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FRANKREICH: KOMMUNALWAHL WAR KEINE TESTWAHL – UND TROTZDEM EINESozialisten müssen sozialer werden

130 Jahre nach dem Volksaufstand der Pariser Kommune haben die französischen Linken die Hauptstadt sowie die Großstadt Lyon erobert. Dieses Mal bei Wahlen. In diesen Gemeinden sind sowohl die Sozialdemokraten als auch die Grünen stärker geworden. Und der Staatspräsident und seine zerstrittenen konservativen Truppen haben zumindest in ihrer bisherigen Hochburg Paris ein erbärmliches Bild abgegeben.

Doch damit haben sich die erfreulichen Signale für die rot-rosa-grünen Parteien bereits erschöpft. Denn hinter den glänzenden Wahlsiegen von Paris und Lyon verbirgt sich eine ganz andere Realität im Land: Zahlreiche MinisterInnen und ExministerInnen – darunter sozialdemokratische, grüne und kommunistische – haben empfindliche Niederlagen bei den Kommunalwahlen erlitten. So hat die KPF ein historisches Desaster erlitten und neben ihrer letzten Großstadt, Nîmes, auch Rathäuser verloren, die ihr quasi zu gehören schienen. Vielerorts hat es eine massive Abwanderung zu linksradikalen Parteien gegeben, die sich auch bei der Stichwahl nicht zugunsten der Regierungskoalition auswirkte. Die Wahlbeteiligung ist auf Rekordtiefen gesunken – vor allem in den traditionellen linken Hochburgen.

Knapp ein Jahr vor den wichtigsten französischen Urnengängen – Präsidentschafts- und Parlamentswahlen – besteht damit für Premierminister Lionel Jospin und die Seinen vielfacher Handlungsbedarf. Er muss nicht nur der berechtigten Forderung der Grünen nach mehr Raum in der Regierung entgegenkommen, sondern er muss auch damit rechnen, dass die KPF ihren sozialdemokratischen Reformkurs der letzten Jahre infrage stellt, um die verlorenen WählerInnen am linken Rand zurückzuerobern. Für den komplizierten Balanceakt in der rot-rosa-grünen Regierung bedeutet das zahlreiche zusätzliche Schwierigkeiten. Zugleich muss die Regierung, die 1997 vor allem für eine soziale Politik gewählt worden ist, trotz der europäischen „Imperative“ eine Kehrtwende in dieser Richtung vornehmen.

Die französischen Konservativen hingegen, die bei diesen Kommunalwahlen Dutzende von Gemeinden dazugewonnen haben, werden sich zwar schwer damit tun, den Verlust von Paris und Lyon zu verschmerzen. Doch erfreuen sie sich im Landesdurchschnitt einer guten Gesundheit. Dazu trägt auch der Zuwachs an ihrem rechten Rand bei. Denn die französischen Rechtsextremen, die drei eigene Bürgermeistereien in Frankreichs Süden halten konnten, haben an zahlreichen anderen Orten Frankreichs zur Wahl der traditionellen Rechten aufgerufen und ihr Stimmen verschafft.

DOROTHEA HAHN

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