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Falsches Todesurteil in JapanJeden Tag drohte die Hinrichtung – über 33 Jahre lang

Weil Iwao Hakamada von 1968 bis 2014 unschuldig in der Todeszelle saß, erhält er die höchstmögliche Entschädigung. Anwälte sind trotzdem unzufrieden.

Hideko Hakamada kämpfte Jahrzehnte für die Freilassung von Iwao Hakamada, der nun freigesprochen und entschädigt wurde Foto: Kazuhiro Nogi/afp

Tokio taz | Ein japanisches Gericht hat Iwao Hakamada am Dienstag die staatliche Rekordentschädigung von 217 Millionen Yen (1,3 Millionen Euro) zugesprochen. Der inzwischen 89-jährige Japaner war 1968 zum Tode verurteilt worden, weil er angeblich eine vierköpfige Familie ermordet hatte. Nachdem sein Urteil 1980 rechtskräftig wurde, musste er über 33 Jahre lang jeden Tag damit rechnen, am nächsten Tag hingerichtet zu werden. Schließlich erkämpfte seine Schwester ein Wiederaufnahmeverfahren, bei dem Hakamada im letzten September freigesprochen wurde. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Polizei Beweismittel gefälscht hatte und Hakamadas Geständnis mit unmenschlichen Verhören“ abgepresst wurde.

Japans oberste Staatsanwältin Naomi Unemoto entschuldigte sich dafür, dass Hakamada „für eine beträchtlich lange Zeit in einem instabilen Rechtsstatus belassen“ wurde, und verzichtete auf Berufung, um diese Lage nicht zu verlängern.

Die Fälschung von Indizien diente jetzt als „Grundlage für die Festlegung der Höhe der Entschädigung“, erklärte nun das Gericht. Dabei stellte der Vorsitzende Richter fest, dass die 33 Jahre unter dem Damoklesschwert des Todesurteils „ex­trem starke“ psychische und physische Schmerzen für Hakamada mit sich gebracht hätten.

Nach Angaben seiner Anwälte berechnete das Gericht die Entschädigungssumme auf Basis der Gesamtdauer seiner physischen Inhaftierung von der Verhaftung bis zur Freilassung. Für jeden Tag erhielt Hakamada den vorgesehenen Maximalbetrag von rund 77 Euro.

Anwalt: Rekordsumme „wegen gefälschter Beweise“

Auf einer Pressekonferenz sagte einer von Hakamatas Anwälten: „Es ist nur natürlich, dass in einem Todesstraffall, in dem Fälschungen zugegeben wurden, die höchste Entschädigungssumme“ gewährt wird.

Doch halten die Anwälte sie für zu niedrig. Durch die jahrzehntelange Haft in der Todeszelle und die ständige Unsicherheit wegen der jederzeit drohenden Hinrichtung lebe Hakamada heute in einer „Wahnwelt“. Die Zentralregierung in Tokio habe ein „Vergehen begangen, das mit 217 Millionen Yen unmöglich wiedergutgemacht werden kann“.

Daher will das juristische Team den japanischen Staat separat auf Wiedergutmachung verklagen. In Japan ist die Wiederaufnahme eines Gerichtsverfahrens nur sehr schwer zu erreichen.

Hakamada ist der fünfte Todeskandidat, der einen erneuten Prozess erhielt. Alle fünf Verfahren endeten mit Freispruch.

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1 Kommentar

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  • Genau das ist der Grund, warum irreversible Strafen niemals verhängt werden dürfen. Die europäischen Staaten haben dies irgendwann, wenn auch sehr spät, erkannt. Andere Staaten glauben immer noch, dass ihre Strafverfolgungsbehörden unfehlbar seien.