Ex-Keeper Golz über Zoff beim FC Bayern: „Der erste Torwart ist der Chef“

Richard Golz erklärt, was die Beziehung zwischen Torwarttrainer und Torhüter besonders macht und warum Manuel Neuer vermutlich große Probleme hat.

Manuel Neuer drückt Torwarttrainer Tapalovic etwas in die Hand

Wie ein altes Ehepaar: Manuel Neuer (r.) und Toni Tapalović haben sich nicht viel Neues zu sagen Foto: imago

taz: Herr Golz, Torwarttrainer spielen in der Wahrnehmung der Fußballfans kaum eine Rolle. Verwunderlich klingen deshalb für viele die Worte, mit denen Manuel Neuer die Entlassung seines Torwarttrainers Toni Tapalović beim FC Bayern beschrieb. „Ich hatte das Gefühl, dass mir das Herz herausgerissen wurde.“ Sind derart symbiotische Beziehungen typisch?

Richard Golz: Typisch würde ich nicht sagen. Aber es ist wichtig, dass man ein gutes Verhältnis zu seinem Torwarttrainer hat. Nach elf Jahren wundert es mich nicht, dass sie ein gutes Verhältnis haben, zumal er ihn auch aus Schalke mitgenommen hat.

Was macht die Beziehung zwischen einem Torwart und seinem Trainer so besonders?

Der Torwarttrainer ist ja ein absoluter Spezialist und ich kenne keinen Mannschaftstrainer, der gesagt hat, beim Torwart kenne ich mich aus. Mittlerweile ist es so, dass die Trainer gar in öffentlichen Statements Autorität abgeben und sagen, der Torwarttrainer entscheidet. Er ist der Fachmann, weshalb man ein sensibleres Verhältnis zu seinem Torwartrainer hat. Ein gutes Verhältnis ist auch deshalb wichtig, weil der beste Trainer einem nichts beibringen kann, wenn nicht auch eine persönliche verbindende Ebene da ist.

Über die Ausbildung von Torhütern hat man sich lange wenig Gedanken gemacht. Wann hatten Sie Ihren ersten Torwarttrainer?

Mit 30 Jahren, als ich 1998 nach Freiburg kam. Da war der Torwarttrainer Karsten Neitzel nebenbei noch Assistenztrainer und hat die zweite Mannschaft trainiert und hat sich in das Thema reingearbeitet.

54, stand beim Hamburger SV, SC Freiburg und Hannover 96 im Tor. Als Torwarttrainer arbeite er für den HSV, Hertha und das türkische Nationalteam. Sein Sohn Jakob ist Torhüter des Drittligisten Rot-Weiss Essen.

Neitzel war in seiner aktiven Karriere Feldspieler. Konnten Sie ihn als Torwarttrainer ernst nehmen?

Na ja, ich war schon mal froh, dass sich überhaupt jemand um mich gekümmert hat. Da muss man sehen, woher man kommt. Von daher war das eine hundertprozentige Verbesserung.

Torhüterlegende Sepp Maier fing 1994 beim FC Bayern als Torwarttrainer an und gilt als einer der Pioniere. Zuvor soll schon der ehemalige Speerwerfer Rolf Herings beim 1. FC Köln Toni Schumacher ausgebildet haben.

Aber eher im athletischen Bereich. Da ging es dann um hoch und weit springen und schießen. Ich glaube nicht, dass sie irgendwelche torwartspezifischen Übungen gemacht haben.

Sie haben gesagt, Neitzel habe sich da reingearbeitet. Wie sah das aus?

Die meisten Torwarttrainer waren Autodidakten. Es gab schon vereinzelt Literatur oder Material dazu. Das war sehr begrenzt. Er hat sich schon das ein oder andere angeguckt und dann auch im Austausch mit mir gesagt: Lass uns mal überlegen, wie das aussehen kann. Wir haben uns das erarbeitet.

Nach Ende Ihrer Karriere waren Sie selbst Torwarttrainer. Hatten Sie denn eine Ausbildung?

Es gab so Fortbildungen, aber noch keine Lizenz. Ich habe mich viel inspirieren lassen und ausgetauscht, war viel auf Sportplätzen unterwegs, habe vor Spielbeginn das Aufwärmtraining der Torhüter beobachtet und natürlich meine eigenen Erfahrungen einfließen lassen. Ich habe beim HSV im Nachwuchsleistungszentrum das Torwarttraining neu aufgestellt. Eine spannende Zeit, aber das war eigentlich nicht machbar.

Warum?

Ich war für die U15 bis U23 verantwortlich. Aber auch da galt: besser ein Torwarttrainer als keiner. Wir haben viel in Torhütergruppen aus verschiedenen Jahrgängen trainiert. Mittlerweile finde ich die Entwicklung fast schon überdreht. Das Torwartteam ist oft eine Mannschaft in der Mannschaft. Es wird zu viel isoliert trainiert. Das Torwartspiel ist komplex und ich habe im Training im Torwartteam zu wenig komplexe Situationen, um richtige Entscheidungsfindungen zu üben.

Wie schaut es mit der Hierarchie in einem Torwartteam aus?

Ich glaube, dass auch heute noch der erste Torwart ein großes Mitspracherecht hat. Wenn der zum Torwarttrainer sagt, schieß mir bitte den ganzen Tag oben rechts die Bälle rein, weil da habe ich eins reingekriegt, dann macht er das in der Regel auch. Heute wird nicht mehr so viel aus dem Bauch gemacht, aber der erste Torwart ist immer der Chef.

Manuel Neuer hat sich beim Skifahren einen Unterschenkelbruch zugezogen und muss sich zurückkämpfen. Vermutlich wiegt in solch einer prekären Lage die Entlassung des vertrauten Torwarttrainers besonders schwer.

Das ist schwer zu beurteilen, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Tatsache ist, dass der ganze Spaß den FC Bayern wahrscheinlich 20 Millionen gekostet hat. Man hat als Torwart und Mensch gewiss Gefühle in so einer Situation, aber man muss beide Seiten sehen.

Von außen betrachtet kommt die Verpflichtung von Yann Sommer kombiniert mit der Torwarttrainerentlassung einer Degradierung von Neuer gleich. Würde ein schweigender und duldsamer Neuer nicht an Autorität und damit vielleicht auch an Qualität auf dem Platz verlieren?

Also in dem Bereich geht es nur um Eitelkeit. Ob Manuel Neuer den zehnten Pokal gewinnt oder das zwanzigste Mal Meister wird, das interessiert den nicht. Da geht es um Eitelkeit, das steht über allem. Man könnte es an Neuers Stelle eigentlich auch anders sehen.

Wie meinen Sie das?

Der Torwarttrainerwechsel könnte ein neuer Impuls sein, der ihn vielleicht sogar besser macht. Nach elf Jahren Arbeit mit demselben Torwarttrainer gibt es keine Innovation mehr. Und dann ist ja noch die Frage, wie lange kann Neuer noch auf welchem Niveau spielen?

Was glauben Sie?

Wir kennen alle die medizinische Situation nicht. Vielleicht stehen die Chancen auf ein Comeback bei 50:50. Vielleicht steht der Gedanke im Raum, dass er es nicht schaffen könnte. Als ich gehört habe, dass Tapalović beurlaubt wurde, war mein erster Gedanke: Neuer wird nicht mehr spielen.

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