FINANZMINISTER EICHEL VERWEIGERT BUNDESHILFEN FÜR BERLIN: Watsche für Wowereit
Wer durch Berlin geht, sieht Armut: Parkanlagen und Schulen verfallen, weil Geld für die Sanierung fehlt. Sogar die Menschen sind, verglichen mit westdeutschen Großstädten, sagen wir: einfacher gekleidet – die hohe Arbeitslosigkeit, in Innenstadtquartieren mehr als 30 Prozent, hat die Taschen geleert. Wie den Leuten geht es dem Senat: Berlin ist pleite. Nicht einmal die Hälfte ihrer Ausgaben erzielt die Stadt durch Steuereinnahmen.
Nach jahrelanger Diskussion und wahltaktisch bedingten Verschiebungen hat sich gestern der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auf den Weg zu Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gemacht: zum Betteln. Bis zu 30 Milliarden Euro will Wowereit vom Bund, um den mit den Jahren gewachsenen Schuldenberg abzutragen. Die Summe ist hoch, aber angemessen. Denn ein Großteil der Berliner Haushaltsnotlage ist nicht selbst verschuldet, sondern strukturell bedingt. Im abgeschotteten Westberlin konnte sich keine international konkurrenzfähige Wirtschaft entwickeln, Großunternehmen und Know-how wanderten ab. Die allermeisten Betriebe im Osten der Stadt wurden seit 1990 abgewickelt. So wurde Berlin eine Kapitale ohne ökonomische Funktion: Großunternehmen, Banken, Börse sitzen in den alten Bundesländern, die beim Finanzausgleich stets knausern. Hauptstadteuphorie und New Economy haben den Niedergang der Industrie nicht ausgeglichen.
Natürlich ist auch Berlin an seiner Lage nicht schuldlos: Das milliardenteure Desaster bei der mehrheitlich landeseigenen Bankgesellschaft ist so hausgemacht wie der zögerliche Abbau teilungsbedingter Doppelstrukturen, etwa zweier Tierparks. Zudem leistet sich Berlin, etwa bei der Polizei, immer noch mehr Personal als vergleichbare Großstädte. Der SPD-PDS-Senat brachte hier bereits Sparmaßnahmen auf den Weg.
Das alles focht Bundesfinanzmister Eichel nicht an – er erteilte Wowereit trotzdem eine Absage. Möglich, dass er potenzielle Nachahmer in armen Ländern und Kommunen abschrecken, möglich, dass er Zeit gewinnen will. Denn bis sich Berlin Zahlungen vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten haben wird, werden Jahre vergehen. Zeit, die die Berliner nicht haben. RICHARD ROTHER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen