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Expertin über Pflegekräftemangel„Die Patienten sind gefährdet“

Die Pflegekräfte in Deutschland sind stark überbelastet, sagt Verdi-Bundesvorstand Sylvia Bühler. Sie fordert eine Mindestbesetzung in Krankenhäusern.

Viele Krankenpfleger in Deutschland sind wegen des Personalmangels überarbeitet Foto: dpa
Jörg Wimalasena
Interview von Jörg Wimalasena

taz: Frau Bühler, ein Pfleger betreut in Deutschland laut einer Studie durchschnittlich 10,3 Patienten. Ist das genug Pflege?

Sylvia Bühler: Ein ganz klares Nein. Deutschland hat die rote Laterne in Europa beim Verhältnis Pflegekraft zu Patient. Wir brauchen rund 70.000 zusätzliche Fachkräfte. Nach internationalen Maßstäben fehlen in deutschen Kliniken alleine in den Nachtschichten 19.500 Vollzeitstellen, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Der Personalmangel führt zu starken Belastungen beim Personal.Wie äußert sich das?

Viele verzweifeln. Sie möchten gerne gut pflegen, aber können ihrem Anspruch kaum gerecht werden. Oft fehlt ihnen die Zeit, um den Patienten genug Aufmerksamkeit zu schenken. Psychische Erkrankungen nehmen zu. Drei Viertel der Beschäftigten in der Pflege glauben nicht, dass sie ihrer Arbeit bis zur Rente nachgehen können. Das ist alarmierend. Durch den Stress werden dann auch die Krankenpflegekräfte häufiger krank.

Was bedeutet das für die Patienten?

Die Patienten sind durch den Personalmangel unmittelbar gefährdet. Nach einer OP müssen zum Beispiel regelmäßig Vitalzeichen kontrolliert werden. Wenn das wegen zu hoher Arbeitsbelastung nicht zu schaffen ist, kann das böse enden, wenn es eine Komplikation gibt. Unsere Mitglieder berichten von Patienten, die stürzten, weil sie nicht beim Gang zur Toilette begleiten werden konnten.

Warum stellen die Krankenhäuser dann nicht mehr Personal ein?

Im Interview: Sylvia Bühler

geboren 1968, ist Diplom-Sozialarbeiterin und Mitglied des Verdi-Bundesvorstands, Bundesfachbereichsleiterin für Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.

Die Länder investieren seit Jahren nicht genug in die Einrichtungen. Sie kommen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nach. Wenn die öffentliche Hand nicht in den notwendigen Ausbau eines Krankenhauses investiert, muss das Geld eben woanders herkommen. Dann sparen die Kliniken am Personal. Gerade private Betreiber von Krankenhäusern suchen nach jeder Stellschraube, um die Gewinne zu erhöhen und das Personal ist ein wichtiger Kostenfaktor. Deshalb gliedert man Bereiche aus oder setzt auf Werkverträge.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) scheint das Problem erkannt zu haben. Er fordert nun Personaluntergrenzen. Problem gelöst?

Nein. Wir begrüßen zwar den Vorstoß des Ministers. Denn es ist höchste Zeit, dass der Gesetzgeber aktiv wird. Allerdings spricht der Minister nur von Personalvorgaben für sogenannte pflegesensitive Bereiche wie Nachtdienste und Intensivstation. Wir brauchen aber eine umfassende Lösung für alle Pflegebereiche. Wir fordern ein Sofortprogramm. Eine Pflegekraft sollte nachts nie alleine arbeiten müssen und auch nur eine bestimmte Anzahl von Patienten betreuen. Deshalb muss der Gesetzgeber eine Mindestbesetzung vorschreiben.

Nun hat der Minister den Krankenhausbetreibern eingeräumt, bis Mitte 2018 eine gemeinsame Lösung mit den Krankenkassen zu finden.

Das zu delegieren finde ich verwunderlich, weil sich die Beteiligten bereits gegen umfassende verbindliche Vorgaben ausgesprochen haben. Wir sehen den Gesetzgeber in der Verantwortung, möglichst schnell klare Regelungen vorzugeben und nicht erst mit Wirkung ab 2019.

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1 Kommentar

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  • „Die Pflegekräfte in Deutschland sind stark überbelastet, sagt Verdi-Bundesvorstand Sylvia Bühler. Sie fordert eine Mindestbesetzung in Krankenhäusern.“

     

    Wieder ein Beweis dafür, dass es in den ärztlichen Einrichtungen massiv gespart wird.

     

    Dabei wurde erst kürzlich eine brandneue Gehaltsstudie herausgegeben. Piloten und Ärzte verdienen in Deutschland am besten.

    https://web.de/magazine/geld-karriere/gehaelter-deutschland-piloten-aerzte-verdienen-besten-32293894

     

    An Gehältern von Führungskräften spart man also nicht. Nochmehr verdienen die Geschäftsführer der Krankenhäuser. Das ist ein sehr lukratives Geschäft geworden.

     

    Wer zahlt eigentlich die Gehälter der Ärzte?

     

    Das Geld kommt von unseren Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen. Allerdings das variable Gehaltsanteil hängt stark von der Quantität ab, also davon wie viele Patienten ein Arzt in einem Monat/Jahr behandelt, operiert usw. Dazu ein passendes Zitat von FAZ:

     

    „Herzkatheter, neue Knie, künstliche Hüften. Deutschlands Ärzte greifen sehr schnell zum Skalpell. Schuld sind falsche finanzielle Anreize. Die Beitragszahler kostet das Milliarden.“

     

    Auch Pflegeheime bekommen das meiste Geld von der Stadt und ein Teil von pflegebedürftigen Menschen selbst. Hier wird sehr stark auf der Kostenseite gedrückt also an Menschen gespart.

     

    Für Menschen, die sehr viel zeit als Patienten und/oder Angehörige in den Krankenhäusern verbrachten ist so etwas sehr bitter.

     

    Und bei so etwas müssen wir Alle etwas dagegen tun oder sagen. Denn es ist unsre Gesundheit und die Gesundheit unserer Familienangehörigen! Und dafür leisten wir unsere Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, und nicht für die falschen monetären Anreize oder unverhältnismäßige Gehälter der Betreiber und Führungskräfte in den Krankenhäuser und Pflegeheime!