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Extremstudium in Goma9.000 Studenten und kein Klo

Die Universität Goma ist ein Sinnbild für den Zustand des Kongo. Auch ethnische Konflikte sind auf dem Campus präsent. Studiert wird dennoch.

Immerhin ist die Fassade frisch gestrichen – das Hauptgebäude der Universität von Goma. Foto: Simone Schlindwein

GOMA taz | Jedes Mal, wenn die Dampfwalze draußen vor dem Gebäude vorbeifährt, rieselt drinnen der Putz von der Decke. Der Boden bebt, die kaputte Glühbirne, die von der Decke hängt, schaukelt. Kambere Lumumba guckt nach oben und zieht den Kopf ein. „Irgendwann wird uns die Decke auf den Kopf fallen“, sagt er.

Der 23-jährige Studentensprecher sitzt in einem kleinen Raum im ersten Geschoss des bröckeligen Universitätsgebäudes in Ostkongos Provinzhauptstadt Goma. Drei weitere Etagen türmen sich über seinem Kopf: jahrzehntealtes Mauerwerk aus den „Glanzzeiten“ des Landes unter Diktator Mobutu Sese Seko, als Hochhäuser in Afrika noch Statussymbole der wirtschaftlichen Entwicklung waren.

Heute ist das Universitätsgebäude mit seinen vier Etagen zwar noch immer eines der höchsten Bauwerke in der Bürgerkriegsregion im Osten der Republik Kongo, wo sich die Rebellenbewegung des 23. März (M23) und die kongolesische Armee heftige Kämpfe lieferten. Doch das Hochhaus ist zum Sinnbild für den Verfall des Landes und der Ineffizienz der Regierung unter Joseph Kabila verkommen.

Die Universität in Goma gilt als Hochburg des Widerstandes gegen die Staatsmacht. Es gibt kein anderes Gebäude in dieser Millionenstadt, das so oft schon mit Wasserwerfern und Tränengas beschossen wurde, wie dieses. Die Fassade ist mit Einschusslöchern gesprenkelt.

Im Januar war die Universität ein Schlachtfeld. Landesweit protestierten Oppositionelle gegen eine Wahlrechtsreform, mit der Kabilas Amtszeit verlängert werden sollte. In den Großstädten des Riesenlandes gingen die Studenten auf die Straßen. Auch in Goma errichteten sie vor der Universität Straßenblockaden.

Kampf für Veränderung

„Lucha“ nennt sich die landesweite Studentenbewegung, übersetzt: Kampf für Veränderung. Die meisten Studenten in Goma gehören Lucha an. Sie kämpfen gegen Korruption und für mehr soziale Gerechtigkeit. Selbst wer in Kongo einen Masterabschluss hat, findet nur selten einen Arbeitsplatz, die Jobs werden meist innerhalb von Familien und nach ethnischer Herkunft vergeben. „Wir haben unendlich viel Frustration und Wut angestaut“, sagt Lumumba.

Die Wut richtet sich nicht nur gegen die Regierung in der entfernten Hauptstadt Kinshasa, sondern auch gegen die Zustände an der Uni. Obwohl der Putz von der Decke rieselt, und es in den Labors an Ausrüstung mangelt, steigen die Studiengebühren Jahr für Jahr: Seit 2012 haben sie sich von 125 Dollar auf 350 Dollar in diesem Semester mehr als verdoppelt. Dennoch nehme die Zahl der Studenten stetig zu, erzählt Lumumba, weil die Studiengebühren im Nachbarland Ruanda noch stärker gestiegen seien. Fast ein Viertel der Immatrikulierten sind Ruander aus der Schwesternstadt Gisenyi, gleich hinter der Grenze.

Bis zu 600 Studierende drängen sich mitunter in einen Vorlesungssaal mit 50 Stühlen: „Viele kommen morgens um vier Uhr an, um einen Platz zu ergattern. Um fünf ist der Saal schon voll“, sagt Lumumba. Er studiert Elektrotechnik – in einem Klassenzimmer ohne Stromanschluss, in einer Uni ohne fließendes Wasser, ohne Tafelkreide, ohne Computer.

Schusswaffen auf dem Campus verboten

„Der einzige Gegenstand, den die Unileitung in den vergangenen Jahren erneuert hat, hängt hier“, sagt Lumumba lachend und zeigt auf ein großes Schild mit einer durchgestrichenen Pistole am Geländer des Treppenaufgangs.

Der 21-jährige Mamadou Njangi trägt Flecktarnhosen und einen Schlagstock am Gürtel. Als Sicherheitsbeauftragter muss er täglich Prügeleien schlichten: „Ja, wir haben viel Gewalt auf dem Campus“, sagt er. Erst jüngst hatte es wieder Tote bei einer Schießerei gegeben: zwischen zwei rivalisierenden Banden unterschiedlicher Ethnien. Es ging um die Wahl des Studentensprechers, der traditionell zur Ethnie der Hutu gehört, die die Mehrheit der Bevölkerung in der Provinz Nordkivu stellt.

Doch als 2012 das Wahlgesetz geändert wurde, gewann ein Kandidat der Nande. Die von Hutus geführte Uni-Verwaltung erkannte die Wahl nicht an. Es kam zum Eklat: Hutu- und Nande-Studierende gingen aufeinander los, der gewählte Sprecher rannte davon. Lumumba, ein Hutu, ersetzte ihn. Der Bürgerkrieg setzt sich bis in die Uni hinein fort.

Die Tür fliegt auf. Stimmengewirr hallt durch die dunklen Flure. Studierende hasten die Treppen hinauf und hinunter. Es ist Mittagspause. Lumumbas Kameraden aus dem Studentenkomitee kommen herein: sein Vizesprecher Christian Tschisekedi, Aporte Mamadou und die Frauensprecherin Eve Nyota.

Die Namen sind Programm

Lumumba, Tschisekedi, Mamadou – die Namen von Gomas Studentenführern sind Programm. Sie wurden nach kongolesischen Volkshelden getauft: Patrice Lumumba, dem ermordeten ersten Premierminister des Landes nach der Kolonialzeit, Etienne Tschisekedi, dem ältesten noch lebenden Oppositionsführer.

Die hübsche 19-jährige Eve Nyota mit den rot lackierten Nägeln und geflochtenen Haaren ist Gomas einzige Elektrotechnikstudentin. Sie ist unter ihren Kommilitonen beliebt, denn sie kämpft für die Sanierung der Sanitäreinrichtungen. Für knapp 9.000 Studenten gibt es auf dem ganzen Campus keine einzige funktionierende Toilette.

Das Wasser ist ohnehin abgestellt: „Die Klos sind reine Seuchenherde, die kann man seit Jahren nicht benutzen“, sagt sie. Für die Studentinnen sei dies ein echtes Problem, vor allem an langen Unterrichtstagen. Die Jungen würden sich einfach am Rande des Basketballfeldes erleichtern. Dabei zahlten alle Studenten pro Semester 20 Dollar Gebühren für die Instandsetzung der Infrastruktur. Das ist viel Geld im Kongo, doch: „Das Geld verschwindet einfach in den Taschen des Dekans“, klagt Nyota.

Ein neuer Anstrich kaschiert die Risse

Draußen zieht die Dampfwalze ihre Bahnen und lässt das Fundament erbeben, Putz rieselt wieder. Immerhin, nach Ende des Bürgerkrieges im Jahr 2013 wird in Goma die Hauptstraße geteert. Auch das Unigebäude sieht seitdem adretter aus: Die zerschossenen Fensterscheiben wurden ersetzt, ein neuer Anstrich nimmt dem Hochhaus seinen schlimmsten Gruselfaktor: Tiefblaue Farbe überdeckt die Risse in den Wänden, lässt das dunkle Gebäude noch düsterer wirken.

Wieso Tiefblau? Lumumba erklärt: „Das ist die Farbe einer Telekommunikationsfirma, die hat das Gebäude als Werbefläche entdeckt und den Anstrich und die Fenster bezahlt.“

Am Nachmittag leeren sich das Treppenhaus und die Flure. Das Stimmengewirr verebbt. Lumumba geht den dunklen Gang entlang zu den Vorlesungsräumen: Harvard, Yale, Oxford, Cambridge steht auf den Türen. Der Studentenführer prüft, ob alle Türen verriegelt sind, damit nicht Banditen über Nacht die letzten Stühle klauen.

Es stinkt nach Urin und Fäkalien im Flur. Der Kontrast zu den amerikanischen oder britischen Eliteunis könnte nicht größer sein. Lumumba lacht und sagt: „Wir sind zwar keine Eliteuni, aber zu studieren in einem Land wie unserem ist schon ein Privileg.“

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2 Kommentare

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  • Wer diesen Text gelesen hat, versteht wahrscheinlich gleich viel besser, wieso die europäische und die US-amerikanische Konkurrenz die Absolventen aus sogenannten Entwicklungsländern (von ganz, ganz unten kann es eigentlich nur aufwärts gehen) dermaßen fürchtet, dass sie deren Abschlüsse nicht einmal überprüfen lassen will, bevor sie sie als unzureichend abqualifiziert. Eventuelle Bootsflüchtlinge jedenfalls werden lieber zum Nichtstun auf Staatskosten verdonnert, als sinnvoll eingesetzt in einer Ökonomie, die immer wieder medienwirksam klagt, sie fände angeblich kein qualifiziertes Personal, das sie sich leisten kann.

     

    Wer in Goma studiert hat, den kann vermutlich nicht so rasch etwas erschüttern. Die, die schon mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Maul geboren worden sind, tun sich hingegen manchmal etwas schwer mit Zumutungen aller Art. Wobei: An einen Zaun zu pinkeln, weil grade das Klo nicht funktioniert, ist auch in Deutschland eine ziemlich leichte Übung. Selbst für die Kinder der Privilegierten. Für die vor allem, fürchte ich. (Man gönnt sich ja auch sonst nicht all zu viel an Widerstand.) Zumindest, wenn sie männlich sind. Tja, so verschieden sind die Menschen eben nicht. Sie sehen nur verschieden aus.

  • Den Artikel finde ich interessant; ausgesprochen unangenehm fällt mir folgendes auf: Während die männlichen Protagonisten nur mit Namen und Alter eingeführt werden, wird bei Nyota gleich erstmal das Aussehen kommentiert ("Die hübsche 19-jährige ... mit den rot lackierten Nägeln und den geflochtenen Haaren"). Soweit ich sehe, tut das überhaupt nichts zur Sache. Was soll denn das?