Facebooks neue Briefmarke: Lizenz zum Spammen
Neue Experimente bei Facebook: Für 1 Dollar soll zukünftig eine digitale Briefmarke verkauft werden, mit der Facebook-Fremden eine Nachricht geschickt werden kann.
BERLIN taz | Was ist es einem privaten Nutzer wert, auch außerhalb seiner Facebook-Freundesliste Nachrichten verschicken zu können? Der blaue Netzwerkriese testet in den USA nun, ob Nutzer bereit sind, für die Möglichkeit, einmal die Woche auch außerhalb der eigenen Freundeslisten Kontakt aufnehmen zu können, einen US-Dollar auszugeben - für eine Nachricht.
Facebook sieht das Experiment der Senderbezahlung als eine potenzielle Möglichkeit, dem Spamproblem auf der Plattform Herr zu werden. Derzeit überarbeitet Facebook die Logik hinter dem komplexen Nachrichtensystem auf der Plattform. Die Nachrichtenfunktion, die bereits mit einer auf dem Instant-Messaging-Protokoll XMPP aufbauenden Chatfunktion und E-Mail-Funktionen (nutzername@facebook.com) verknüpft ist, gehört offenbar zu den Bereichen, in denen Facebook noch Potenzial für Wachstum und Monetarisierung sieht.
Und das tut auch Not: Facebook ist fast ein Jahr nach der Ankündigung des Börsengangs und nach einem guten halben Jahr an der Börse nach wie vor nicht zu der Geldmaschine geworden, die einige Anleger wohl gern gesehen hätten. Zwar hatte Mark Zuckerberg noch in den Börsengangpapieren klargestellt, dass Geldverdienen kein Primärziel des Unternehmens sei, doch offenbar hat das Management die Prioritäten nun etwas verschoben.
Denn trotz einer knappen Milliarde Nutzer ist Facebook nach wie vor nicht in der Lage, großes Kapital aus dieser Nutzervielzahl zu schlagen. Da kommen offenbar auch etwas obskure Ideen recht, wie die Wiedererfindung der Briefmarke unter anderen Umständen. 1 US-Dollar pro Woche für die Möglichkeit, anderen Nutzern als dem eigenen Freundeskreis zu schreiben, im Netz schon spöttisch als „Spamlizenz" bezeichnet, das klingt absurd.
Allerdings ist es gleich aus mehreren Gründen für Facebook reizvoll: zum einen sind zahlende Nutzer immer auch extern verifizierte, also als reale Personen geprüfte Nutzer zu verstehen. Zum anderen ist die schiere Masse an Nutzern hier Facebooks Kapital: wenn ein Hundertstel der Nutzer die neue Möglichkeit in Anspruch nehmen sollte, um zum Beispiel alten Bekannten zu schreiben, würde Facebook 10 Millionen US-Dollar mit einer Dienstleistung umsetzen, die sie kaum etwas kostet.
Das würde sicherlich auch die Aktionäre freuen, die auf Signale warten, dass ihr kursverlustträchtiges Investment irgendwann einmal doch noch Geld abwerfen könnte. Vielleicht ein Grund, dass das Experiment vorläufig nur in den USA verfügbar sein wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren