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Fast 1.000 Lehrkräfte fehlen in BerlinKampf gegen die Lücke

Im kommenden Schuljahr fehlen 920 Lehrkräfte, prognostiziert die Bildungsverwaltung. Jetzt soll ein stadtweites „Bewerbermanagement“ kommen.

Ist doch eigentlich ein toller Job, aber zu wenige wollen ihn machen: Lehrerin vor der Tafel Foto: picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Berlin taz | 920 Lehrkräfte werden den Schulen im August fehlen. Das ist die offizielle Prognose, die Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) am Dienstag im Senat vorstellen musste. Zwar sei der fachliche Unterricht nicht in Gefahr, versichterte die Senatorin: „Die Stundentafel wird abgedeckt.“ Aber klar sei auch, dass es eine „Lücke“ geben werde bei allem, was die Schulen on top leisten: Sprachförderung, Sport- oder Musikprofile. Man könne, sagte Busses Referatsleiter für Personalfragen, Holger Schmidt, „100 Prozent Personalausstattung nicht mehr garantieren“.

Die hatten viele Schulen allerdings auch schon vorher nicht. Die Unterschiede waren zum Teil riesig: Schulen mit gutem Ruf in besseren Wohnlagen haben oft sogar – trotz Fachkräftemangel – eine Personalausstattung von 120 Prozent; das heißt, sie haben viel Kapazität für Projekte, Lernförderung, Extras. Schulen in Brennpunkten hingegen wissen oft kaum, wie sie ihre offenen Stellen besetzen sollen, obwohl sie in der Regel gerade mehr Ressourcen für Sprachförderung oder Schulsozialarbeit brauchen.

Busse hat sich deshalb etwas Neues ausgedacht. Sie wolle den allgemeinen Mangel gerechter über die Stadt verteilen, erläuterte sie am Dienstag. Das Neue heißt „Einstellungskorridor“ und funktioniert so: Die Schulaufsichten in den Bezirken sollen künftig die Personalausstattung und sozialräumliche Lage jeder Schule in den Blick nehmen. Diejenigen Schulen, die schlechter dastehen als andere bei diesem „Monitoring“ sollen bevorzugt werden beim Lehrer*innen-“Casting“ (das wirklich so heißt). Anders gesagt: Be­wer­be­r*in­nen bekommen eine Vorauswahl an Schulen, an denen sie sich überhaupt bewerben können.

„Wir müssen punktgenauer gucken“, sagte Busse, auch mit Blick auf den sich weiter verschärfenden Lehrkräftemangel. Denn das erklärte Ziel sei, auch alle Extras wie Sprachförderung „vollumfänglich zu ermöglichen“. Mit der „Lücke“, die sich in diesem Bereich im kommenden Schuljahr auftue, könne man nicht zufrieden sein.

Referatsleiter Schmidt sprach von einem „stadtweiten Bewerbungsmanagement“, das man an den Start bringe. Und: „Wir werden bis zum letzten Tag ringen um jede und jeden.“

Weniger Quer­ein­stei­ge­r*in­nen

Klar ist aber auch: An der Lücke von fast 1.000 Lehrkräften wird sich zumindest in diesem Sommer nicht mehr viel ändern lassen. Die großen Einstellungsrunden für die Re­fe­ren­da­r*in­nen sind im Mai bereits gelaufen. Auch das Potenzial bei den Quereinsteiger*innen, die in den vergangenen Jahren die größte Not linderten, sieht Schmidt weitgehend abgeschöpft: „Der Quereinstieg ist kein großes Reservoir mehr, die Bewerbungslage ist eher rückläufig.“

Insgesamt werden laut Bildungsverwaltung 2.645 Vollzeitstellen benötigt, die Gewerkschaft GEW rechnet damit, dass dafür 3.000 Personen gefunden werden müssen, weil nicht alle Vollzeit arbeiten. 1.000 Be­wer­be­r*in­nen sind laut GEW voll ausgebildet. Weitere 350 schließen ihr Referendariat im Sommer ab.

Das erste Echo auf Busses Idee einer stärkeren stadtweiten Steuerung fällt am Dienstag gemischt aus. Grundsätzlich „begrüße ich diesen Versuch“, sagt etwa Arnd Niedermöller, Schulleiter am Lichtenberger Kant-Gymnasium und Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Oberstudiendirektoren.

Niedermöller fürchtet aber auch, dass das Instrument wirkungslos bleibt, weil Lehrkräfte immer noch genug Optionen haben, wenn sie eine Schule nicht wollen: Immerhin suchten auch andere Bundesländer händeringend Lehrer*innen. Oder sie ließen sich eben an einer Schule erstmal nur befristet als Aushilfskraft anstellen statt sich auf reguläre Stellen zu bewerben. Die Schulen sind schließlich schlicht froh um jede*n, der sich überhaupt bewirbt.

Kollegiale Hilfe

Niedermöller, der selbst alle Lehrkräfte für das kommende Schuljahr beisammen hat, hat noch eine andere Idee. „Die Schulen mit überdurchschnittlicher Personalausstattung könnten als Prinzip der Solidarität Lehrkräfte befristet an die Schulen abgeben, die weniger gut ausgestattet sind.“ Natürlich müsse man bei diesen „befristeten Umsetzungen“ auf die Freiwilligkeit der Kol­le­g*in­nen bauen, betont Niedermöller. Er selbst mache das bereits, und habe eine Sportlehrerin aus dem Kollegium überzeugt, im nächsten Jahr an einer nahe gelegenen Grundschule im Bezirk auszuhelfen. Tatsächlich ist in Lichtenberg die Schere zwischen Schulen mit guter und schlechter Personalausstattung besonders krass, wie es auch am Dienstag von Seiten der Bildungsverwaltung hieß. Bei den Schulformen wiederum haben Gymnasien eher weniger Probleme, Personal zu finden.

Auch in der Koalition fand Busses Vorstoß Zuspruch: „Die Idee ist zu begrüßen“, sagte Franziska Brychy, bildungspolitische Sprecherin der Linke-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Aber das Instrument muss man nochmal nachdenken.“ Auch Brychy fürchtet, dass man Be­wer­be­r*in­nen im „bundesweiten Wettbewerb“ eher verliert, wenn man ihnen nicht die freie Arbeitsplatzwahl lässt. „Ich wünsche mir da mehr Charmeoffensive statt Zwang.“ Man könne zum Beispiel Masterstudierende schon im Praxissemester an die schwierigeren Schulen schicken – und hoffen, dass sie dann vielleicht doch bleiben wollen.

Dass das gar nicht so unrealistisch ist, sagt auch Corinna Dräger, Leiterin der Spandauer Linden-Grundschule: „Von 4 Masterstudierenden, die im Praxissemester zu uns gekommen sind, sind 3 wieder gekommen und geblieben.“ Es müssten sich aber auch im Kollegium Lehrkräfte finden, die sich zu Men­to­r*in­nen ausbilden lassen, um die Studierenden gut zu betreuen. Das allerdings sind genau die „Extras“, an denen die Schulen „eigenverantwortlich“, wie Busse betonte, sparen müssen.

Im Kampf gegen die Lehrer*innen-Lücke will Busse auch noch andere Register ziehen: So können Schul­lei­te­r*in­nen künftig auch Lo­go­pä­d*in­nen oder Er­go­the­ra­peu­t*in­nen auf Leh­re­r*in­nen­stel­len setzen. Für diese „multiprofessionellen Teams“ gab es in den laufenden Haushaltsverhandlungen zuletzt nochmal extra Geld.

Auch die Vollzeitquote soll erhöht werden: Schul­lei­te­r*in­nen sollen aktiv dafür werben, dass ihre Lehrkräfte Vollzeit arbeiten. Derzeit betrage die Teilzeitquote an den Schulen 37 Prozent, ein Wert, der sie in der Höhe auch „überrascht“ habe, sagte Busse. Eine Heraufsetzung der Mindeststundenzahl, wie es Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) jüngst für sein Bundesland ins Spiel brachte, werde es „aber definitiv nicht geben“, sagte Busse.

Eine Reserve von etwa 350 Vollzeitstellen schlummert auch noch in der Altersermäßigung – bis zu 2 Stunden pro Woche können Lehrkräfte über 60 ihre Arbeitszeit reduzieren. Ob man da konkret ran wolle, ließ Busse aber offen.

Wie viele wegen der heiß diskutieren Verbeamtung – die ab Sommer für Neueinstellungen wieder möglich ist in Berlin –, aus anderen Bundesländern zurückgekommen sind, ist noch unklar. Es seien „einige“, sagte Busse. Genaue Zahlen habe man noch nicht.

Unklar ist auch, ob nicht sogar noch mehr als die 920 Leh­re­r*in­nen fehlen könnten. Linke-Politikerin Brychy und auch der Berliner Vorsitzende der Gewerkschaft GEW, Tom Erdmann, kritisierten, dass die Prognose nicht die geflüchteten Kinder aus der Ukraine berücksichtige. Der Einstellungsbedarf von 3.000 Lehrkräften zum Sommer könne noch zu niedrig angesetzt sein, fürchtet Brychy.

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3 Kommentare

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  • Ich bin momentan Referendarin an einem Berliner Gymnasium, mein Partner wird sein Referendariat in Berlin nach den Sommerferien beginnen. Wir beide kommen aus Berlin, haben hier die Schule und Universität besucht.

    Frau Busses Vorschlag, Lehrkräfte könnten sich nur für bestimmte Schulen bewerben ist meiner Meinung nach wenig zielführend. Ich, und meiner Einschätzung nach auch nicht meine Referendarskolleg/innen, wären bereit an einer Schulform oder Schule zu unterrichten, die sie selbst nicht in Betracht ziehen. An einer Brennpunktschule unterrichten möchten aber die wenigsten, da Überlastung und Burnout dort kaum vermeidbar erscheinen.

    Wenn der Vorschlag wie geplant umgesetzt wird, würden es vermutlich viele machen wie ein Kollege: Zum Ende des Referendariats wollte er an unserem Gymnasium bleiben, hatte aber noch keine sichere Zusage für eine Stelle. Also ist er zum Lehrercasting gegangen, ihm wurde eine ISS vorgeschlagen, an der er weder in der Oberstufe, noch in seinem Neigungsfach Latein hätte unterrichten können - die Stelle hat er abgelehnt und hätte übergangsweise als Vertretungslehrer an unserem Gymnasium gearbeitet bis er einen festen Vertrag hätte kriegen können. Letzten Endes hat es mit der Übernahme an unserer Schule auch mit einem festen Vertrag noch geklappt.

    Doch viele junge Lehrkräfte (mich und meinen Partner eingeschlossen) würden noch nicht einmal diesen Weg gehen. Wenn ich keine feste Stelle an einer meiner Wunschschulen erhalte, werde ich weder übergangsweise eine Vertretungslehrerstelle annehmen (=unbezahlte Sommerferien, befristeter Vertrag), noch an eine andere Schule gehen. Bei den derzeitigen Mieten ist es ohnehin kaum möglich in Berlin eine bezahlbare Wohnung für eine Familie zu finden. Mein Partner und ich würden also in einer der vielen schönen Kleinstädte im Berliner Umland bessere Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen suchen - und mit Sicherheit auch finden. Zurückkommen würden wir dann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht...

  • 0G
    06364 (Profil gelöscht)

    Maßlos unterschätzt wird auch hier wieder die Mietenpolitik. Diese hat Brennpunkte erschaffen oder verstärkt in den letzten Jahren. Die Stadt ist weiterhin geteilt: früher in Ost und West, heute in Exaltiert und Entkräftet. Und ausdrücklich: für mich ist beispielsweise der Kollwitzplatz auch ein Brennpunkt genau wie Helle Mitte. Ich möchte bei einem Elterngespräch nicht mit zwei Anwälten darüber diskutieren, ob ich als Lehrkraft ein veganes Gummibärchen verteilen darf. Noch möchte ich bei einem Elterngespräch mit einem Vater mit Schlagring darüber reden, dass ein Frühstück bei seiner Tochter generell erst in der Schule erbettelt wird.

    Wenn wir die sozialen Probleme in der Stadt unter die wirtschaftlichen Interessen stellen und wenn Volksentscheide von Frau Giffey ignoriert werden, brauchen wir uns über immer mehr Unzufriedenheit und Bildungsprobleme auch nicht zu wundern. Wir reden hier immer über neue Lehrkräfte in Berlin und vor allem: wie viele? Es geht darum, dass die jetzigen Arbeitsbedingungen enttäuschen und demoralisieren, wenn Lehrkräfte in Berlin eierlegende Wollmilchsäue sein sollen. Die Verbeamtung wird dieses Problem nicht lösen.

  • Schönes Beispiel - Englischlehrer, Französischlehrer, Spanischlehrer, ....



    Wer könnte es besser als ein Muttersprachler?



    Was bietet man denn z.B. Briten an, damit sie hier in Berlin unterrichten?



    Das geht ja schon mit der Qualifikation los - Zulassung? Könnte hier ein Lehrer aus UK sofort einsteigen? Das bezweifle ich!



    Wo sollen die wohnen mit ihren Familien? Wie lange würde so ein Vertrag laufen. Die anderen Kollegen sind ja verbeamtet! Würden die sofort einen Kita-Platz bekommen?

    Aber 6000 € monatliche Pensionsansprüche für Frau Scheres sind drin!

    Ich habe mal einen Italiensichkurs bei der Volkshochschule gemacht. Die Lehrkräfte wurden grottenschlecht bezahlt. So geht`s halt nicht!