FDLR-Prozess in Stuttgart: Die Opfer bleiben anonym

Ist die Führung der FDLR für Kriegsverbrechen verantwortlich? Jetzt soll das Urteil gegen den Ex-Chef der ruandischen Hutu-Miliz fallen.

Richter im Stuttgarter Gericht

Die Eröffnung des prozesses in Stuttgart. Vier Jahre ist das jetzt her. Foto: imago/epd

STUTTGART taz | Fast viereinhalb Jahre dauerte die Hauptverhandlung, die Millionen von Euro kostete, fast sechs Jahre saßen die Angeklagten in Untersuchungshaft. Einer der längsten und komplexesten Strafprozesse der deutschen Justizgeschichte geht am Oberlandesgericht Stuttgart zu Ende.

Am kommenden Montag wird Jürgen Hettich, der Vorsitzende Richter des 5. Strafsenats, den 320. und letzten Verhandlungstag in der „Strafsache Dr. Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni“ eröffnen. Wenn das Urteil verlesen wird, entscheidet sich nicht nur, ob zwei Ruander schuldig gesprochen werden, eine terroristische Organisation geführt zu haben und für deren Kriegsverbrechen in der Demokratischen Republik Kongo verantwortlich zu sein. Es wird sich zeigen, ob die deutsche Justiz der selbst gesetzten Aufgabe gewachsen ist, im Ausland begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den Regeln des Internationalen Strafgerichtshofs aufzuklären.

Murwanashyaka und Musoni sind die zwei höchsten politischen Führer der Miliz „Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR), die aus dem Osten Kongos heraus einen bewaffneten Kampf gegen Ruandas Regierung führt. Hervorgegangen ist die FDLR aus den Resten der ruandischen Armee, die 1994 zusammen mit Hutu-Milizen den Völkermord an über 800.000 Tutsi in Ruanda verübte. Danach floh sie vor den Tutsi-Rebellen des heutigen ruandischen Präsidenten Paul Kagame in den Kongo. Sechs Jahre später gründeten die flüchtigen Hutu-Generäle im kongolesischen Lubumbashi die FDLR als ihre politisch-militärische Organisation.

Die Angeklagten, damals Hutu-Exilaktivisten mit Asylstatus in Deutschland, waren zu dem Gründungstreffen angereist. Murwanashyaka wurde 2001 FDLR-Präsident, Musoni 2004 sein erster Stellvertreter. Ihre Ämter übten sie bis zu ihrer Festnahme am 17.November 2009 von ihren Wohnsitzen in Baden-Württemberg aus, weswegen die Stuttgarter Justiz zuständig ist

Die FDLR unterhielt ab etwa 2003 im kriegsgeschüttelten Osten Kongos, den Kivu-Provinzen, einen Staat im Staate. Es gab Gesetzbücher, Buchführung, Gerichte, Schulen, Kirchen, eine Armee und eine Regierung, geführt aus der Ferne von Präsident Murwanashyaka. Als die Armeen Kongos und Ruandas im Jahr 2009 gemeinsam diesen Dschungelstaat zu zerschlagen versuchten, antwortete die FDLR mit Racheangriffen auf kongolesische Dörfer. Diese Angriffe – an erster Stelle die Zerstörung der tief im Wald liegenden Ortschaft Busurungi in der Nacht zum 10. Mai 2009 mit mindestens 96 Toten, aber noch eine ganze Reihe weiterer – sind Gegenstand des Verfahrens in Stuttgart.

Es nicht einfach, Kriegsverbrechen gegen eine bis heute militärisch aktive Organisation nachzuweisen. Ermittlungen im Kongo gab es nicht. Die Tatorte sind nicht zugänglich, mutmaßliche Täter schwer fassbar. Die Telefon- und Internetüberwachung der Angeklagten vor ihrer Festnahme war lückenhaft, dennoch sind die mehrere tausend Seiten umfassenden Abschriften erhellend.

Opfer berichten per Video

Als Zeugen befragt wurden lediglich ausländische Experten sowie demobilisierte ruandische FDLR-Kämpfer. Sie, die meist zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Flugzeug gesessen hatten und nach Europa gereist waren, saßen in Stuttgart ihrem einstigen Präsidenten erstmals direkt gegenüber und sagten entsprechend vorsichtig aus. Auch einige überlebende kongolesische Opfer wurden gehört – zu ihrem Schutz anonym per Video von einem unbekannten Ort übertragen, unter Komplettausschluss der Öffentlichkeit. Nicht einmal der Senat kennt ihre Identität.

Wie aus späteren Debatten vor Gericht hervorgeht, erzählten die Opfer von brutalen Verbrechen: Verschleppung in den Wald, Gruppenvergewaltigung, Anzünden von Häusern, Köpfen von Menschen. Die Verteidiger verweisen auf Unstimmigkeiten im Detail, was bei traumatisierten Zeugen normal ist, und erklären die Geschichten kurzerhand für erfunden. Dem setzt niemand etwas entgegen. Die Ankläger haben keine zusätzlichen Beweismittel. Der Senat hört keine Traumaexperten an. Die Opfer sind nicht, wie sonst international üblich, als zivile Nebenkläger vor Gericht vertreten und können sich nicht wehren. Es bleibt ein unangenehmer Nachgeschmack.

Am Ende stehen sich widerstreitende Überzeugungen gegenüber. Laut Bundesanwaltschaft ist Murwanashyaka als ehemaliger Oberbefehlshaber der FDLR für die Angriffe der Miliz verantwortlich, weil er sie nicht verhinderte. Das ist die sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit, Grundlage aller internationalen Kriegsverbrecherprozesse. Murwanashyaka, sagt Bundesanwalt Christian Ritscher in seinem Schlussvortrag, hatte sehr wohl faktische Tatverhinderungsmacht und hat davon keinerlei Gebrauch gemacht. Er war sich der Straftaten bewusst und unterließ es bewusst, dagegen etwas zu unternehmen. Er hat es nicht getan, weil er die Taten der FDLR in all ihren Scheußlichkeiten guthieß.“

Soldaten ohne politische Befehle

Murwanashyaka und seine Verteidigung behaupten hingegen, die FDLR-Streitkräfte, genannt Foca (Forces Combattantes Abacunguzi, die „kämpfenden Retter“) seien eine eigene, „souveräne“ Organisation, denen der Präsident nichts befehlen konnte. Vorgesetzter sei, so Murwanashyakas Verteidigerin Ricarda Lang, „wer aufgrund seiner Stellung Befehle und Führungsgewalt ausübt“. Befehle hätten die Soldaten aber nur von Militärs entgegengenommen, nicht von Politikern.

Die Anklage nennt Murwanashyaka und Musoni darüber hinaus „Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung“ gemäß § 129a des deutschen Strafgesetzbuches. „Die Tätigkeit der FDLR ist darauf gerichtet, Kriegsverbrechen zu begehen“, sagte Bundesanwalt Ritscher; es bestehe „kein anderer Zweck“. Die Verteidigung sagt, die FDLR habe den politischen Zweck, von Ruandas Regierung als Gesprächspartner anerkannt zu werden. Mögliche Taten von Foca-Soldaten, so sie stattfanden, seien nicht „getragen und gebilligt von der Gesamtorganisation, als Zweck und Ziel“, sagt Verteidigerin Lang.

Die Anklage tut sich schwer

Beide Verteidigerteams halten sich zugute, in den vier Jahren und vier Monaten Hauptverhandlung die Zahl der zur Debatte stehenden Verbrechen deutlich verringert zu haben. Von ursprünglich 16 verschiedenen Kriegsverbrechen, welche die FDLR laut Anklageschrift im Jahre 2009 im Kongo begangen haben soll, sind nur viereinhalb übrig geblieben. Beim Rest ist die Beweislage zu dünn.

Die Angeklagten bestreiten die fraglichen Angriffe nicht grundsätzlich. Sie bestreiten aber, dass es einen Befehl gab, Zivilisten zu töten, oder dass überhaupt Zivilisten dabei starben. Außerdem betonen sie, alle Angriffe seien „Gegenschläge“ gewesen. Die Bundesanwaltschaft sagt dazu: „Die FDLR hätte Sorgfalt walten lassen müssen und mit Zivilisten rechnen müssen, statt nachts mit Sturmgewehren draufzuhalten und zu töten, was vor die Flinte kommt.“

Präsident Murwanashyaka gab in seinem Schlusswort in der vergangenen Woche den Märtyrer. Dabei zeigte er, dass ihm mehr Details über Militäroperationen bekannt sind, als es dem von seinen Verteidigern gezeichneten Bild entspricht. Er äußerte seine „Zuversicht“, dass er „zwar eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren“ habe. Er wiederholte, dass dieser Prozess ein „rein politisches“ Verfahren sei, das die deutsche Regierung auf Bitten der „heutigen ruandischen Militärdiktatur“ führe. Am Ende verglich er den Vorsitzenden Richter Hettich mit Pontius Pilatus, einem „ehrlichen, aber ungerechten Richter“, sich selbst also implizit mit Jesus vor der Kreuzigung. Am Montag wird sich zeigen, was der Vorsitzende dazu zu sagen hat.

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