: Exerzierfeld der Elemente
Der Strandwald auf der Halbinsel Darß, nordöstlich von Rostock, liefert sich einen ständigen Kampf mit dem Meer. Vom Dünenstreifen über Moorgebiete bis zum Hochwald umfasst der Nationalpark die unterschiedlichsten Lebensräume
von STEFAN SCHOMANN
Mitten im Darßwald frappiert uns ein Schild: „Altes Meeresufer“. Dabei liegt die Ostsee noch meilenweit entfernt. Rundum erstreckt sich dichter Wald, ein Specht trommelt, und ein Sprosser, die „Pommersche Nachtigall“ trällert Koloraturen. Nur der gewellte Boden erinnert unbestimmt an Maritimes.
Und tatsächlich: Je weiter wir nordwärts wandern, desto zahlreicher werden die Bodenwellen. Einstige Dünen sind es, bis zu 14 Meter hohe Wälle, von denen der Wald Besitz ergriffen hat. Während oben auf den „Reffen“ prächtige Kiefern und Buchen prangen, stehen unten in den „Riegen“ die Erlen bis zu den Knöcheln im Moorwasser. Wie die Jahresringe eines Baumes, so folgen helle Rücken und dunkle Senken aufeinander. Streifen um Streifen haben Wind und Wellen hier angelandet.
Wo heute Hirsche röhren und das Schwarzwild wühlt, kreuzten vor 2.000 Jahren die Schweinswale. Der über 6.000 Hektar große Wald ist heute Teil des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft. Von 1891 bis 1913 wirkte hier einer der Pioniere des deutschen Waidwerks, Ferdinand von Raesfeld. In den Dreißigerjahren regte der schwedische Naturforscher Bengt Berg die Einrichtung eines deutschen Urwildparks an. Göring, der am Weststrand ein Jagdhaus besaß, griff das Projekt auf, es wurde jedoch nicht zu Ende geführt. Auch zu DDR-Zeiten war der Darß ein bevorzugtes Jagdrevier der Machthaber. Im Oktober 1990 wurde er schließlich zum Nationalpark erklärt.
Vom Dünenstreifen über Moorgebiete bis zum Hochwald umfasst der Darß die unterschiedlichsten Lebensräume. Zu den Kostbarkeiten unter den Pflanzen zählen Orchideen, Seerosen und Schwertlilien. In den sumpfigen Senken finden Reptilien und Amphibien beste Bedingungen. Hirsche, Rehe und Wild-schweine bevölkern den Wald in großer Zahl. Am Rande des Parks leben Fischotter, in der Mündung des Prerowstroms haben sich wieder Robben angesiedelt. Neben einer Vielzahl von Küstenvögeln gehört der Seeadler zu den besonderen Attraktionen. Im Frühjahr und im Herbst erlebt die Region ein einzigartiges Naturschauspiel, wenn viele tausende von Gänsen, Schwänen und Kranichen hier Station machen.
Das Naturmuseum Darßer Ort, ein romantischer Außenposten an der Nordspitze der Halbinsel, bildet ein lohnendes Ziel für Wander-, Rad- und Kremsertouren. Die naturkundliche Ausstellung macht mit der Boddenlandschaft vertraut, der alte Leuchtturm gewährt einen herrlichen Blick über Land und Meer. Als duften-de Wärmestube erfreut sich das Café großer Beliebtheit. Das ganzjährig geöffnete Haus bietet auch Exkursionen an, zum Bei-spiel geführte Nachtwanderungen.
Die kleine Ausstellung im Leuchtturmhaus vermittelt auch eine Ahnung von der schleichenden Gewalt der Naturkräfte, die hier am Werke sind. Der Darß bildet den Schauplatz eines ewigen Dramas der Elemente, eines Kampfes zwischen Land und Meer.
Während die Nordküste peu à peu wächst, erleidet die Westküste dramatische Verluste. Die See nagt am Strand, beißt im Winter bei Sturmhochwasser ganze Landstücke heraus. Zu den Helden der Landstreitkräfte zählen die so genannten Windflüchter am Weststrand, Kiefern mit Sturmfrisur, die den Attacken in vorderster Front standhalten und deren Schicksal doch besiegelt ist – die nächste Sturmflut wird ihnen den Boden unter den Wurzeln fortspülen.
Eine Wanderung entlang der Hauptkampflinie hoch am Weststrand gehört zu den großartigsten Naturerlebnissen unserer Breiten. Links Brandung, rechts Waldesrauschen – man möchte jauchzen vor Glück.
Zurück geht es im tiefen, wogenden Darßwald mit seinem Farnflor, mit Schwertlilien, Rohrkolben und Fliegenpilzen groß wie Brotzeitteller. Über den Lichtungen prangt wie ein Deckenfresko der Himmel in ständig wechselnden Lichtstimmungen und Farben. Wolken wie Fabelwesen und Schwärme von Gänsen und Kranichen ziehen darüber hin. Hier ist die Schöpfung noch in vollem Gange.
Auskunft: Nationalparkamt, Am Wald 13, 18375 Born, Tel. 03 82 34/50 20.Fremdenverkehrsverband Fischland/Darß/Zingst, Tel. 03 83 24/64 00.Anreise: Mit der Bahn bis Ribnitz-Damgarten oder Barth, von dort gibt mehrmals täglich Busverbindungen auf die Halbinsel.
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