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Fehlende Inklusion am BauLauter neue Hindernisse

Drei Behindertenverbände klagen gegen das „Forum am Wall“. Einen barrierefreieren Zugang zur Stadtbibliothek können sie aber nicht erzwingen.

Elegant, aber nicht ganz barrierefrei: das „Forum am Wall“ Foto: Jan Zier

BREMEN taz | Als die ältere Dame, noch ohne Rollator, auf dem Weg in die Stadtbibliothek über die drei Stufen stolpert, wird das Problem klar: Richtig barrierefrei ist das „Forum am Wall“ hier nicht. Deswegen haben drei Behindertenverbände jetzt eine Klage gegen die Baubehörde eingereicht. Deren Sprecher Jens Tittmann sagt, dass die Behörde mit dem derzeitigen „Forum am Wall“ zwar „nicht ganz zufrieden“ sei. Aber nach geltendem Recht „mussten wir das genehmigen“. Der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück, ehemals Richter, ist da anderer Auffassung.

Kommt man durch den Nebeneingang in der Buchtstraße, von der Domsheide, wo Bus und Bahn halten, dann gab es da früher nur eine Rampe. Jetzt sind da gleich drei Stück, die drei unterschiedlich hohe Stufen befahrbar machen. „Eine besondere Unfallgefahr“, sagt Steinbrück, gerade für ältere und sehbehinderte Menschen. Auch ein Treppengeländer gibt es hier nicht. Mit einem elektrischen Rollstuhl: kein Problem. Mit einem Rollator: 21 Meter Weg. „Eine ganze Menge“, sagt Steinbrück, „es sind neue Barrieren entstanden.“ Und das sind nicht nur all die Tische, Stühle und Schilder der Gastro-Betriebe.

Da ist noch die freischwebende Treppe in der Mitte, auf mehreren schmalen Stelen ruhend – auch sie ist eine Gefahr für sehbehinderte Menschen, sagt Steinbrück, der selbst blind ist. Das Baumhaus, in das diese Treppe führt, sei ohnehin „exklusiv“ für nicht-behinderte Menschen.

Ihn erinnert diese Treppe an jene im Hauptbahnhof, die rechter Hand zu einem Drogeriemarkt führt. Die Debatte darum, sagt er, sei gut 15 Jahre her. „Treppen dürfen nicht unterlaufen werden“, sagt Steinbrück, wenn sie barrierefrei sein sollen. Werden sie aber – auch im Forum am Wall.

„Die stufen- und schwellenlose Erreichbarkeit der Stadtbibliothek ist auch für den Nebeneingang gegeben“, heißt es in einer aktuellen Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion. Die Forderung nach einem barrierefreien Zugang sei „vollumfänglich“ erfüllt worden, schreibt die Landesregierung. Die Senatsantwort sei zumindest teilweise „falsch“, sagt Steinbrück. Aus seiner Sicht ist das „Forum am Wall“ ein „Sonderbau“, für den besondere Ermessensspielräume gelten. Und den habe die Behörde „nicht richtig genutzt“. Dabei sei die UN-Behindertenrechtskonvention „ermessensleitend“. Sie stelle „hohe Anforderungen“, sagt Steinbrück – und hat Gesetzeskraft.

Der Senat beruft sich auf die Bauordnung, die im Mai 2015 galt, als die Genehmigung erteilt wurde. Sie erlaubte etwa Treppen ohne Geländer, wie es sie hier gibt, oder Stufen, die keine taktil zu erfassenden Felder für blinde Menschen haben. Die forderte erst eine neue Bauordnung, die seit September 2015 gilt. Als die Behörde das „Forum am Wall“ genehmigte, war also schon „völlig klar“, dass die Bestimmungen veraltet waren, sagt Steinbrück – die Behörde hätte ihr Ermessen „restriktiver“ auslegen müssen. Und das Unterlaufen von Treppen sei schon damals nicht rechtens gewesen. „Die Behörde hat das damals geltende Recht nicht richtig angewendet“, sagt Steinbrück.

Klage erhoben hat der Verein „Selbstbestimmt Leben“ (SBL), unterstützt von der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen und dem Blinden- und Sehbehindertenverein. Es ist eine Feststellungsklage, die auch im Erfolgsfalle erstmal keine Konsequenzen hat und die Baugenehmigung nicht unwirksam macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass das „Forum am Wall“ nachgebessert wird, sei „nicht besonders hoch“, sagt SBL-Sprecher Wilhelm Winkelmeier. Aus seiner Sicht ist die Klage deshalb eher „in die Zukunft gerichtet“ – um mehr Klarheit zu schaffen, wenn das nächste Bauprojekt ansteht.

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