Falsche Furcht vor Filmblogs: Spelunken tun dem Kino gut
Geht die Filmkritik am Internet zugrunde? Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte.
Das Kino war einmal ein neues Medium. Bei den einen rief es Verunsicherung, bei den anderen Begeisterung hervor. Weil es in seinen Anfängen dem Jahrmarkt und der Spelunke nahe war, begegnete ihm das bürgerliche Publikum mit Dünkel und kulturkritischen Vorbehalten. Wer sich für das Kino verwandte, hatte viele Gegner und das gute Gefühl, etwas gegen Widerstand durchzusetzen. Diese Zeiten sind vorbei; längst hat sich das Kino als Gegenstand der Akademien und des seriösen Feuilletons etabliert. Ein nicht mehr ganz so neues Medium, das Internet, hat heute mit ähnlichen Vorbehalten zu kämpfen. Jüngstes Beispiel dafür ist eine Polemik des Kölner Filmkritikers Josef Schnelle, der letzte Woche in der Berliner Zeitung gegen die Filmtexte, die im Netz zirkulieren, Stimmung machte.
Schnelle verteidigte die fundierte, professionelle Filmkritik der Printmedien gegen Blogs, die jeder Sachkenntnis entbehrten und sich mit ihren oberflächlichen Urteilen zum langen Arm der Marketingabteilungen machten. Und weil diese amateurhafte Art, über Film zu schreiben, immer mehr Freunde findet, sieht Schnelle die professionelle Filmkritik in Gefahr. Tatsächlich entlassen US-amerikanische Zeitungsverleger ihre Filmredakteure oder besetzen die Posten derer, die in Rente gehen, nicht neu. Ob das am Netz oder am Einsparungswillen der Verleger liegt? Eher an Letzterem. Und auch in Deutschland ist es nicht eine Website wie filmtagebuch.blogger.de, die das seriöse, lesenswerte, kenntnisreiche Feuilleton der Berliner Zeitung bedroht, sondern ein Geschäftsführer-Chefredakteur, dem an Rendite mehr liegt als an Qualität. Dabei ist Josef Depenbrock vor allem Symptom einer umfassenden Veränderung. Die Vorstellung davon, was Medien sind, wie sie funktionieren, wem sie dienen und was sie erwirtschaften, befindet sich im Wandel. Das hat auch mit dem Internet zu tun - ganz sicher aber nicht mit einzelnen Filmblogs.
Was Schnelles Anwurf zudem übersieht, ist die Qualität vieler Texte, die im Netz zu finden sind. Ekkehard Knörer, Autor auch für die taz, hat darauf in seiner im Netz erschienenen Replik hingewiesen und dort zahlreiche Seiten genannt (www.perlentaucher.de/artikel/4845.html). Unabhängig von gelungenen Einzelbeispielen sticht positiv hervor, dass im Netz andere Schreibweisen möglich sind als auf den Seiten der Zeitungen. Es gibt längere Texte oder radikal kurze, manchmal akademischere, manchmal persönlichere. Oft sind die Neugier und die Entdeckerfreude viel größer als im etablierten Filmfeuilleton, allein schon deshalb, weil sich die Autoren um den Terminkalender der Neustarts nicht scheren und von einer Cinephilie getrieben werden, die man im seriösen Feuilleton lange suchen muss. Klar, vieles ist schlecht geschriebenener Unsinn, aber in welchem Medium gibt es keinen schlecht gemachten Blödsinn? Diskreditiert der Blödsinn das Medium? Eben nicht.
Warum überhaupt soll man das Netz gegen die Zeitung ausspielen? Schließlich kann man sich beflügeln lassen von dem, was man auf www.nachdemfilm.de, auf parallelfilm.blogspot.com, auf newfilmkritik.de - um nur drei deutschsprachige Beispiele zu nennen - liest; man kann es einbinden in das, was man in der Zeitung schreibt. Wer sich einmal für die Schönheit eines neuen Mediums begeisterte, ist schlecht beraten, die Fähigkeit dazu zu verlieren.
CRISTINA NORD
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