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Farc-Waffenstillstand in KolumbienEin Schritt zum „totalen Frieden“

Die Farc-Splittergruppe Estado Mayor Central (EMC) und die Regierung in Kolumbien vereinbaren Waffenstillstand. Friedensgespräche sollen beginnen.

Der kolumbianische Hochkommissar für den Frieden und ein Farc-Generalstabsmitglied bei Gesprächen Foto: Fernando Vergara/ap

Bogotá taz | Nach Stunden des Wartens bei 40 Grad stürmen Bauern die Bühne in der kolumbianischen Kleinstadt Tibú, an der Grenze zu Venezuela, und schreien ihre Wut heraus: „Wir bewegen uns nicht fort von hier, solange die Regierung nicht den Waffenstillstand dekretiert! Wir sind nicht 40 Stunden gereist, und dann wird aus dem Waffenstillstand nichts!“ Da unterbricht das kolumbianische Staatsfernsehen die Übertragung – und spielt stattdessen Grimms Märchen ein. Was am Sonntag in Tibú passiert ist, lässt sich am besten mit Chaos beschreiben.

Am Ende wurde am Sonntag ein beidseitiger, zehnmonatiger Waffenstillstand zwischen Regierung und der Farc-Splittergruppe Estado Mayor Central (EMC) und der Beginn von Friedens-Gesprächsrunden offiziell vereinbart. Der Waffenstillstand soll am 16. Oktober beginnen, die Friedensgespräche sollen auch in einer Woche starten.

Rund 5.000 Menschen waren in die Gemeinde an der Grenze zu Venezuela gereist, die bekannt für den Koka-Anbau ist – und zuletzt für die Krise der Koka-Bauern, die ihre Ware nicht mehr losbekommen und Hunger leiden.

EMC begreift sich als „die wahre Farc“

Der EMC ist ein Teil der Farc-Guerilla, der das historische Friedensabkommen mit dem kolumbianischen Staat 2016 nicht unterschrieben hat. Die Gruppe nennt sich EMC-FARC-EP und begreift sich als die wahre Farc. Ihr Anführer nennt sich „Iván Mordisco“. Seit 2016 hat sie ihre Macht rasant ausgedehnt. Rund 3.400 Kämpferïnnen und Milizionäre sollen mittlerweile zu ihr gehören – mehr als zehnmal so viele wie damals. Ihr Einflussgebiet erstreckt sich über mehrere Amazonas-Departamentos im Süden Kolumbiens, dazu die Grenzregion zu Ecuador und die Pazifikküste hoch bis Cauca. Und im Osten des Landes die für den Drogenhandel ebenfalls wichtige Grenzregion zu Venezuela.

Beide Delegationen haben sich im Vorfeld über das Dokument fürs Waffenstillstands-Dekret gestritten

Bei Tibú kämpft der EMC mit der ELN-Guerilla immer noch um die Vorherrschaft – während die ELN-Guerilla mit dem Staat seit August offiziell bereits im Waffenstillstand ist. Das bringt den Menschen in der Region aber wenig, solange die Gruppen weiter untereinander kämpfen und sie zwischen die Fronten geraten.

Die Regierung des linken kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro hat versprochen, mit allen verbliebenen bewaffneten Gruppen zu verhandeln, um endlich den „totalen Frieden“ zu erreichen. Der bilaterale Waffenstillstand mit dem EMC ist ein Schritt dazu.

Umstrittenes Dekret bis zur letzten Minute

Dass der schwierig würde, hatte sich schon in der Woche davor abgezeichnet. Da hatten die beiden Delegationen sich bei Gesprächen in Bogotá vorgetastet. Zwei Mitglieder der EMC-Delegation sagten der taz wenige Tage vor Tibú, dass die Regierung das unterschriftsreife Dokument fürs Waffenstillstandsdekret eigenmächtig abgeändert habe.

„Das Problem ist, dass keine Juristïnnen von Anfang an dabei sind“, sagt Padre Eliécer Soto, der den Prozess für die katholische Kirche begleitet. So ging das Dokument fürs Dekret an die Übergeordneten – und die hätten dann zum Beispiel aus dem „Ende der Militäroperationen“ ein „Ende der Militäraktionen“ gemacht. Statt des besprochenen zehnmonatigen landesweiten Waffenstillstands schlug die Regierung vergangene Woche zudem einen regionalen, stufenweisen Waffenstillstand vor, beginnend mit der Grenzregion zu Venezuela. Das warf die Vorarbeit über den Haufen. Das Misstrauen ist auf beiden Seiten groß.

Die EMC-Unterhändler kritisierten auch, dass die Militäroperationen im Cañón del Micay weitergingen. Gefangene mit Verletzungen seien nicht medizinisch versorgt worden und hätten Gliedmaße verloren. Sie fühlten sich nicht ausreichend geschützt während der Gespräche. Vertrauen habe man nur in die internationalen Beobachter wie UN, EU, Kirche und Rotes Kreuz.

Umgekehrt kam es schon einen Tag nach der gemeinsamen Verkündung vom Plan zum Waffenstillstand zum ersten Bombenangriff des EMC -Mitte September wurde er angekündigt. Sieben Polizisten wurden dann bei einem Anschlag am 20. September verletzt.

Waffenstillstand soll am 16. Oktober beginnen

Am Sonntag blieben in Tibú die Stühle neben der EMC-Delegation, auf denen die Regierungsdelegation Platz nehmen sollte, lange leer. Deren Anführer Camilo González Posso musste gerufen werden. Er versuchte bis zuletzt herbeizuschaffen, was sich die Menschen so wünschen: endlich Waffenstillstand.

Und wo war der Friedensbeauftragte der Regierung? Danilo Rueda tauchte erst auf, nachdem die wütenden Bauern die Bühne gestürmt hatten – und überbrachte eine mit dem Präsidenten abgestimmte Botschaft. Das Dekret für den Waffenstillstand will die Regierung nun am 16. Oktober veröffentlichen – und damit formell die Gespräche für den Friedensdialog eröffnen. Dann soll auch der Waffenstillstand beginnen. Bis dahin sollen die „offensiven Operationen“ der Regierung gegen den EMC schon einmal ausgesetzt werden. Ein Schrittchen.

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2 Kommentare

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  • Hoffen wir, dass Kolumbien einiger der wenigen Weltregionen ist, wo es nicht schlechter, sondern besser wird. Verhandeln, verhandeln, selbst dann verhandeln, wenn alles düster aussieht und weiter verhandeln, selbst wenn es zu neuen Gewalttaten kommt - das scheint mir zu sein, was wir hoffentlich von Kolumbien lernen können. Friedensangebote auch dann machen, wenn die Gegner:innen sie sicherlich ablehnen werden, niemals behaupten, es gebe keinen Spielraum für Verhandlungen, mit Angeboten einseitig vorpreschen, auch wenn die andere Seite kein Interesse zu haben scheint. Das läuft dem Rache-Reflex entgegen, aber es dient der Menschlichkeit. Denn je mehr wir uns rächen, desto mehr Gewalt verübt die andere Seite.

    • @PolitDiscussion:

      Wahrlich weise Worte! Hier in Kambodscha wird es ja gerade auch wieder nur noch schlechter, als es ohnehin schon war. Jegliche Verhandlungen mit der (friedlichen) Opposition werden abgelehnt, und politische Gefangene werden weiterhin als Geiseln des Regimes festgehalten.