Energiemix ein Problem: Der Anteil an erneuerbaren Energien liegt bei gerade einmal 8 Prozent. Noch immer stammen fast 50 Prozent des Energieverbrauchs aus Kohlekraftwerken – weit mehr als der OECD-Durchschnitt von 27,2 Prozent. Zwar werden einige alte Kraftwerke stillgelegt, jedoch mindestens sieben neue bis 2022 errichtet. Ein Bericht aus dem Jahr 2017 zeigt, dass Südkoreas Treibhausgasemissionen von 2000 bis 2013 um 39 Prozent angewachsen sind. In Deutschland sind diese im selben Zeitraum um 14 Prozent gesunken.
Die südkoreanische Regierung greift zu unkonventionellen Gegenmaßnahmen: Im Januar entsandte das Land mehrere Flugzeuge, um über dem Gelben Meer Chemikalien in die Wolken abzugeben. Auf diesem Wege sollte künstlicher Regen erzeugt werden, der die Luft säubert. Die Resultate dieses Experiments nannte die meteorologische Behörde „enttäuschend“. Zu mehr als ein paar Minuten Nieselregen habe es nicht gereicht.
Aufgrund wachsenden öffentlichen Drucks hat die Regierung Anfang März ein Sondergesetz verabschiedet, das Feinstaub als „soziale Katastrophe“ einstuft. Rund 2,5 Milliarden Euro stehen für Gegenmaßnahmen zur Verfügung, darunter etwa verpflichtende Luftreinigungsapparate in Klassenzimmern. Nun werden an manchen Tagen Fahrverbote für ältere Dieselautos ausgesprochen und Kohlekraftwerke lahmgelegt. Schulaktivitäten im Freien sind an von Feinstaub geplagten Tagen in Seoul untersagt. Bereits jetzt haben zwei Drittel aller Busse Feinstaubfilter, bis zum Ende des Jahres werden alle Fahrzeuge damit ausgerüstet sein.
Der fremdgemachte Feinstaub: Grüße aus China
Und doch können diese Maßnahmen die Feinstaubbelastung kaum reduzieren. Denn die heimische Wirtschaft ist nur zu einem gewissen Teil für das Problem zuständig: Im Jahr 2017 hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa eine Studie vorgelegt, nach der nur die Hälfte der Schadstoffe selbst verschuldet sind. Die andere Hälfte stammt von der Ostküste Chinas und wird durch die Winde transportiert. „Der Klimawandel verursacht zunehmend nordwestliche Luftströmungen am Nordpol, dadurch hat sich die Situation in Südkorea verschärft“, sagt Umweltforscherin Jeong Yeon Mi.
Alle Versuche von Südkoreas Präsident Moon Jae In, die chinesische Regierung zu Zugeständnissen zu drängen, sind bislang gescheitert. „Ich weiß nicht, ob es eine ausreichende Grundlage dafür gibt, dass der Feinstaub in Südkorea aus China kommt“, sagte ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums trocken: „Die Ursache für Feinstaub ist sehr kompliziert“. Die Kommunistische Partei verweist darauf, dass sich die chinesische Luftqualität seit 2013 um 40 Prozent verbessert habe – und sich dementsprechend auch ein positiver Trend in Südkorea bemerkbar machen würde. Damit scheint die Diskussion für Peking beendet.
Südkorea hat nun den ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zum Sonderbeauftragten für das Feinstaubproblem ernannt. „Alle Teile der Regierung müssen diesen Krieg mit Entschlossenheit kämpfen. Soweit wir uns dem Feinstaub annehmen, kann es keine Ideologien, innere Unstimmigkeiten oder Grenzen geben“, sagte Ban bei seinem Antritt. An diesem Dienstag gab sich der 74-Jährige jedoch nur mehr handzahm: „Beim Feinstaubproblem braucht es Zusammenarbeit mit China und der gesamten Region Nordostasiens“, sagte er in typischer Diplomatensprache. Eine Kampfansage an China klingt anders.
Beim Kampf gegen Feinstaub zeigt sich das jahrtausendealte Dilemma des kleinen Landes Korea, das sich gegen die Interessen des übermächtigen Nachbarlandes kaum zur Wehr setzen kann. Bei der Feinstaubfrage kämpft Seoul gegen Pekinger Windmühlen an.
Was also tun?
Ältere Seouler flüchten in saubere Luft
An der östlichen Küstenstadt Gangneung, etwa drei Stunden von Seoul entfernt, führt Immobilienmakler Hong Song Yeol durch eine Apartmentwohnung, die am nächsten Morgen verkauft werden soll. Zwei Frauen mit Haarnetz und Gummihandschuhen polieren die Schrankwände und Fensterscheiben, bevor die neuen Besitzer einziehen. Vom Panoramafenster sieht man die schnörkellosen Wohntürme mit ihren 28 Stockwerken. Im letzten Jahr haben hier die Athleten der Winterspiele gewohnt. Die neuen Bewohner werden nicht zuletzt durch die schlechte Luft aus der Hauptstadt angelockt.
Sabrina Ream
„Die meisten meiner Kunden sind pensionierte Ehepaare aus Seoul. Hier in Gangneung haben sie im Gegensatz zur Hauptstadt saubere Luft“, sagt Hong. Das Taebaek-Gebirge, das die Koreanische Halbinsel von Nord nach Süd durchzieht, hält das Gros der verschmutzten Luft wie eine natürliche Barriere ab.
Die deutsche Sabrina Ream wohnt an der Westküste – und damit näher zu den chinesischen Industriestädten. Vor zwei Jahren folgte sie ihrem Mann, der als US-Soldat an der Militärbasis in Pyeongthaek stationiert ist. Gemeinsam haben sie eine dreijährige Tochter. Der Feinstaub hat sie dazu gezwungen, ihren Alltag vollkommen umzustellen. „Ich bin ein Naturmensch, liebe es draußen zu sitzen und mein Kind im Garten spielen zu lassen“, sagt die 27-Jährige: „Doch all das geht mittlerweile nicht mehr“.
Die Fenster bleiben auch tagsüber verschlossen, die Zimmer werden von mehreren Luftreinigern gesäubert, länger als zehn Minuten am Stück darf die Tochter nicht mehr aus dem Haus: „Ich muss sie regelrecht drinnen einsperren. Natürlich versteht sie als Dreijährige nicht, warum sie nicht rausgehen darf“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles