Fashion Week während Corona: Gemütlich revolutionär
Die Modewochen warteten mit Designs für ein behagliches Social Distancing auf. Extra nach London, Mailand und Paris musste dafür kaum jemand reisen.

Natürlich war nichts so wie immer. Die Entwürfe, die bei den aktuellen Modewochen gezeigt wurden, entstanden in einer Zeit, in der die Normalität in sich zusammenfiel. Bei den Winterkollektionsschauen zu Beginn des Jahres war die Stimmung noch ebenso apokalyptisch wie inszenierungswütig.
Rick Owens Schlafsack-Capes und Marine Serres Balaklavas und Atemschutzmasken verbreiteten Endzeitstimmung, Demna Gvasalia flutete für Balenciaga Laufsteg und Front Row und der Choreograf Michele Rizzo realisierte für Marni eine Show voll düsterer Schönheit, die die Grenzen zwischen Performancekunst und Modenschau verschwimmen ließ. Dann kam die globale Pandemie und brachte nicht nur den Produktionsprozess der Frühjahrskollektionen, sondern auch die Fashion Week selbst durcheinander.
In England, wo aktuell maximal sechs Personen aus unterschiedlichen Haushalten zusammentreffen dürfen, fand die London Fashion Week ausschließlich digital statt. Mailand entschied sich ebenso wie Paris für ein Hybridmodell aus digitalen Präsentationen und vor reduziertem Fachpublikum gezeigten Liveshows.
Kreativ wurde es in Mailand vor allem bei den digitalen Varianten: Jeremy Scott orchestrierte für Moschino eine Marionettenshow samt Anna-Wintour-Puppe im Publikum, das Streetwear-Label GCDS schöpfte die endlosen Möglichkeiten der digitalen Raumbildung vollends aus und kreierte einen überdrehten Spacepalast, in dem Modelavatare mit artifiziell hochglänzender Haut laute Entwürfe vor einem Publikum aus Aliens, Plüschtieren und Popstars präsentierten.
Nyloncoolness trifft auf Streetwear
Auch die mit Spannung erwartete Prada-Kollektion, die in erstmaliger Zusammenarbeit zwischen Miuccia Prada und Co-Designer Raf Simons entstand, fand als Livestream ohne Publikum statt. Die Models schritten durch einen senfgelben Raum, vorbei an rotierenden Kameraarmkonstrukten und präsentierten eine zurückgenommene Symbiose zweier distinkter Formsprachen: Pradas klare Nyloncoolness traf auf Rafs Streetwear-Schnitte und großzügige Slogans.
Neben Umhängen, die von den Models wie eine übergeworfene Decke vor der Brust zusammengehalten wurden, zeugte vor allem ein Detail von der Neuen Normalität, für die die Kollektion entworfen wurde: Die Prada-Logos sind so hoch an den Rollkragen und Seidentops platziert, dass sie auch im begrenzten Bildausschnitt der Zoomkonferenz sichtbar bleiben.
Dass es allein aufgrund der erschwerten Produktionsbedingungen keine Fashion Week der Überraschungen und großen Gesten geben würde, war bereits im Vorfeld klar. Die meisten Designer*innen bewegten sich verlässlich und gemächlich in die Richtungen weiter, die sie bereits in vorherigen Saisons eingeschlagen hatten.
Weiche, fließend fallende Stoffe und Entwürfe wie Balenciagas Hotelpantoffel-Schuhe bedienten sich der Bildsprache einer anheimelnden Behaglichkeit, der man auch in Kunst und Werbung vermehrt begegnet. Die einer verhältnismäßig privilegierten Erfahrung des Lockdowns entsprungene Ästhetik fand ihre expliziteste und damit auch spannendste Umsetzung in Silvia Venturinis letzter Kollektion für das Label Fendi.
Corona Coziness
Die Show eröffnete mit einer Reihe von Entwürfen aus Leinen und transparentem Chiffon, die so präzise mit Schatten von Fensterrahmen, Topfpflanzen und Bäumen bedruckt waren, dass man sich an einem sonnigen Tag in der Wohnung der Designerin wähnte; der finale Look war ein reich besticktes Bettdecken-Daunencape.
Die Corona Coziness manifestierte sich auch in der trostspendenden Kommunalität einer virtuell vernetzten Gemeinschaft. Im Fokus zahlreicher Shows stand weniger die Kleidung als vielmehr die jungen, charakterstarken und ganz beiläufig fantastisch aussehenden Kreativen, die sie zur Schau stellten.
Burberry ließ seine Models im Wald einer Anne-Imhof-Performance beiwohnen, Francesco Risso arbeitete für sein ambitioniertes „Marnifesto“ mit 48 Künstler*innen und Models zusammen, die in umgeschneiderten Entwürfen vergangener Kollektionen Gemüse einkauften, Gassi gingen, Schlagzeug spielten und ihre Hände desinfizierten.
Der anderthalbstündige Zusammenschnitt der Privataufnahmen zeigte verwackelte Einblicke in WG-Küchen, gleichberechtigt neben öffentlichen Gesangseinlagen von Musiker*innen wie Yves Tumor und Mykki Blanco.
„Sunglasses at Night“
Nicht nur bei Marni wurde die Straße zum Catwalk: Angeführt von Hyperpop-Sängerin Caroline Polachek steuerten die Céline-Models den Laufsteg im Centre Pompidou von verschiedenen Kreuzungen und Bürgersteigen aus an, Balenciaga-Models stampften zu einem Cover von „Sunglasses at Night“ durchs nächtliche Paris. Der beherzte Schritt in den öffentlichen Raum lässt sich als eine Kehrtwende weg von dem elitären Exklusivitätsdenken deuten, das die Modewochen normalerweise prägt.
Die Krise hat ohnehin bestehende Bedeutungsverschiebungen weiter akzeleriert. Kreativdirektion ist zur wichtigsten Aufgabe der Modewelt avanciert. Mehr noch als um das Entwerfen von Kleidung geht es um die Entwicklung einer allumfassenden Markenidentität, um Kooperation und Kommunikation. Während Magazine mit Umsatz- und Identitätskrisen kämpfen, geben Modehäuser Projekte mit hohem künstlerischem Mehrwert in Auftrag und liefern die ausführlichste Berichterstattung über ihre eigenen Kollektionen gleich selbst.
Wie die Beratungsfirma Launchmetrics der Zeitschrift Business of Fashion erklärte, machten die eigenen Social-Media-Kanäle der Modehäuser bei den aktuellen Fashion Weeks durchschnittlich 50 Prozent der Medienwirkung aus – ein Anstieg von circa 30 Prozent im Vergleich zu früheren Modewochen.
Wozu noch Fotos auf Vogue Runway anschauen, wenn der HD-Livestream die besten Bilder liefert? Wozu von Werbegeldern weichgespülte Kritiken lesen, wenn Prada und Simons ihre Kollektion direkt im Anschluss an die Show selbst erläutern? Der Modejournalismus wird sich neu kalibrieren müssen, um seine Position als Konsekrationsinstanz beizubehalten.
Die Kollektionen der aktuellen Saison mögen kuschelig daherkommen, doch sie haben auch gezeigt, dass Fashion Week egalitärer, emissionsfreier und aufrichtiger funktionieren kann. Wäre es nicht den äußeren Umständen der Pandemie geschuldet, könnte man dieses Durcheinanderwirbeln der Konventionen gar aufrührerisch nennen. Es bleibt abzuwarten, welche Veränderungen bestehen bleiben, wenn sich der Staub gelegt hat.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!