Fake News in Lateinamerika und Corona: Strategie gegen das Chaos
In der Coronapandemie werden in Lateinamerika besonders viele Fake News verbreitet. Redaktionen gehen grenzüberschreitend dagegen vor.
Desirée Yépez hat seit Wochen alle Hände voll zu tun. „Wir bekommen täglich um die Hundert Anrufe und E-Mails mit der Bitte, Informationen aus den Medien oder sozialen Netzwerken zu überprüfen und kommen kaum hinterher“, sagt Desirée Yépez. Sie ist die Redaktionsleiterin von Ecuador Chequea, so viel wie „Ecuador überprüft“, einem Onlineportal, das seit Oktober 2016 Informationen verifiziert und richtigstellt.
„Seit Beginn der Pandemie ist die Zahl von Falschinformationen stark gestiegen. Das sorgt in einer chaotischen Situation für zusätzliches Chaos, Ängste werden geschürt, Panik gesät“, sagt Yépez. Sie und ihr siebenköpfiges Team beschäftigen sich ausschließlich mit der Verifizierung potenzieller Falschinformationen, die dann mit Grafiken, Aussagen und Hintergründen ins Netz gestellt werden und mit einer grünen, gelben oder roten Ampel als richtig, bedenklich oder falsch gekennzeichnet werden. „Für mich ist das Faktenchecken ein eigenes journalistisches Genre und in Zeiten der Pandemie noch wichtiger als zuvor“, so Yépez.
Widerlegt haben Yépez und ihr Team die Falschmeldung, dass Covid-19 eine Thrombose sei und keine Lungenerkrankung oder die in den sozialen Medien zirkulierende Nachricht, dass Leichen in Ecuador dem Meer überantwortet worden seien. „Die Fehlinformation wurde mit Bildern illustriert, die vom anderen Ende der Welt stammten. Aus Libyen, wo am 25. April 2014 nach einem Schiffsunglück die Leichen von afrikanischen Migranten angespült wurden. Das haben wir belegt.“
Aber auch Recherchen über die Kapazität der Bestattungsunternehmen in Guayaquil, dem Epizentrum der Pandemie in Ecuador, die durchschnittliche Zahl von Toten und die Übersterblichkeit hat die Redaktion gemacht. Erklärtes Ziel ist es die Leser aufzuklären, Fehlinformationen und Horrormeldungen nicht nur im Kontext der Coronakrise aufzudecken. Die Finanzierung für die Arbeit kommt von internationalen Organisationen, von Botschaften, aber auch von den Vereinten Nationen, mit deren Bildungsorganisation Ecuador Chequea kooperiert.
Journalistische Netzwerke bilden
Darüber wird transparent auf der Homepage informiert, genauso wie über die Zugehörigkeit zu Fundamedios. Die 2007 gegründete Nichtregierungsorganisation beobachtet die Medienentwicklung, engagiert sich für die Pressefreiheit, schult Journalisten, publiziert Studien zu Medienrealität in Ecuador und Lateinamerika und wird vor allem aus den USA finanziert. Dabei sind Fake News ein wichtiger werdendes Thema, worauf auch andere Organisationen wie die Fundación Gabo, die Medienstiftung des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez, aufmerksam macht.
Kampagnen zur Desinformation sind in vielen Ländern Lateinamerikas ein fester Bestandteil journalistischer Arbeit. Deshalb hat die Stiftung in ihren Blogs auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass in Kolumbien im Vorfeld des Plebiszits zum Friedensabkommen im Oktober 2016 gezielt Falschmeldungen zum Inhalt des Friedensabkommens lanciert wurden. Die hätten dazu beigetragen, dass das Plebiszit scheiterte. Daher gelte es Qualitätsjournalismus zu stärken, Netzwerke zu bilden.
Am 2. April, dem internationale Tag des Faktenchecks, hat die Stiftung eine Liste der lateinamerikanischen Medien veröffentlicht, die sich besonders engagieren. Darunter Colombiacheck, Ecuador Chequea, aber auch Chequeado aus Argentinien, die seit 2010 existierende Mutter des Faktenchecks in Lateinamerika. Mit den Kollegen in Argentinien ist Desirée Yépez von Ecuador Chequea eng vernetzt und auch im internationalen Fact Checking Network engagiert.
„Die Eindämmung der Desinformation ist keine nationale Aufgabe, sondern eine internationale und wir brauchen dafür immer mehr Qualifikationen“, meint Yépez. Dabei denkt sie an die Herkunft der systematisch gestreuten Fake News. Das sei eine immense Herausforderung, für die Ecuador Chequea derzeit die Kapazitäten fehlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja