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Familientreffen

Wiedersehen nach fünfzig Jahren: Auf der koreanischen Halbinsel ist ein weiterer Schritt der Entspannung getan

TOKIO taz ■ Es waren emotionsgeladene Bilder, die das koreanische Fernsehen gestern in die Welt sandte. In Seoul und Pjöngjang trafen sich je hundert ausgewählte Familienmitglieder fünfzig Jahre nach dem Ausbruch des Koreakrieges (1950–53) das erste Mal wieder. Da fiel ein 70-Jähriger vor seinem 90-Jährigen Vater in konfuzianischer Ehrfurcht auf die Knie und rief mit tränenverströmten Gesicht: „Könnte doch die Mutter das miterleben.“ Betagte Geschwister, Kinder und Eltern umarmten sich bei den ersten Familienzusammenführungen, die am historischen Gipfeltreffen zwischen dem südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung und dem nordkoreanischen Führer Kim Jong Il im Juni vereinbart worden waren.

Drei Tage lang können die 200 Auserwählten nun Erinnerungen mit ihren Verwandten austauschen. Die Treffen finden in öffentlichen Hallen oder Hotels statt. Private Familienbesuche sind nicht erlaubt. Während das südkoreanische Rote Kreuz hundert Glückliche aus 76.000 Bewerbungen nach dem Alter ausgewählt hatte, reisten aus Nordkorea vorwiegend bekannte Persönlichkeiten und loyale Parteimitglieder nach Seoul. Die etwas undurchsichtigen Auswahlkriterien des Nordens wurden im Süden nur am Rande kritisiert, weil noch rund 10 Millionen andere Familienangehörige in Nord- und Südkorea ihre Verwandten bald einmal sehen möchten.

Im Vorfeld des Ereignisses schlossen schon Medienverantwortliche aus beiden Ländern in Pjöngjang einen „symbolischen Frieden“. Die Berichterstattung über das jeweilige Bruderland und seine Regierung soll in Zukunft „freundschaftlich“ ausfallen. Nordkorea bezeichnete bis vor kurzem die Regierung in Seoul als ein von den USA abhängiger Marionettenstaat, der keine Souveränität besitzt. Mit ähnlichem Geschütz schoss die konservative südkoreanische Presse gegen die stalinistische Führung in Pjöngjang. Allerdings wiesen Kritiker in Seoul darauf hin, dass sich die südkoreanische Presse mit der Vereinbarung eine Selbstzensur auferlegt habe, die in Zukunft eine kritische Berichterstattung über den Norden verhindern könnte. Gestern kündigte Südkoreas Präsident Kim Dae Jung auch an, das Anti-Kommunismus-Gesetz abzuschaffen, das bisher die Kontakte zum Norden strikt untersagt hatte.

Wichtiger für die sicherheitspolitische Großwetterlage in Nordostasien ist allerdings die Wiedereröffnung der Verbindungsbüros im Grenzort Panmunjom. Dort werden die beiden Staaten in Zukunft direkte Verhandlungen über vertrauensfördernde Maßnahmen führen. Trotz des politischen Tauwetters bleibt vor allem der Norden mit seinen Langstreckenraketen und einem riesigen Arsenal von biologischen und chemischen Waffen eine militärische Bedrohung für Südkorea.

„Die Südkoreaner sollten den Kopf nicht verlieren und kühl nachdenken, bevor sie finanzielle Zugeständisse und andere Konzessionen an den Norden machen“, meint Kim Jong Min, ein Politologe am Institut für Nordkoreastudien in Seoul. Kim warnt vor unrealistischen Hoffnungen auf eine frühe Vereinigung. Noch stehen die beiden Staaten technisch im Krieg, und auf beiden Seiten der Demarkationslinie sind rund eine Million Soldaten stationiert.

Schon 1985 waren ähnliche Hoffnungen aufgekommen, als unter dem nordkoreanischen Staatsgründer Kim Il Sung erstmals 50 Familienangehörige beider Seiten ihre Familien besuchen durften. Doch kurz danach brachen wieder Feindseligkeiten aus. Kim Jong Il erklärte am Samstag, dass die nächsten Familientreffen schon im Oktober folgen könnten. Millionen von Menschen hoffen nun, dass Kim sein Wort hält. ANDRÉ KUNZ

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