Falsche Aufregung um Google Street View: Überall blinde Flecken
Der Aufschrei über das Fotografieren von Häusern ist wohlfeil. Die wahren Probleme beim Datenschutz sind unsichtbar und ungleich größer.
W as für eine Aufregung. Da fahren Google-Autos mit Rundumkameras auf den Dächern durch die Straßen, um Fotos für den Panoramadienst Street View zu machen. Und auf einmal schreien alle: Mein Haus, mein Auto, meine Privatsphäre! Das war vor etwa zehn Jahren so, als die Autos des US-Konzerns in deutschen Städten unterwegs waren. Und vermutlich wird es wieder so laufen, nun, da Google versucht, die für das Unternehmen unliebsame Pflicht zur Vorab-Verpixelung von Hausfassaden – Resultat der damaligen Aufregung – loszuwerden.
Dabei sind Bilder von Straßenzügen, Hausfassaden und Autos wirklich das kleinste Problem, wenn wir über Datenschutz im Internet sprechen. Mit jeder via Google Maps navigierten Fahrt entstehen mehr personenbezogene Daten, mit jeder über Gmail verschickten Nachricht, mit jedem Surfen im Google-Browser Chrome, mit jeder Anfrage bei Googles Suchmaschine, ja sogar mit praktisch jeder Bewegung im Netz, ganz ohne dass explizit irgendein Google-Dienst bemüht wurde.
Schließlich sind Googles Analysedienst und das Anzeigennetzwerk nahezu überall und nur mit einigem Aufwand zu umgehen. Der öffentliche Aufschrei über das Fotografieren von Häuserzeilen überstieg sogar die Irritationen, als zu einem späteren Zeitpunkt herauskam, dass die Street-View-Autos nicht nur Bilder der Umgebung, sondern auch Daten von drahtlosen Netzwerken einsammelten. Menschen versuchten, per Klage schon das Fotografieren selbst zu unterbinden.
Die Schieflage ist symptomatisch für den Umgang mit persönlichen Daten und das Engagement für deren Schutz. Dabei liegen im Unsichtbaren die größten Probleme. Und in der Unsichtbarkeit. Wären von Apps abgegriffene Standorte, Metadaten von Kurznachrichten, der beim Surfen entstehende persönliche Datenfußabdruck genauso sichtbar wie Hausfassaden – die Debatte wäre eine andere. Nicht nur unter den Nutzer:innen. Sondern auch bei denen, die über den politischen Umgang mit datensammelnden Diensten entscheiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr