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Feiertag in RusslandFolklore und Waffen

In Russland wird der Tag der Volkseinheit begangen. In der Hauptstadt Moskau hält sich die Feierlaune der Menschen in Grenzen.

Moskau, 4. November: Glückwünsche zum Tag der Einheit auf einer digitalen Werbetafel im Internationalen Geschäftszentrum Foto: Mikhail Tereshchenko/ZUMA Press/imago

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Vera Bessonova aus Moskau

Ein verlängertes arbeitsfreies Wochenende ist selbst bei tristem Novemberwetter eine feine Sache, sollte man meinen. Einst war der 7. November in Russland Feiertag. Nicht irgendeiner, sondern der Tag der Oktoberrevolution von 1917. Russische Kommunisten halten daran fest, obwohl der Kreml vor exakt zwanzig Jahren einen Ersatzfeiertag kreiert hat, den Tag der Volkseinheit. Er wird am 4. November begangen.

Hintergrund ist die Befreiung Moskaus von polnisch-litauischen Interventionstruppen 1612. Historisch betrachtet ist am 4. November jenes Jahres nichts Relevantes passiert. Aber wen kümmert das schon? Bis zur Covid-Pandemie versammelte sich an diesem Tag die extreme russische Rechte zum alljährlichen Aufmarsch, seither herrscht totales Demonstrationsverbot. Feiern hingegen ist erlaubt.

In den Abendnachrichten auf dem Ersten Kanal sind strahlende Gesichter zu sehen, von Wladiwostok bis zur annektierten sogenannten Donezker Volksrepublik. Mit von der Partie sind auch Kriegsteilnehmer. Sie präsentieren Kindern und Erwachsenen Waffen, durch deren Einsatz tagtäglich Menschen in der Ukraine sterben. Diesen Part blendet das Staatsfernsehen grundsätzlich aus.

Festivitäten finden auch in Moskau statt. Familienorientiert hat die Partei Neue Leute Feierwillige in ein Einkaufszentrum zur folkloristischen Kostümprobe eingeladen. Sich als Russe oder Tschuwaschin zu verkleiden, funktioniert offenbar ohne martialische Komponente.

Alles ist abgesperrt

Im Stadtzentrum herrscht an diesem grauen Dienstagnachmittag reges Getümmel. Rund um den Roten Platz und dem nur einen Steinwurf vom Kreml entfernt gelegenen Manege-Ausstellungszentrum, ist alles abgesperrt. Sogar das unterirdische Einkaufszentrum am Platz ist geschlossen.

Irritierte Gesichter, man fühlt sich buchstäblich ausgeschlossen. Ein schwer bewaffneter Polizist hinter der Absperrung wird gefragt, was hier los sei. Er antwortet, da fände eine Veranstaltung statt, Näheres wisse er nicht. Wann denn die Veranstaltung zu Ende sei? „Ich hoffe bald“, fährt er mit kaum zu vernehmendem Seufzen fort. Später heißt es in den Nachrichten, Wladimir Putin habe in der Manege der Eröffnung einer grandiosen Ausstellung zum Sieg im Großen Vaterländischen Krieg beigewohnt.

Aber womöglich fühlen die Menschen ja in der gemeinsamen Erfahrung des Ausgeschlossenseins die für den 4. November verordnete Einheit des Volkes? Eine junge Kirgisin mit Kleinkind verneint das. Sie finde sich, im Gegensatz zu ihrem Mann, der in Moskau schon länger arbeite, ohnehin kaum noch zurecht.

Eisiges Schweigen

Ein stattlicher älterer Herr hingegen bejaht. Woran er das festmache? „Sie sind meine Volkseinheit“, entgegnet er augenzwinkernd und setzt seinen Weg fort. An einer belebten Unterführung sitzt ein Pärchen, dem Aussehen nach gerade mal volljährig geworden. Fühlen sie sich heute als geeintes Volk? Eisiges Schweigen. Nach kurzem Überlegen hat der junge Mann dann doch einen Kommentar parat: „Na, so was, ein richtiger Feiertag. Danke, ich merke es mir.“

Ein Stück weiter auf dem Arbat verzieht eine Frau Anfang 60 bei der Frage das Gesicht. „Natürlich nicht!“ Es wirkt, als ob die Frage an sich deplatziert sei. Vielleicht besser bei einer Gruppe Mittvierziger nachfragen, die durch Aufnäher in den Farben der Staatsflagge und Georgsbändchen unschwer als Patrioten zu identifizieren sind.

„Klar“, meint ein bärtiger Typ und zeigt auf seine Kollegen. Aber wie verhält es sich mit dem Rest des Volkes? Noch, so der Bärtige, hätten sich die Menschen nicht völlig voneinander entfremdet. Aber das sei nur eine Frage der Zeit. „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Niemand seiner Kollegen widerspricht.

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