FUSSBALL MIT KINDERN HÄLT WACH: Ein Schalke am Himmel
Allons EnfanTs
vonLukas Wallraff
Vorrunde? Schnarch. Aber nicht mit Kindern. Für Menschen, die zum ersten Mal überhaupt eine EM sehen, ist fast alles spannend, und sei es die ungewohnt babyblassblaue Trikotfarbe der Türkei, die prompt zum Ausscheiden geführt hat. Oder die Hoffnung auf die erneute Einwechslung von Schweini! Da bleibt man wach bis zum Schluss – und wenn es ein grottiges 0:0 gegen Polen ist. Hat man sich schließlich hart erkämpft, das lange Aufbleiben. Und die Chips, deren Konsum die Eltern nur mit absurden Regeln bremsen können. „Jetzt macht mal Pause. Ab der 85. Minute dürft ihr wieder essen.“ Zum Glück wird all der Einsatz beim Fußball immer irgendwann belohnt. Und oft gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartet.
Wie bei Portugal gegen Ungarn. Yes! Da weiß ich wieder, warum ich den Kindern diese Sportart, nun ja, vorgeschlagen habe. Erst in der Halbzeit eingeschaltet, aber dann zack, Tor, hack, Tor, zack, Tor, zack, Tor. So soll es sein. „Ronaldo ist der Beste von Portugal“, stellt der Sohn (5) fachmännisch fest, als wäre das eine ganz neue, weltbewegende Erkenntnis. Ist es auch. Für ihn. Die Tochter (6), schon etwas abgeklärter: „Das war das bisher beste Spiel bei der EM.“ Aber noch ist Luft nach oben. Das beste Spiel des Jahres war es noch lange nicht. Das bleibt bis auf Weiteres natürlich das grandiose 6:2 des 1. FC Nürnberg gegen Union Berlin.
Unsere EM-Vorrundenbilanz: Neues Lieblingsteam: Kroatien. Island finden jetzt ja alle toll. Kroatien ist den Kindern näher. „Weil wir da im Urlaub hinfahren.“ Das zählt sogar mehr als die eigene Mitgliedschaft im Mädchenteam von Türkiyemspor. Aber bei den Kroaten ist halt auch mehr geboten. Perisic, Pyros, Prügeleien, live im Fernsehen. Bange Vaterüberlegung: ausschalten, um die Kinder vor bleibenden Schäden zu bewahren? Schwierig. „Ich will sehen, wie die sich schlagen“, fordert der Sohn und kritisiert: „Warum zeigen die das nicht genauer?“ Tja. Genau deshalb wahrscheinlich. Solches Verhalten sei verboten, gebe ich pflichtschuldig zu bedenken. Den Vorschlag, die Schuldigen zu töten, „mit einer Axt!“, weise ich als leicht übertrieben zurück.
Peinlichster Moment: Nach dem Spätspiel gegen Polen prompt verschlafen. Also, nicht die Kinder, sondern ich. Einzige gültige Ausrede: Das Nachtprogramm mit Waldemar Hartmann und Stefan Effenberg bei Markus Lanz. Fette Fußballmachos aus dem letzten Jahrhundert, die an unseren Weltmeistern herummäkeln und nach Führungsspielern rufen. Wer sich das freiwillig anschaut und nicht ins Wachkoma fällt, werfe den ersten Stein!
Größte Enttäuschung: Noch kein weiteres Clubtor. Vielleicht könnte man Leroy Sané gelten lassen, dessen Vater einst beim Club gespielt hat? Aber dafür müsste der Schalker erst mal eingewechselt werden.
Offene Frage: Wer hat mehr Einfluss auf den Sohn? Sein ornithologisch versierter Großvater oder ich? Blick aus dem Autofenster, ein Raubvogel fliegt vorbei. Und der Sohn schreit: „Schau mal, ein Schalke!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen