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Expertin über sexualisierte Gewalt„Krieg gegen Menschenrechte“

Was bringt die UN-Resolution zum Schutz von Frauen? Ines Kappert spricht von einem Rückschritt und fordert ein Umdenken in der Außenpolitik.

Jesidinnen sind immer wieder Opfer sexualisierter Gewalt im Krieg (Symbolbild aus einem syrischen Flüchtlingscamp) Foto: imago images/ZUMA PRESS
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Kappert, ist die Resolution ein Erfolg?

Ines Kappert: Sie ist ein Rückschritt und ein Ausverkauf von Frauenrechten. Es ist genau das eingetreten, was wir als Netzwerk befürchtet und formuliert haben.

Was denn?

Das neue Regelwerk besagt nicht, dass Frauen, die vergewaltigt und ungewollt schwanger wurden, ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch haben. Sie haben keinen garantierten Zugang beispielsweise zur Gesundheitsversorgung. Das haben die USA explizit herausverhandelt.

Aber die Resolution besagt, dass Kinder besser geschützt werden sollen, die nach Vergewaltigungen geboren werden, genauso wie ihre Mütter geschützt werden sollen, die oft Stigmata ausgesetzt sind. Auch eine bessere Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt soll es geben. Ist das kein Fortschritt?

Erst zwingt man die Frauen, eine Schwangerschaft auch nach Vergewaltigung auszutragen. Und dann sagt man, na gut, ihr, die ihr kein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung habt, euch schützen wir besser. Das ist vergiftet. Wenn jetzt implizit festgeschrieben ist, dass selbst Vergewaltigung kein Grund ist, das Selbstbestimmungsrecht der Überlebenden in den Vordergrund zu stellen – auf welcher Grundlage soll sich die Strafverfolgung verbessern? Die Resolution zeigt die Ohnmacht der progressiveren Mächte.

Trotzdem: Ist es nicht besser, diese Resolution zu haben anstatt keine?

Das Problem liegt nicht darin, dass es kein Regelwerk, keine Selbstverpflichtung gibt. Es gibt die Resolution 1325 aus dem Jahr 2000 und Folgeresolutionen. Seitdem ist Vergewaltigung als systematisch eingesetzte Kriegswaffe anerkannt. Aber das Militär oder staatliche Institutionen, konservative bis reaktionäre Kräfte, verhindern oder verschleppen eine Strafverfolgung. Das Problem liegt darin, dass die bestehende Resolution nicht umgesetzt wird.

Im Interview: Ines Kappert

Ines Kappert, 49, leitet das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung. Das Institut ist Teil eines zivilgesellschaftlichen Netzwerks unter anderem mit der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale, Care Deutschland, UN-Women Deutschland und dem Frauenrat das zur UN-Resolution 1325 und dem Thema sexualisierte Gewalt in Konfliktgebieten arbeitet. Kappert arbeitete bis 2015 bei der taz.

Was genau müsste getan werden?

Die schwedische feministische Außenministerin Margot Wallström fordert, dass Außenpolitik insgesamt dahingehend überprüft werden muss, ob Menschenrechte in dem jeweiligen Land für alle Geschlechter, und auch für Frauen gelten. Sexualisierte Gewalt kommt nicht aus dem Nichts, sie entsteht dort, wo massiv ungleiche Strukturen herrschen. Das ist ein Kontinuum der Gewalt und häufig vor und nach bewaffneten Konflikten der Fall. Wir müssten also Strukturen aufbauen und unterstützen, die sexualisierte Gewalt aufbrechen. Die deutsche Außenpolitik hat in den vergangenen Jahren zwar verstärkt auf Konfliktprävention gesetzt – aber sexualisierte Gewalt hat dabei kaum eine Rolle gespielt. Bis zu Heiko Maas waren Menschenrechte für alle Geschlechter und Schutz vor sexualisierter Gewalt in der Außenpolitik Nebensache.

Das hat sich jetzt geändert?

Ja. Wir begrüßen sehr, dass der politische Wille da ist, das Thema hochzuziehen. Als VertreterInnen der Zivilgesellschaft haben wir das deutlich gemerkt. Wir wurden verstärkt eingeladen, es gab exzellente Veranstaltungen mit ExpertInnen und dem Auswärtigen Amt, es wird Wissen aufgebaut.

Trotzdem scheitert die Bundesregierung offenbar mit der Politik, die sie gerade verfolgt.

Ja, weil sie die Kräfteverhältnisse falsch eingeschätzt hat. Maas hat im Interview gesagt, niemand könne dagegen sein, Überlebenden sexualisierter Gewalt Rechte einzuräumen. Das ist blauäugig. Der Kampf gegen sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und anderen Geschlechtern ist ein Kernstück der rechten bis extrem rechten Ideologie, das diese wiederum mit einer konservativen Mitte verbindet. Es war deshalb auch keine Überraschung, dass die USA ihre Ankündigung von 2017 wahr gemacht haben, sämtlichen Organisationen, die Schwangerschaftsabbruch als Teil ihrer Arbeit anbieten, die finanzielle und politische Unterstützung zu entziehen. Laut US-Außenministerium geht es dabei um knapp 9 Milliarden US-Dollar. Es ist ein enormes Problem auch für die deutsche Außenpolitik, dass die USA offenbar keine Verbündeten in Sachen Menschenrechte mehr sind.

Bedeutet das für die Frauen- und Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen einen Stillstand auf absehbare Zeit?

Es ist ein Backlash. Die mächtigen USA, China und Russland führen einen Krieg gegen sexuelle Selbstbestimmung und Menschenrechte. Das muss erstens anerkannt werden. Und zweitens müssen neue Bündnisse geschlossen werden. Es braucht ein Umdenken.

Die Resolution zeigt die Ohnmacht der progressiveren Mächte

Bedeutet dies: Den Blick weg von der nächsten Resolution auf globaler Ebene hin zu kleineren Bündnissen oder auch der eigenen Haustür?

Ja. Es gibt Spanien, Schweden, Ruanda. Auch von einigen afrikanischen Ländern können wir lernen, wie mit sexualisierter Gewalt umgegangen werden kann. Es gibt große Geldgeber privater Natur, Bill Gates zum Beispiel. Auch das ist nicht unproblematisch. Aber wir müssen an Alternativen zum Sicherheitsrat arbeiten, wie er momentan besetzt ist.

Welche Rolle kann die EU dabei spielen?

In der gibt es selbst einen Rechtsruck und extremen Angriff auf Frauenrechte. Zumindest Großbritannien und Frankreich haben sich sehr kritisch zur Verwässerung der Resolution geäußert. Schweden oder Spanien sind in diesem Feld progressiv. Es macht Sinn, die Spielräume auszuloten.

Welche Rolle spielt Deutschland in diesen neuen Bündnissen?

Deutschland setzt die Resolution 1325 bislang nicht ausreichend um und hat etwa den Familiennachzug auch für Jesidinnen ausgesetzt. Deutschland könnte gemeinsam unter anderem mit Frankreich und Großbritannien viel mehr Ressourcen in die Unterstützung von Überlebenden stecken und in seiner momentanen prominenten Position Lobbyarbeit machen, damit andere AußenministerInnen sich des Themas annehmen.

Was kann man an der verabschiedeten noch Resolution retten?

Wir müssen jetzt an den positiven Bruchstücken wie einer besseren Strafverfolgung und dem Schutz von Überlebenden arbeiten. Wir müssen kritisch verfolgen, ob sich das in der Außen- und Sicherheitspolitik niederschlägt, ob es in Friedensverträge hinein verhandelt werden konnte, und wie viel Geld dafür aufgewendet wird.

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9 Kommentare

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  • Und wer steht da allen voran in der Kritik? Die UNO Friedenstruppen www.taz.de/!540105...ile2=1555200000000

    • @Vordenker112:

      "Allen voran" ist vom verlinkten Text nicht gedeckt. Wo haben Sie das her?

  • Mit Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird mir von der Interviewten zu oft das Recht auf Abtreibung gemeint. Ich meine dagegen: Das sind zwei Paar Schuhe.

    Recht auf sexuelle Selbstbestimmung meint m. E. das Recht, selbst zu bestimmen, ob, mit wem, wann und wie man Sexualität mit einem anderen Menschen ausüben will.

    Das Recht auf Abtreibung gibt es (auch) in Deutschland nicht - m. E. zu Recht. Abtreibung, also die Tötung eines ungeborenen Menschen, bleibt aber unter gewissen Bedingungen in Deutschland straffrei. Ich finde das eine vernünftige Regelung. Und ich möchte nicht, dass Feministinnen durch die Hintertür ein Recht auf die Tötung eines Menschen salonfähig machen. Das ginge mir zu weit, weil es hier nicht nur um einen Menschen geht, sondern um mindestens zwei: die Frau und den ungeborenen Menschen in ihr.

    Dass Menschen jedes Geschlechts, auch schwangere Frauen und ungeborene Kinder, jederzeit ein Recht auf medizinische Betreuung haben sollten, finde ich sehr wichtig. Dieses Recht darf nicht entfallen oder entzogen werden. Wenn dann eine Abtreibung erwogen, gut durchdacht und letztlich fachlich sauber ausgeführt wird, könnte das - wie in Deutschland - straffrei bleiben. Das ist etwas anderes als ein Recht auf Abtreibung, auch wenn das Endergebnis vielleicht dasselbe ist.

  • Die Schwedin Margot Wallström ist eine sehr gefährliche Frau, weil sie so naiv mit Diktatorinnen kuschelt, die was von Frauenrechten erzählen. Ich denke an eine schreckliche Person wie Sirleaf, Ministerin unter Charles Taylor, später Präsidentin, die von ihr protegiert wurde.

    Politik muss in den Nationalstaaten gemacht werden und Vergewaltigung gesellschaftlich geächtet und beobachtet. Man kann nicht von oben durch UN Resolutionen die Demokratien highlevel bevormunden. Das muss alles als Wandel von unten kommen.

    • @Ansgar Reb:

      Was hat deenn die "schreckliche Person" Ellen Johnson Sirleaf verbrochen, dass sie den Friedensnobelpreis erhalten hat?

      Wenn Vergewaltigung von unten nicht genug geächtet wird, wird es Zeit, dass es von oben bestraft wird.