Ex-Taliban-Gefangener Bowe Bergdahl: US-Soldat als Deserteur angeklagt
Fünf Jahre lang war US-Soldat Bowe Bergdahl in der Hand der Taliban. Nun wirft ihm die US-Armee Fahnenflucht und Fehlverhalten gegenüber dem Feind vor.
NEW YORK taz | Zehn Monate nachdem er gegen fünf Guantánamo-Insassen ausgetauscht wurde, wird der US-Soldat und ehemalige Taliban-Gefangene, Bowe Bergdahl, in den USA wegen „Fahnenflucht“ und „Fehlverhalten gegenüber dem Feind“ angeklagt. Colonel Daniel King, ein Sprecher der US-Armee, erklärte am Mittwoch, dass der Soldat sich vor einem Militärgericht dafür verantworten müsse, dass er seine Truppe im Juni 2009 unerlaubt verlassen habe. Im Falle seiner Verurteilung droht dem 28-jährigen Bergdahl eine lebenslängliche Haft.
Bergdahls Anwalt, Eugene Fidell, reagierte auf die Anklageerhebung mit der Veröffentlichung eines Textes, in dem sein Mandant erstmals die Bedingungen beschreibt, unter denen er fünf Jahre als Gefangener der Taliban verbracht hat. Ihm wurde gesagt, dass ihm Ohren und Nase abgeschnitten und er exekutiert würde. Er wurde mit Metallkabeln verprügelt. Er war an ein Bett gekettet. Seine Augen waren verbunden und an den Handgelenken hatte er „8 bis 12“ Wunden von den Fesseln.
Die Geschichte des Soldaten Bergdahl ist fester Bestandteil der US-Wahrnehmung des Afghanistan-Krieges seit 2009. Der junge Mann aus Idaho hatte sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet und erwartete offenbar Gutes von der US-Armee. Doch seine Illusionen überlebten im Krieg nicht lange. In einem Brief aus Afghanistan klagte er schon bald über „nicht existierende Führung“ und Mangel an gesundem Menschenverstand seiner Vorgesetzten. Und er schrieb, die Zukunft verdiene es nicht, „mit Lügen verschwendet zu werden“.
Am 30. Juni 2009 – zwei Monate nach seiner Ankunft in Afghanistan – verließ er nachts seine Kampfeinheit. In der Basis ließ er seine Waffe zurück, sowie einen Zettel mit der Mitteilung, er sei mit dem Krieg nicht einverstanden. Wenig später fiel er in die Hände der Taliban.
Von der US-Regierung alleingelassen
Mit ihrer Kampagne „Free Bowe“, sorgten die Eltern und einige JungendfreundInnen dafür, die Erinnerung an ihn lebendig zu halten. Der Vater, Robert Bergdahl, ließ sich einen Vollbart wachsen, lernte Pashtu und flehte in Videos die Taliban-Kommandeure an, seinen Sohn freizulassen. Er fühlte sich von der US-Regierung alleingelassen.
Am 31. Mai vergangenen Jahres drehten die Taliban ein Video, das über die Bildschirme der Welt flimmern sollte. Es zeigt die Landung eines US-Hubschraubers in einer Berglandschaft, US-Soldaten, die zwei vermummten Männern die Hände schütteln und die den Gefangenen abtasten, bevor sie ihn in ihre Maschine führen und – weniger als eine Minute nach ihrer Landung – wieder abheben. Der Propagandafilm endet mit der Botschaft: „Komm nicht zurück nach Afghanistan“.
In Washington trat am selben Tag Präsident Barack Obama zusammen mit den Eltern Bergdahl im Rosengarten am Weißen Haus vor die Kameras und erklärte, die USA würden ihre kämpfenden Männer und Frauen nie im Stich lassen. Gleichzeitig begannen Republikaner, die sonst den Patriotismus der kämpfenden US-Soldaten hoch leben lassen, eine Kampagne gegen den US-Präsidenten wegen der Befreiung von Bergdahl.
Parallel dazu meldeten sich in den Medien andere Soldaten aus Bergdahls Einheit zu Wort. Sie nannten ihn einen „Verräter“ und „Deserteur“. Und warfen ihm vor, seine unerlaubte Entfernung von der Truppe sei für den Tod mehrerer Soldaten bei der Suche nach ihm verantwortlich. Militärische Ermittler begannen unmittelbar mit der Prüfung einer Anklage. Für den Vorwurf, Bergdahls Flucht habe andere US-Soldaten das Leben gekostet, haben sie allerdings keine Belege gefunden.
Bis heute seine Eltern nicht wiedergetroffen
In Idaho setzten die Freunde und Verwandten von Bowe Bergdahl ihre Begrüßungsparty nach Gewaltdrohungen ab. Der befreite Bergdahl wurde in eine Kaserne in Texas gebracht. Zunächst zur medizinischen Versorgung, dann zur Arbeit in der militärischen Verwaltung. So weit bekannt, ist er bis heute nicht nach Idaho gefahren. Und hat auch seine Eltern nicht getroffen.
Im Kongress hält die Empörung über den Gefangenenaustausch an. Die Republikaner kritisieren vor allem zwei Dinge: dass das Weiße Haus den Kongress nicht vorab über den geplanten Gefangenenaustausch informiert habe. Und dass die fünf Guantánamo-Insassen, die als Preis für Bergdahls Befreiung nach Quatar gebracht wurden, gefährliche Taliban seien. Unter ihnen waren ein früherer Innenminister, ein Vize-Verteidigungsminister und ein Geheimdienstdirektor des Taliban-Regimes.
Der Vorwurf, der Gefangenenaustausch sei ein schwerer Fehler gewesen, bekam neue Nahrung, als bekannt wurde, dass einige der fünf ehemaligen Guantánamo-Insassen aus Quatar neuen Kontakt zu Terroristen gesucht hätten. Doch die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, erklärte am Mittwoch in einem Interview mit rechtskonservativen Sender Fox News: „Ob es sich gelohnt hat? Unbedingt!“
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