Fake-Accounts zum Corona-Impfstoff: Blind vor Sehnsucht
Unbekannte gaben sich auf Twitter als Impfstoff-Ent-decker:innen aus – und die Leute fielen darauf rein. Aber es ist auch ganz schön trist gerade.
Ja, es reicht langsam auch wieder. Mit Corona, meine ich. Die Luft, das merken Sie sicher selbst, ist raus. Nun also auch keine Weihnachtsmärkte, kein Licht im grauen, verregneten November, kein Duft von Glühwein und Lebkuchen. Wenig bleibt da, das diese Zeit des Jahres irgendwie erträglich macht.
Als vergangene Woche ein Durchbruch bei der Suche nach einem Coronaimpfstoff bekannt wurde, leuchtete da aber doch etwas. Wenn auch für einen kurzen Moment. Keine Weihnachtsbeleuchtung, sondern Hoffnung.
Biontech, das Mainzer Pharmaunternehmen, verkündete, dass eine Zwischenanalyse seines Impfstoffs eine Wirksamkeit von 90 Prozent ergeben habe. Özlem Türeci und Uğur Şahin heißen die Leiter:innen des Unternehmens, die schon jetzt als nationale Held:innen gefeiert werden.
Hoffnung, oder anders: Sehnsucht nach einer besseren, virusfreien Welt ist es, die den Menschen durch diese schwere Zeit bringt, und ja, eben diese Sehnsucht ist es auch, die blind machen kann. Wie am Montag bewiesen wurde.
Wir wurden fahrlässig
Unbekannte hatten bereits seit Monaten auf Twitter drei Fake-Profile erstellt und sich als Özlem Türeci und Uğur Şahin ausgegeben. In kürzester Zeit sammelten die Accounts zum Teil rund 60.000 Follower:innen. In einem Tweet von Montag dann schrieb die vermeintliche Türeci: „Wenn alles weiterhin gut geht, liefern wir den Impfstoff Ende dieses Jahres und Anfang 2021 aus.“
Da war sie also wieder, die Hoffnung. Zahlreiche Twitter-User:innern, darunter viele Journalist:innen (und ja, auch ich), verbreiteten diesen Tweet. Wer weiß, vielleicht waren wir getrieben von der Sehnsucht nach einem Licht am Ende des grauen Coronawinters. Wir wurden fahrlässig.
Wer hinter den Fake-Accounts steckte, ist bislang unklar. Was mit der Aktion erreicht werden sollte, ist ebenso fraglich. Hatte da jemand Freude daran, mit unseren Ängsten und Wünschen zu spielen?
Etwas Gutes hatte das Auffliegen der Fälschung: Biontech hat nun den berühmten blauen Haken auf Twitter bekommen. Den erhalten Accounts, sobald sie verifiziert wurden.
Die gefälschten Accounts sind mittlerweile wegen Verstoßes gegen die „Richtlinie zu Identitätsbetrug dauerhaft gesperrt“. Das teilte Twitter netzpolitik.org mit. Unsere Sehnsucht, die bleibt trotzdem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen