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Fans bei der FlandernrundfahrtFrietjes, Campinghocker, Kopfsteinpflaster

Die Flandernrundfahrt ist ein Volksfest. Dass Tadej Pogačar und Lotte Kopecky siegten, war fast Nebensache. Ebenso wie die dunklen Seiten des Sports.

Ein bisschen Chillen, ein bisschen Picknick, ein bisschen Radsport: bei der Flandernrundfahrt Foto: imago

Oudenaarde taz | Da stehen sie wieder, diese drollig gekleideten Radsportfanatiker. Zwei Stunden nach dem Ende der Flandernrundfahrt kommt der Bahnsteig des schmucken Örtchens Oudenaarde an seine Grenzen. Ein langer Tag liegt hinter den Männern und den paar Frauen, die sich nun auf den Heimweg machen nach Kortrijk, Gent oder Brüssel. Ein paar Gesichter sind verbrannt. Kein einziges Wölkchen hat diesen Tag getrübt, den sie irgendwo an der Strecke verbracht haben. Schon um 10 Uhr morgens sind viele angekommen, um sich mit Pendelbussen zu den gefürchteten Kopfsteinpflasteranstiegen am Paterberg oder zum Kwaremont bringen zu lassen. Da waren Fanzonen eingerichtet, sodass die Versorgung mit Bier, Würsten und Frietjes sichergestellt war.

Erschöpft wirkten die Radsportfans nach ihrem Tag an der Strecke. Ob sie ihre Ziele erreicht haben? Einen Blick auf die Stars erhaschen konnten? Leicht war das gewiss nicht. Schon am frühen Nachmittag gab es nur noch Plätze in der fünften Reihe an den Schlüsselstellen dieses Rennens.

Und die Tausenden, die sich kurz vor der erwarteten Zielankunft der Männer vor den Toren von Oudenaarde aufgemacht haben, dürften weder viel noch lange etwas von den Fahrern gesehen haben, die trotz strammen Gegenwindes die Zielgerade entlanggerast sind. Das ist vielleicht auch gar nicht so wichtig bei diesem Volksfest des Radsports, bei dem es den Fans auch darum geht, ihre Liebe zu diesem Sport öffentlich zur Schau zu tragen.

Trikots aus längst vergangenen Radsportepochen werden da noch einmal über die mit den Jahren prall gewordenen Bäuche gespannt. Und niemand hat ein Problem damit, wenn jemand in einer Trainingsjacke des einst im Dopingsumpf untergegangenen Teams Festina an der Strecke steht. So wie es an diesem Sonntag niemanden gestört hat, wenn er nicht viel vom Renngeschehen mitbekommen konnte. Und so richtig vom mitgebrachten Campinghocker wird es wohl niemanden gerissen haben, dass der Slowene Tadej Pogačar, der ja fast immer auf gespenstische Weise gewinnt, am Ende Erster wurde.

Belgische Momente

Auch über den Sieg von Lotte Kopecky im Frauenrennen, die vor der Französin Pauline Ferrand-Prévot und der bärinnenstarken Deutschen Liane Lippert über die Linie fuhr, wird niemand gestaunt haben. Es war ja schon ihr dritter bei der Flandernrundfahrt. Der Jubel über den Sieg der Belgierin war natürlich dennoch groß, laut und für all diejenigen, die ungünstig unter einem in die Höhe geworfenen Bierbecher standen, auch feucht.

Während des Männerrennens gab es schon einmal so einen belgischen Moment. Pogačar und Mathieu van der Poel, der andere Überflieger der Klassikergilde, hatten sich abgesetzt, und es war Belgiens Wout van Aert, der die Lücke, die die beiden gerissen hatten, wieder zugefahren ist. Wie ein Torschrei hörte sich das an, als der Anschluss gefeiert wurde.

Frauenrennen geschickt eingewebt

Später wurde viel geredet über die Wiederauferstehung des guten alten van Aert, der mit seinen zermürbenden Attacken mal als wahrer Showstar der Szene galt. Jüngst war er beinahe zur Lachnummer verkommen. Als er in der Woche vor der Flandernrundfahrt beim Halbklassiker Dwars door Flanderen nicht gegen den US-Amerikaner Neilson Powless gewinnen konnte, obwohl er in einer Vierergruppe zwei Teamkameraden an seiner Seite hatte, lachte halb Belgien über ihn. So lauthals, dass Weltmeister Pogačar den Belgier in Schutz genommen und die Grausamkeit der Radsportszene kritisiert hat. Nun, jetzt haben die Belgier van Aert ja wieder lieb, auch wenn er am Ende hinter Pogačar, der als Solist ins Ziel kam, dem Dänen Mads Pedersen und Mathieu van der Poel als Vierter ins Ziel kam.

Von Lotte Kopecky wurde natürlich auch geschwärmt. Vielleicht hätten ihr nicht ganz so viele Menschen zugejubelt, hätten die Veranstalter das Frauenrennen nicht so geschickt mit dem der Männer verwoben. Als die Frauen gegen Mittag ihr Rennen in Oudenaarde starteten, waren die Männer schon gut 100 Kilometer unterwegs. Kurz nach dem Start der Frauen passierte der Männerpulk den Ort und machte sich auf zu den schmalen Kopfsteinpflasteranstiegen, dann rasten die Frauen noch einmal durch Oudenaarde.

Stürze und Tote kein Thema

Und als beim vierten Anstieg auf den Kwaremont Pogačar allen davonfuhr, da wussten die Fans an der Strecke, dass jetzt gleich die Frauen über den Hügel müssen – und blieben. Als das Männerrennen schon entschieden war, verließen nur wenige die Fanzone am Zielraum, weil nun ja gleich die Frauen kommen würden. Am Ende gab es das gemeinsame Siegerbild von Pogačar und Kopecky in ihren Weltmeisterinnentrikots.

Ein schönes Bild zum Ausklang des Volksfests, zu dem viele auch mit dem Rennrad gekommen waren. Um so manchen Radlerhals hing noch die Medaille der Flandernrundfahrt für alle, die am Samstag stattgefunden hatte. Dass sich dabei zwei Freizeitsportler übernommen haben und an Herzversagen gestorben sind, war kein Thema am Tag des Profirennens. Auch über die zahlreichen Stürze – auch Mathieu van der Poel war in einen davon verwickelt – wurde nur kurz geklagt.

Der Radsport ist eben eine harte Sache. Die galt es zu feiern mit Bier, Wurst und Frietjes.

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