Ex-Minister über Israels Annexionspläne: „Trumps Plan ist idiotisch“
Wenn Israel einen Teil des Westjordanlands annektiert, sei die Anerkennung des palästinensischen Staates an der Zeit, sagt Ex-Minister Jossi Beilin.
taz: Herr Beilin, möglicherweise wird Israels Regierung zum Stichtag 1. Juli Teile des Westjordanlands annektieren. Der Begriff Frieden hat in der israelischen Kultur lange eine zentrale Rolle gespielt, heute scheint das Wort eine negative Bedeutung bekommen zu haben.
Jossi Beilin: Das glaube ich nicht. Wenn man sich die öffentlichen Meinungsumfragen anschaut, dann ist es richtig, dass Menschen vor 25 Jahren Frieden noch für eine realistische Hoffnung hielten. Heute sind sie viel pessimistischer. Aber es ist nicht so, dass Frieden an sich zu einem schlechten Wort geworden wäre. Wäre es so, dann hätte Trump seinen idiotischen Plan nicht „von Frieden zu Wohlstand“ genannt.
Trump hat einen merkwürdiger Friedensplan vorgelegt. Die Verhandlungen wurden ohne Beteiligung der Palästinenser*innen geführt. Der Plan beinhaltet auf unklare Weise die Annexion von Teilen des Westjordanlands. Auf dem Rest des Gebiets, einem völlig zerlöcherten Gebiet im Westjordanland, wird den Palästinenser*innen unter unmöglich zu akzeptierenden Konditionen ein eigener, aber nicht souveräner Staat angeboten.
Dieser Plan hätte nie auf den Tisch gelegt werden dürfen. Der Plan hat keinen Friedensinhalt, aber in ihm werden all die Worte benutzt, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Zwei-Staaten-Lösung geschaffen wurden: Landtausch, Hauptstadt des palästinensischen Staates im so genannten al-Quds …
Jahrgang 1948, war Wirtschafts- und Justizminister. Als Vize-Außenminister begleitete er den Oslo-Friedensprozess.
Die israelische Hauptstadt auf einem Teil des Jerusalemer Gebiets würde also weiterhin Jerusalem heißen und der palästinensische Teil al-Quds …
… nur haben sich die Begriffe völlig ihrer ursprünglichen Bedeutung entleert. Wenn man sich den Trump-Plan durchliest, wird deutlich, dass er die gleichen Prinzipien wie etwa die Clinton-Parameter und die Genfer Initiative verwendet, aber dies sehr knauserig gegenüber den Palästinensern.
Die Clinton-Parameter sind Richtlinien für eine permanente Friedensvereinbarung, die 2000 nach dem Scheitern von Camp David von dem damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton vorgeschlagen wurden. Die Genfer Initiative haben Sie gemeinsam mit dem palästinensischen Politiker Jassir Abed Rabbo gegründet, auch dabei geht es um eine dauerhafte Friedenslösung.
Ja, aber David Friedman, der lächerliche amerikanische Botschafter in Israel, der eigentlich der Botschafter der Siedler ist und die rechte Hand Netanjahus, hat etwas vorgeschlagen, das Israel niemals gefordert hat. Netanjahu hat all die Jahre von strategischen Grenzen am Jordanfluss gesprochen, seit 40 Jahren ist Israel dort präsent, trotzdem hat Netanjahu niemals Annexion vorgeschlagen. Und plötzlich wird es so eine wichtige Sache. Das macht keinen Sinn, besonders wenn man bedenkt, dass wir seit 1994 nach Osten keine Frontlinie haben wegen des Friedensvertrags mit Jordanien.
Warum, glauben Sie, hat Trump es vorgeschlagen?
Ich glaube, Trump wollte etwas Großes tun. Wenn nicht Frieden mit Nordkorea, dann vielleicht Frieden zwischen Israel und den Palästinensern. Und wenn nicht Frieden, dann irgendwas für Israel. Womit er auch seine evangelikalen Unterstützer bedient. Netanjahu ist intelligenter, er nutzt Trump als Möglichkeit und sagt: „Es gibt eine historische Chance.“ Trump sagt: „Du willst 30 Prozent des Westjordanlands annektieren? Kein Problem. Wir sind hier im Selbstbedienungsladen.“
Glauben Sie, dass Netanjahu mit seiner Ankündigung Ernst machen wird?
Er hat sich selber in eine Situation gebracht, aus der er kaum noch herauskommt. Selbst wenn er im tiefen Innern wissen mag, dass es nicht so weise ist, es zu tun. Vor allem, wenn man die Risiken in Betracht zieht. Ein Risiko ist das demografische. Wenn wir anfangen, das Westjordanland zu annektieren, werden wir im Handumdrehen eine jüdische Minderheit haben, die eine arabische Mehrheit beherrscht, in Israel, in Gaza und im Westjordanland. Wenn irgendjemand sagen will, das sei keine Apartheid, ist das in Ordnung, aber es wird eine Form von Apartheid sein. Was bisher noch nicht der Fall ist. Die anderen Risiken sind unklar. Wie reagiert die internationale Staatengemeinschaft? Wird es zu Gewaltausbrüchen kommen?
Wie geht es Ihnen mit dem Gedanken an eine Annexion?
Schrecklich. Warum brauchen wir das? Keine der bisherigen Regierungen hat von Annexion gesprochen, nicht einmal die sogenannten „Falken“ Menachem Begin, Ariel Scharon, Jitzchak Schamir.
Israelische Ministerpräsidenten, die sich am rechten Rand bewegten …
Sie wussten, dass es nicht nötig ist. Und auch, weil einige von ihnen glauben, dass es irgendwann eine Lösung geben wird. Aber auch die Annexion von Jerusalem 1967, inmitten der euphorischen Stimmung nach dem Sechstagekrieg 1967, war eine große Übertreibung. Man konnte verstehen, dass Israel einen Quadratkilometer der Altstadt annektierte. Aber siebzig Quadratkilometer zu annektieren, mit 28 arabischen Dörfern, die nichts mit Jerusalem zu tun hatten, nur weil es möglich war …
In der EU wird derzeit hitzig diskutiert, wie eine Reaktion auf eine Annexion aussehen sollte. Was würden Sie der EU nahelegen?
Erstens: Die EU ist nicht präsent genug. In Israel herrscht die Ansicht, dass das Thema nicht auf ihrer Agenda ist und nur Lippenbekenntnisse kommen. Abgesehen von einem Besuch von Außenminister Heiko Maas in Israel, bei dem er die Palästinenser*innen nicht persönlich getroffen hat, sollte eine Delegation der Außenminister in die Region kommen und mit den Jordaniern, den Palästinenser*innen und den Israelis sprechen. Zweitens: Ich kämpfe gegen den BDS, aber wenn es zu einer solchen verderblichen Entscheidung des Staates Israel kommt, einseitig einen Teil des Territoriums zu annektieren und das Interimsabkommen mit den Palästinensern zu brechen, dann ist vielleicht eine Anerkennung des palästinensischen Staates an der Zeit. Denn dann wird die Landnahme als Annexion eines Gebiets wahrgenommen, das einem anderen Staat gehört. Die EU als solche wird nicht Palästina anerkennen, aber einzelne Mitgliedsstaaten können dies tun.
Wie optimistisch sind Sie, dass es im Nahen Osten einmal Frieden geben wird?
Wäre ich Pessimist, hätte ich die Friedensfrage nie angefasst. Aber die Hauptfrage ist: Machen wir das Richtige, um Frieden voranzutreiben, oder nicht? Frieden passiert nicht von allein. Es braucht genügend Leute, die für Frieden kämpfen wollen, und es braucht Anführer, die bereit sein müssen, ermordet zu werden. Aber es gibt keinen Grund, dass es keinen Frieden geben sollte, wir haben einen langen Weg hinter uns, Lösungen zu finden. Wir haben einige Richtlinien und wir wissen genau, wohin wir gehen müssen. Nicht mit dem idiotischen Trump-Plan. Sondern mit den Clinton-Parametern und der Genfer Initiative.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking