Expertin über die US-Demokratie: „Ich mache mir große Sorgen“
Trump setzt in LA das Militär gegen die Zivilbevölkerung ein. Die Demokraten müssen jetzt Verantwortung übernehmen, sagt Cathryn Clüver Ashbrook.

taz: Frau Clüver Ashbrook, wie interpretieren Sie, was gerade in Los Angeles passiert? Und warum passiert das gerade jetzt?
Cathryn Clüver Ashbrook: In den letzten Wochen, und vor allem in den letzten Tagen, ist klar geworden, dass Donald Trump Schwierigkeiten hat, sein großes Haushalts- und Steuergesetz tatsächlich durch den Kongress zu bekommen. Nur mit diesem Gesetzespaket sind seine Umbaupläne für das amerikanische Wirtschafts- und Sozialsystem gesichert – die Funktion seiner Präsidentialdekrete wird immer wieder gerichtlich ausgehebelt. Er braucht diesen Erfolg zur Machtsicherung. Jetzt schickt er gegen den Willen des Bundesstaats Kalifornien Nationalgarde und Marines nach Los Angeles – in eine Situation, die sich in den letzten Tagen beruhigt hat und ohnehin nur sehr kleine Bereiche von Los Angeles betrifft. Man suggeriert einen faktischen Notstand, um von anderen innenpolitischen Problemen abzulenken.
taz: Das heißt, Sie glauben, dass die Entsendung von Nationalgarde und Infanteriesoldaten der Marines schon vor Beginn der Razzien oder irgendwelcher Proteste geplant war?
Clüver Ashbrook: Diese Art des Eingriffs in die Funktionalität einzelner Bundesstaaten schwebt Donald Trump schon seit der ersten Amtszeit vor. Schon damals wollte Trump den Insurrection Act von 1807 bemühen bemühen und das Militär verpflichten, gegen Zivilisten im eigenen Land vorzugehen. Das haben ihm damals Verteidigungsminister Mark Esper und der oberste US-General Mark Milley versagt. Milley ist dadurch auch persönlich zu Beginn der zweiten Amtszeit zur rachegetriebenen Zielscheibe von Donald Trump geworden. Der amerikanische Verfassungskontext lässt Protest und zivilen Ungehorsam zu, sogar bis zum öffentlichen Verbrennen der US-Flagge. Das gehört zum essenziellen Staatsverständnis. Diese demokratischen Freiheiten, die der erste Verfassungszusatz garantiert, stellt Donald Trump in Frage.
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taz: So ähnlich sagt das auch Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, der Trump eklatanten Machtmissbrauch vorwirft. Wie sehen Sie seine Rolle?
Clüver Ashbrook: Newsom prangert richtigerweise die Übergriffigkeit der nationalen Regierung an und klagt auch dagegen, genau wie die Bürgermeisterin von Los Angeles. Aber natürlich hat er auch große politische Ambitionen. Newsom ist kein klassisch progressiver Demokrat. Im Gegenteil. Auch er hat Politik gegen illegale Migration gemacht. Das gibt ihm jetzt das Argument zu sagen: Wir haben die Situation im Griff und brauchen keine Einmischung.
taz: Sowohl Joe Biden als auch Kamala Harris haben einen Wahlkampf mit der Warnung vor dem kommenden Faschismus geführt. Jetzt passieren all diese Dinge. Finden die Demokraten die richtige Antwort und Ansprache?
Clüver Ashbrook: Wenn die Mehrheiten in einem Zweiparteiensystem so sind wie jetzt, dann sind der Oppositionspartei in der eigentlichen politischen Gestaltung die Hände gebunden, solange die Mehrheit die Reihen geschlossen halten kann. Aber während etwa Verteidigungsminister Pete Hegseth 700 Marines nach Los Angeles schickt, werden genau diese Aktionen vom Haushaltsausschuss sehr kritisch geprüft, wird die rechtmäßige Belegung für einen solch drastischen Schritt gefordert – von Demokraten und Republikanern. Hier wird die demokratische Arbeit noch gemacht, und die Öffentlichkeit hat Zugang zu diesen Informationen. Aber dafür gibt es in den Medien kaum Platz – und gleichzeitig arbeitet die Trump-Regierung permanent daran, die Rechte des Kongresses einzuschränken, die Macht des Präsidenten zu stärken – so wenn zum Beispiel vom Kongress bewilligte Gelder gestrichen werden. Da wird dann Oppositionsarbeit kaum noch öffentlich wahrgenommen.
taz: Es scheint so, als ob die Idee des autoritären Staatsumbaus, wie sie im Project 2025 vorgezeichnet war, jetzt systematisch umgesetzt wird. Wie unaufhaltsam ist dieser Prozess?
Clüver Ashbrook: Die Umsetzung der Pläne aus dem Project 2025 ist massiv beschleunigt worden, aber genau deswegen ist vieles nicht so ordentlich gemacht worden, wie der Leitfaden es selbst fasst. Beispiel Bürokratieabbau: Der ging durch Elon Musk mit DOGE sehr schnell. Umgekehrt sind aber über das letzte Jahr 47.000 Menschen vorrekrutiert worden, um sie – je nach Bedarf – in eine ideologisierte Bürokratie wieder einzuspeisen. Da aber das Edikt zu Sparen plötzlich über der Effizienz stand, sehen wir in vielen Teilen des Apparats absoluten Stillstand, mit den entsprechenden Auswirkungen auf das öffentliche Leben in den USA, von Flugsicherheit, bis Lebensmittelsicherheit, bis zur Veteranenversorgung – mit tiefen Konsequenzen, die sich noch vollständig abzeichnen werden. Wichtigster Meilenstein für Trump ist derzeit die Steuer- und Haushaltsgesetzgebung, die aber viel mehr beinhaltet. Gravierende Veränderung in der wirtschaftlichen und sozialen Umverteilung im Land, neue Machtbefugnisse für das Weiße Haus – auch die Funktion sich über gerichtliche Entscheidungen hinwegsetzten zu können – der Big Beautiful Bill. Die MAGA-Republikaner wissen, was für ein revolutionäres Paket sie da um 3 Uhr morgens durchs Repräsentantenhaus gepeitscht haben. Denn es beinhaltet die Ermächtigungen, die Trump sich wünscht. Die werden dann zu Gesetzen – und wir haben in Polen und in Ungarn gesehen, wie schwer radikale, Demokratie-schädliche Gesetze wieder zurückzunehmen sind.
taz: Und in diese Situation kommt dann der Showdown in Los Angeles. Was wird es für Auswirkungen haben, wie das jetzt ausgeht?
Clüver Ashbrook: Amerika versteht sich als eine sich selbst korrigierende Demokratie. Diesem Verständnis stehen jetzt regressive Energien gegenüber – die im Übrigen nicht wirklich einen vollständig durchdachten Plan haben, wie zum Beispiel diese vermeintliche Reindustrialisierung der USA wirklich aussehen soll, von der die MAGA-Strategen sprechen – mit eingeschränktem Zugriff auf neue Arbeitskräfte aus der ganzen Welt, mit beschnittener wissenschaftlicher Freiheit. Amerika hat seine Stärke erst als diverse Nation entwickelt. All das steht in der ältesten verfassungsrechtlich gesicherten Demokratie jetzt auf dem Prüfstand. Ironischerweise ein Jahr vor dem 250-jährigen Jubiläum der amerikanischen Verfassung, das Donald Trump auch wieder mit einer Militärparade begehen möchte.Die kognitive Dissonanz zwischen den Zivilrechtlichen Errungenschaften einer Verfassungsordnung und den Bildern einer Militärparade sind kognitiv schwer in Einklang zu bringen.Das ist ein den eigentlichen Absichten der amerikanischen Verfassung diametral entgegengesetztes Verständnis.
taz: Aber damit steht Trump doch nicht mehr alleine da?
Clüver Ashbrook: Nein, wenn 32 Prozent der amerikanischen Bevölkerung in einer Umfrage aus dem letzten Februar angeben, sie würden sich eine starke Staatsführung oder die Staatsführung durch das Militär wünschen, dann sind da gesellschaftlichen Bewegungen im Gange, die von den MAGA-Strategen gut gelesen worden sind und für eine längerfristig angelegte politische Machtergreifung instrumentalisiert werden. Wir erleben eine Instrumentalisierung von tiefen Spaltungen und Verwerfungen in der amerikanischen Gesellschaft,die sich langsam über Jahrzehnte angebahnt haben, um die gesamte Gewaltenstruktur in den USA zu verändern mit verheerenden Auswirkungenfür die Funktionalität der Demokratie im Land.
taz: Glauben Sie, dass von Los Angeles jetzt doch der Beginn einer großen Protestbewegung ausgeht, die ja bislang seit Trumps zweitem Amtsantritt nicht zu sehen war?
Clüver Ashbrook: Die Konsequenzen der Migrationspolitik, der Wirtschaftspolitik, der möglichen Kürzungen in den Bereichen Sozialversicherung, Altenversorgung, Rentenversorgung, Versorgung der Ärmsten werden langsam sichtbar, und Trumps Politik wird sich nicht für jene auszahlen, mit denen MAGA in den vergangenen Jahren Koalitionen gesucht hat. Unmut entlädt sich im amerikanischen Kontext immer auf der Straße, und dort können sich auch neue Koalitionen bilden.
taz: Das müsste sich dann aber im Zweifelsfalle auch spätestens bei den Midterm Elections 2026 in Wählerstimmen kanalisieren lassen. Hat die Demokratische Partei tatsächlich aus ihren Niederlagen genug gelernt? Oder steht sie noch bei der Klage, Biden hätte bloß früher abtreten sollen?
Clüver Ashbrook: Die Aufarbeitung der Demokraten muss weit über die Biden-Regierung zurückgehen. Die beschleunigte Deindustrialisierung über die 80er und 90er Jahre und dann die Auswirkungen der Finanzkrise, die für viele Amerikaner das Ende des amerikanischen Traums darstellte – so groß waren die Verluste. Ganze Lebenspläne gingen dort verloren, die natürlich in der Kürze der Zeit, 2008 bis jetzt, nicht mehr reklamiert werden konnten. Und selbst da, wo sie reklamiert worden sind, war das Gefühl der Sicherheit weg. Das war die emotionale Grundlage im Land, auf der ein Donald Trump hat aufbauen können. Die Demokraten haben diese Entwicklungen in der amerikanischen Gesellschaft unterschätzt und sie zum Teil intellektualisiert, haben auf Nischenthemen gesetzt, die eine vornehmlich urbane Wählerklasse motiviert – nicht aber die Fläche erreicht. Unterm Strich fühlen die Menschen sich dann allein gelassen und entrechtet. Und das ist das, was die Demokraten zurückholen müssten.
taz: Haben Sie das Gefühl, dass daran ernsthaft gearbeitet wird?
Clüver Ashbrook: Es geht um Wählermotivation und um Zugehörigkeit. MAGA hat es geschafft Nichtwähler und Wechselwähler zu motivieren. Diese wählen seltener in Zwischenwahlen – eine Chance für die Demokraten. Aber noch ist die Strategie unklar: Sollte die Partei wie Elissa Slotkin, die Senatorin aus Michigan, vorschlägt, versuchen, Stimmen aus der Mitte, der Wechselwähler zurückzugewinnen? Dann bräuchte es eine Politik der Mitte. Links-Populisten wie Bernie Sanders verlangen nach einer radikaleren Antwort, die stärker mit Emotionen arbeitet. Oder gibt es doch einen Zwischenweg? Das ist der Findungsprozess, in dem sich die Demokraten gerade befinden. Und er muss schnell gehen.
taz: Bis zu den Midterm elections sind es nicht einmal mehr zwei Jahre.
Clüver Ashbrook: Die große Sorge, die viele haben, ist, dass das Wahlsystem in der Fläche bis zur Zwischenwahl 2026 so geschwächt und beeinflusst worden ist, dass es nicht mehr zu einer klassisch funktionalen Wahl kommen wird, was dann wiederum Einfluss darauf hat, wie sich bestimmte Mehrheitsverhältnisse weiter gestalten.
taz: Wie pessimistisch sind Sie, dass das amerikanische System diese Trump-Präsidentschaft nicht übersteht?
Clüver Ashbrook: Ich mache mir große Sorgen. Amerikanische Historiker weisen derzeit immer darauf hin, wie zersetzende Tendenzen sich durch die Geschichte des Landes ziehen – von denen sich die USA immer wieder erholt hat. Aber wir befinden wir uns jetzt an einem anderen Punkt. Heute spielen Interessen, Geld und Macht, Information und Technologie auf eine derart beschleunigte Weise zusammen, wie wir es in der Menschheitsgeschichte noch nie gesehen haben. Und während mich die vermeintlichen Erfolge der amerikanischen Geschichte optimistisch machen und mir ein Grundvertrauen in etwas geben, was man vielleicht „Resilienz der amerikanischen Seele“ nennen würde, ist die versuchte, politische Manipulierung tatsächlicher schwerwiegender gesellschaftlicher, sozialer, aber auch medialer Veränderungen nicht etwas, dem man tatenlos zuschauen kann, das wird von Amerikanern und Amerikanerinnen eine neuartige Anstrengung abverlangen. Ob sie das, wie vergangene Generationen, bereit sind zu leisten, ist noch unklar.
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