Ex-Kaufhaus Galeries Lafayette: Geduldete Besetzung für Bibliothek in Berlin
Eine geduldete Besetzung des Ex-Kaufhauses an der Berliner Friedrichstraße wirbt für einen Umzug der Bibliothek. Doch die Vorzeichen stehen schlecht.
Seit über einem Jahr wird in Berlin darüber diskutiert, ob die drei Standorte der ZLB – neben der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) in Kreuzberg und dem Standort Breite Straße in Mitte gibt es noch das Außenmagazin am Westhafen – unter ein gemeinsames großes Dach in die Friedrichstraße ziehen sollen. Seit Jahren weist die ZLB darauf hin, dass es mit den beengten Verhältnissen in den maroden Gebäuden nicht weitergehen könne. Ein Neubau am Blücherplatz neben der AGB war im Berliner Zuständigkeits-Wirrwarr versackt. Die Lafayette-Idee dagegen elektrisierte die Bibliotheksszene von Anfang an.
Doch passiert ist nichts. Vor ein paar Tagen hatte Finanzsenator Stefan Evers (CDU) noch einmal deutlich gemacht, dass es „für das Jahr 2025 keine Veranschlagung für eine entsprechende Maßnahme gibt“. Also: kein Geld. Doch die ZLB will die Idee eines Umzugs nicht einfach so abschreiben. Die Bibliotheksfreund:innen haben über 18.000 Unterschriften für ihre „Jahrhundertchance“ gesammelt, mit Unterstützung von Kultursenator Joe Chialo (CDU) kontinuierliche Lobbyarbeit dafür gemacht.
An diesem Donnerstag dann haben sie die nächste Stufe gezündet, mit einer „Besetzung“ genannten Öffnung des leerstehenden Gebäudes für den Publikumsverkehr – geduldet vom Eigentümer, dem US-Immobilieninvestor Tishman Speyer. Zwischen 14 und 18 Uhr waren die Berliner:innen eingeladen, sich selbst davon zu überzeugen, dass die Friedrichstraße die beste aller Möglichkeiten ist, fernab der Ideen eines Umzugs ins ICC, ins Tempelhofer Ex-Flughafengebäude, ins Warenhaus am Alex oder eben eines Neubaus am Blücherplatz.
Spontane Idee
„Wir geben nicht auf. Wir wollen zeigen, dass es Sinn macht, in dieses Gebäude umzuziehen“, sagte ZLB-Sprecherin Anna Jacobi schon vor dem großen Tag zur taz. Die Idee war erst vor zwei Wochen entstanden und dann mit Hochdruck verfolgt worden. Die ZLB nutzte den Vormittag im Gebäude dann gleich noch für ihre Mitarbeiter:innenversammlung. Kurz vor der Eröffnung für den Publikumsverkehr zeigte sich Jacobi aufgeregt: Sie habe die vergangenen Tage „abwechselnd Angst gehabt, dass keiner kommt – oder die ganze Stadt.“
Als Security-Mitarbeiter pünktlich die Pforten öffneten, bestätigte sich keines der beiden Szenarien. Ein erster Schwall von etwa 20 Menschen betrat das weitläufige Erdgeschoss mit dem zentralen Lichtkegel in der Mitte. „Das ist so ein krasses Gebäude“, entfuhr es einer jungen Besucherin spontan. Zur taz sagte die Frau: „Ich hoffe darauf, dass der Umzug klappt. Es gibt ja gerade nicht so viele Sachen, auf die man hoffen kann.“ Als regelmäßige Nutzerin der AGB wünsche sie sich deutlich mehr Platz. Die einstigen Galeries Lafayette, die Ende Juli ihren Betrieb aufgegeben hatten, empfinde sie dafür als ideal. Und überhaupt: „Ich finde Bibliotheken besser als Kaufhäuser“, so die Besucherin.
Neubau Seit Jahren klagt die ZLB mit ihren beiden Publikumsstandorten in Mitte und Kreuzberg über Platznot. Abhilfe schaffen sollte eigentlich ein Neubau am Blücherplatz. Seit 2015 gab es dazu Studien, Verfahren, einen Senatsbeschluss. Vor allem die SPD-geführten Bauverwaltungen wussten das Projekt stets aufs Neue zu verschleppen.
Umzug Im August 2023 präsentierte CDU-Kultursenator Joe Chialo schließlich die Idee, mit der ZLB in das demnächst ohnehin leerstehende Gebäude der Galeries Lafayette zu ziehen. Wieder war nicht zuletzt die SPD dagegen, in dem Fall mit Verweis auf den geforderten Kaufpreis von fast 600 Millionen Euro. Inzwischen gilt das Projekt Friedrichstraße als nicht finanzierbar und gestorben. (rru)
Für die dann nach und nach eintreffenden Gäste hatte die ZLB ein buntes Programm aufgestellt. Über drei Etagen gab es allerlei zu erleben, ein Workshop-Angebot über künstliche Intelligenz oder den Duft von Bibliotheken bis hin zu Jonglage, ein Dutzend Lesungen an zwei Bühnen oder Kreativ- und Bastel-Spaces. Man konnte aber auch einfach nur Tischtennis spielen oder mit einem Kaffee durch die drei geöffneten Etagen schlendern. „Es wird ein bisschen wild“, hatte Jacobi gesagt.
Voller Licht
Bereits eine Stunde vor der Eröffnung hatten ZLB-Generaldirektor Volker Heller und -Betriebsdirektor Jonas Fansa Journalist:innen durch das insgesamt zwölfstöckige Gebäude, davon vier im Untergeschoss, geführt und dabei von dessen Vorteilen für eine Bibliotheksnutzung geschwärmt. Der besondere Charme: Insgesamt neun Zylinder und Lichtkegel, die sich je über mehrere Etagen erstrecken, sorgen für eine Lichtdurchflutung. Zudem kommt selbst an diesem nassgrauen Herbsttag viel Licht durch die Fensterfassade, die während des Kaufhausbetriebes noch überwiegend zugestellt war.
Fansa zeigte sich hellauf begeistert. „Das Gebäude ist absolut geeignet und der Standort perfekt.“ Der Architekt Jean Nouvel habe „es eigentlich als Bibliothek errichtet“, zumindest nicht als Kaufhaus – „als solches hat es auch nie funktioniert“, so Fansa. Die ZLB-Chefs hatten sich in der Vergangenheit die modernen Bibliotheksneubauten angeschaut, ob in Seattle, Helsinki oder Aarhus. Jetzt sagt Fansa: „Wenn man das eingeatmet hat, versteht man, dass das hier passt.“ Ob es denn wirklich keine Nachteile gebe? Dem Betriebsdirektor fiel partout nichts ein.
Den vielleicht entscheidenden Vorteil nannte Volker Heller: die Größe. An den bisherigen Standorten gebe es bislang 38.000 Quadratmeter Nutzfläche, von denen aber aufgrund ungünstiger Grundrisse, nasser Keller oder nicht begehbarer Dachgeschosse nur 20 Prozent für den Publikumsverkehr zur Verfügung stehen. Das Gebäude in der Friedrichstraße bietet 35.000 Quadratmeter, von denen 60 Prozent der Fläche geöffnet werden könnten. „Wir wollen uns nicht vergrößern, sondern effektiver nutzen“, so Heller.
Werben trotz Haushaltskürzungen
Aber kommt die Werbung für diese Investition angesichts des Kultur-Kahlschlags nicht doch zu einem ungünstigen Zeitpunkt? Fansa verneint. Es habe immer ungünstige Zeitpunkte gegeben: Einst scheiterte ein Neubau an der Fischerinsel am Beginn des Ersten Weltkriegs, später eine Erweiterung der ZLB am Mauerbau, dann ein Umzug am Abriss des Palastes der Republik oder am Volksentscheid für das Tempelhofer Feld.
Nun seien es eben Haushaltskürzungen. Doch eine Investition wie diese sei ohnehin „nicht aus konsumtiven Mitteln“ zu stemmen, sondern über Kredite, so Fansa. Grundsätzlich gelte: Berlin komme um Investitionen für die ZLB so oder so nicht herum. Schließlich spricht er sogar von einem „im Vergleich günstigem Angebot“.
Nun ja. Tishman Speyer zumindest will es nicht ohne ordentlichen Profit verkaufen. Erst 2022 hatte der Investor das Haus für geschätzt 300 Millionen Euro erworben, nur um es eineinhalb Jahre später der Kulturverwaltung für fast das Doppelte als neuen Bibliotheksstandort anzubieten. Insofern kam der Werbetag der ZLB dem Eigentümer sicherlich sehr zupass. Um Druck auszuüben, hatte der Eigentümer bereits vor einigen Monaten ein Bauantrag für den Umbau in einen Büro- und Gewerbestandort gestellt.
Kultursenator Chialo zumindest hängt an der Idee mehr als an der sonstigen Kultur der Stadt. Soeben erst hat er kampflos fast 130 Millionen seines rund eine Milliarde Euro umfassenden Jahresetats für 2025 in den schwarz-roten Spartopf geworfen und empfiehlt der sich beschwerenden Kultur angesichts des neuen Niedrigwassers beim öffentlichen „Geldfluss“ einfach mehr „Eigenleistung“. Im Interview mit der FAZ erklärte er vor ein paar Tagen zugleich erneut, dass die Chance eines ZLB-Umzugs in die Friedrichstraße „doch real diskutiert und von einem Großteil der Bürgerinnen und Bürger begrüßt“ worden sei, weil die ZLB „dort für wahnsinnige Belebung sorgen würde, auch für ein Erstarken der Wirtschaft“.
Wenn nun aber plötzlich schon Kürzungen bei der Komischen Oper um 10 Millionen Euro ein, so Chialo, derart „Riesenthema“ seien, „dann kann man natürlich schwer zugleich über Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe reden“. Um dann unmittelbar darauf doch wieder darüber zu reden: „Wenn die finanziellen Mittel zur Verfügung stünden, würden wir sofort loslegen. Andere mögen das Projekt begraben, ich begrabe es noch nicht.“
Schon begraben?
Bei Melanie Kühnemann-Grunow sorgen solche Sätze mindestens für Irritation. Chialo wisse sehr wohl, dass das Projekt tot ist, sagt die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion zur taz. „Er kann das wohl leider nur nicht zugeben.“ Ihr tue das „wirklich leid“, die ZLB leiste „super Arbeit“, sie wisse auch, dass die Standorte aus allen Nähten platzen und die Bausubstanz zum Teil katastrophal sei. Aber der Bibliothek werde auf längere Sicht nichts anderes übrigbleiben, als weiter in den vorhandenen landeseigenen Immobilien zu murksen und sich mit Provisorien zu behelfen.
Dies gelte umso mehr, als es für die ZLB künftig sowieso nicht mehr, sondern weniger Geld geben wird. Denn Chialos Loblieder auf die Berliner Mammutbibliothek hin oder her: Selbstverständlich findet auch sie sich auf der in der vergangenen Woche veröffentlichten schwarz-roten Sparliste des Grauens. Von den ursprünglich für die drei Standorte im kommenden Jahr eingeplanten Zuschüssen in Höhe von 36,4 Millionen Euro sind 4 Millionen gestrichen worden.
Zu den Skeptiker:innen, darunter auch Finanzsenator Evers, sagte ZLB-Generaldirektor Heller: „Jeder hat seine Rolle.“ Seine bleibe es, für diese bestmögliche aller Lösungen zu trommeln.
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