Ex-Verfassungsschützer über Reformpläne: „Eine Schnapsidee“
Der Politologe und Ex-Verfassungsschützer Thomas Grumke hält nichts von einer Zentralisierung des Verfassungsschutzes. Reformen brauche es woanders.
taz: Herr Grumke, Innenminister Thomas de Maizière will den Verfassungsschutz zentralisieren und dessen Landesämter abschaffen. Eine gute Idee?
Thomas Grumke: Nein. Das ist eine Schnapsidee.
Warum? Im Fall Anis Amri gab es womöglich Abstimmungsprobleme zwischen den Sicherheitsbehörden, der Islamist verschwand vom Radar. Hätte da eine starke Zentrale nicht geholfen?
Soweit ich weiß, hatte man sich abgestimmt. Auch hatte der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen schon lange die Verhaftung Amris gefordert. Das aber ist nicht passiert. Das Versäumnis liegt in diesem Fall also eher bei der Justiz oder den Ausländerbehörden. Und leider nicht nur dort: Die Justiz weigert sich viel zu häufig, Gefährder in Haft zu nehmen oder zu halten. Das ist ein Problem.
De Maizière begründet seinen Vorschlag auch damit, dass Verfassungsfeinde letztlich immer auf den ganzen Staat zielten – und sich daher auch der ganze Staat wehren müsse.
Ja, klar. Aber damit kann man doch kein Ende des Föderalismus begründen. Der zentrale Punkt ist doch: Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist ein Koloss. Und er arbeitet nicht anders oder besser als die meisten Landesämter. Da wäre mit einer Vergrößerung nichts gewonnen.
Ein besserer Austausch?
Der klappt doch längst viel besser: etwa durch das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Berlin, wo alle Sicherheitsbehörden zusammensitzen.
Wo also liegt das Problem?
Der Verfassungsschutz ist juristisch völlig überregelt und beschäftigt sich zu oft mit sich selbst. Der Verwaltungsapparat wächst und wächst. Ein nicht kleiner Teil der Arbeitszeit geht mit dem Schreiben von Protokollen und internen Berichten drauf. Und bis heute ist die Ausbildung des Personals bescheiden. Das Gros der Beschäftigten in Führungspositionen sind Verwaltungsjuristen. Wirkliche Fachexperten fehlen, stattdessen wird auf den Generalisten gesetzt, der von Stelle zu Stelle rotiert. Da bleibt die Analysequalität am Ende auf der Strecke.
46 Jahre, Politologe und Rechtsextremismusforscher an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW. Von 2004 bis 2012 war er Referent beim Verfassungsschutz NRW. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er das Buch „Der Verfassungsschutz: Grundlagen. Gegenwart. Perspektiven?“
Hat der Verfassungsschutz nicht zuletzt etliche Islamwissenschaftler und IT-Spezialisten eingestellt?
Ja, aber die sind in der Regel nur Zuarbeiter und für höhere Karrieren nicht vorgesehen. So bleibt die Führungsetage doch wieder unter sich und alles beim Alten.
Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Zuallererst muss sich der Verfassungsschutz intern gänzlich anders aufstellen. Der Verwaltungsapparat müsste radikal reduziert und das Juristenmonopol in den Führungspositionen gebrochen werden. Nicht der überall einsetzbare Generalist sollte gefördert werden, sondern der Spezialist, der sich tief in ein Thema einarbeitet. Und es bräuchte eine eigene obligatorische Verfassungsschutzausbildung für den gehobenen Dienst, die kompetentes Personal hervorbringt.
Und was muss konkret zur Terrorbekämpfung geschehen?
Angesichts der gestiegenen Bedrohungslage sind der teils überbordene Datenschutz und die strikte Trennung von Verfassungsschutz und Polizei überholt. Es wäre viel gewonnen, wenn beide Behörden genauer wüssten, wie die jeweils andere Seite denkt und arbeitet. Das künstlich hochgehaltene Verbot, Daten nicht austauschen zu dürfen, wird bei den derzeitigen Terrorgefahren zum erheblichen Hemmnis. Dafür haben unsere europäischen Nachbarn schon lange kein Verständnis mehr.
Das Verbot hat seinen Grund: Aus der NS-Erfahrung einer allmächtigen Gestapo.
Das hatte 1949 und in der Folgezeit auch seine Berechtigung. Im Jahr 2017 aber ist das überholt. Ich will aber vor etwas anderem warnen.
Und zwar?
Die direkte Verhinderung von Anschlägen oder Straftaten ist Aufgabe der Polizei, nicht des Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutz hat dafür weder den Auftrag, noch ist seine Arbeit auf die Verfolgung von Einzelpersonen ausgerichtet, seien es nun Straftäter oder Gefährder. Seine Aufgabe liegt vielmehr in der Analyse, wie sich solche Personen radikalisieren und wie sie vorgehen. Diese Kompetenz zu schärfen, daran sollte jetzt vordringlich gearbeitet werden.
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