Exhumierung am Sandstrand: Nerudas letztes Geheimnis
Wurde Pablo Neruda ermordet? Um diese Frage zu beantworten, wird am Montag die Leiche des chilenischen Dichters exhumiert.
Es ist ein Wink der Natur, der ihm gefallen hätte. Dass ausgerechnet das Meer, dieses von ihm so zärtlich oder imposant besungene Element, verhindern könnte, die Ursache seines Todes endgültig zu klären, würde Pablo Neruda wohl als angemessenen Kommentar der Geschichte betrachten.
Denn wenn am Montag an einem Strand im Süden Chiles die sterblichen Überreste des chilenischen Dichters und Literaturnobelpreisträgers exhumiert werden, könnte just die beharrliche Kraft des Pazifischen Ozeans und seiner Feuchtigkeit verhindern, dass der Grund für Nerudas Tod zweifelsfrei geklärt wird, warnen die Forensiker.
Am 23. September 1973 verstarb Neruda in einer Klinik in Chiles Hauptstadt Santiago. Zuvor hatte der an Prostatakrebs leidende Poet in seinem Haus am Strand in Isla Negra am 11. September erleben müssen, wie die Militärs gegen seinen Verbündeten, den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, putschten und die Hoffnung auf ein anderes Chile im Blut ertränkten.
Auch das Blut Nerudas klebe an ihren Händen, er sei in der Klinik durch eine Injektion ermordet worden, mahnte Nerudas Chauffeur Manuel Araya lange auf verlorenem Posten. Schließlich verlangte auch die kommunistische Partei, Nerudas politische Heimat, die Exhumierung. Auch weil 2009 herauskam, dass Expräsident Eduardo Frei von Schergen der Militärs in einer Klinik ermordet worden war.
Angst vor Anklagen aus dem Exil
Die Vermutung, dass es auch Neruda traf, liegt da nahe. Nichts fürchtete die Diktatur mehr als wortgewaltige Anklagen aus dem Exil. Und wer wäre dazu prädestinierter gewesen als Neruda, der das Ticket nach Mexiko schon in der Tasche gehabt haben soll? Der Dichter wurde 1904 im ländlichen Süden Chiles geboren. Unter dem Eindruck der dortigen Weite und dichten Wälder begann der Sohn eines Eisenbahners zu dichten.
Doch Neruda schuf nicht nur ein enzyklopädisches Inventar der Geschichte und Natur Lateinamerikas, er machte im diplomatischen Dienst auch in etlichen Ländern Asiens und Europas Station. Politisches Engagement und Poesie waren für ihn dabei untrennbar verbunden, wie seine Hilfe für die Republikaner im spanischen Bürgerkrieg zeigt.
Ob ermordet oder nicht, ist da fast nebensächlich. Die Grausamkeit der Diktatur ist bezeugt. Den Tod brachten die Militärs Neruda am 11. September, als sie seine Hoffnung auf ein besseres Land begruben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden