piwik no script img

Ex-Coach von Dynamo über Ostfußball„Man hätte einen Wessi gebraucht“

Am Tag der Deutschen Einheit trifft Rostock auf Dresden. Helmut Schulte, einst Coach von Dynamo, erinnert sich an die bewegte Erstligasaison nach der Wende.

„Bei den Spielern schon fast alle Kniffe angewandt“: Nach nur einer Saison kündigte Trainer Helmut Schulte bei Dynamo Foto: imago/Oliver Hardt
Interview von Frank Hellmann

taz: Herr Schulte, Sie werden vor allem mit dem FC St. Pauli verbunden, aber kaum etwas hat Sie so sehr bewegt wie die Saison 1991/1992 bei Dynamo Dresden. Erinnern Sie sich noch, wie Sie damals Trainer geworden sind?

Helmut Schulte: Ich war zwar zuvor mit St. Pauli in die Bundesliga aufgestiegen, doch als ich nach Dresden ging, war ich der Nobody, der Ahnungslose. Reinhard Häfner hatte als Vizemeister der DDR-Oberliga die Qualifikation für die Bundesliga geschafft, aber es kam dann zu keiner Einigung. Man wollte einen Trainer haben, der die Bundesliga kennt. Ich kann es gar nicht genau sagen, aber mich brachte wohl ein Redakteur der Hamburger Morgenpost ins Gespräch; Reiner Calmund, Bayer Leverkusens Manager, der die ersten Transfers mit DDR-Spieler abgewickelt hatte, legte ein gutes Wort für mich ein. Da fiel die Wahl auf den jungen Wessi-Trainer (lacht).

Und als Sie nach Dresden kamen, wie war das damals vor fast 25 Jahren?

Eigentlich unvorstellbar. Ich war jung verheiratet, meine Tochter wurde in Dresden geboren, aber es war keine vernünftige Wohnung zu bekommen, alles war runtergekommen. Ich habe aus Verzweiflung Zettel in Briefkästen geworden. Als dann über die Dresdner Bank neue Häuser am Elbhang gebaut wurden, sind wir dorthin gezogen. Imponiert hat mir aber die Zwischenmenschlichkeit: Die ehemaligen DDR-Bürger hatten einen Zeit-Wohlstand, der es ihnen ermöglicht hat, sich mehr miteinander zu beschäftigen. Das ist wohl auch der Grund, dass ich aus der damaligen Zeit so viele gute Verbindungen mitgebracht habe.

Bei Dynamo lief es anfangs in der Saison 1991/1992 gar nicht gut.

Dazu muss man wissen: Hansa Rostock war als letzter DDR-Meister ja mit in die Bundesliga aufgenommen worden, aber in der Wahrnehmung war Dresden für die meisten Menschen vor diesem Klub angesiedelt. Der BFC Dynamo war als Klub der Staatssicherheit die Nummer eins, wir die Nummer zwei. Aber Hansa hat unter dem damaligen Trainer Uwe Reinders einen Überraschungssieg nach dem anderen gelandet und gleich beim FC Bayern im Münchner Olympiastadion gewonnen. Wir steckten mit Dynamo von Beginn an unten fest. Wir hatten mit Dirk Zander nur einen Spieler aus dem Westen verpflichtet. Wir konnten anfangs nicht mithalten.

Was passierte am 19. Oktober 1991 beim ersten direkten Duell Rostock gegen Dresden?

Es regnete wie aus Kübeln, nur 9.000 Zuschauer waren da, und zur Pause stand es 0:0. Zur zweiten Halbzeit bin ich dann ein wenig zu spät aus der Kabine gekommen, aber der Schiedsrichter hatte sofort angepfiffen – und dann habe ich das Tor von Jens Wahl zum 1:0 verpasst. Wir haben am Ende mit 0:3 verloren und den Reportern war nicht entgangen, dass ich beim ersten Gegentreffer noch nicht auf der Bank saß. Ich habe dann spontan gesagt: ‚Ich habe mir noch die Haare geföhnt.‘

Im Interview: Helmut Schulte

wurde durch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme 1984 Jugendtrainer beim FC St. Pauli. Drei Jahre später übernahm er den Cheftrainerposten des Profiteams. Im Sommer 1991 wurde er vom Bundesliganeuling Dynamo Dresden engagiert. Zuletzt war er bei Fortuna Düsseldorf als Sportdirektor tätig.

Das war vermutlich kein kluger Spruch, oder?

Natürlich nicht. Das wurde ausgeschlachtet. Und im nächsten Heimspiel hing im alten Rudolf-Harbig-Stadion ein Plakat, auf dem stand: „Schulte in die Wüste – da ist immer Föhn“. Darauf musste man erst mal kommen.

Warum wurden Sie dann nicht entlassen?

Ich muss den Verantwortlichen um Präsident Wolf-Rüdiger Ziegenbalg heute noch sehr dankbar sein. Der damalige Torwart René Müller hat mir oft genug den Rücken gestärkt. Auch mein späterer Nachfolger Klaus Sammer hat sich sehr für mich eingesetzt. Aber heute wäre das nicht mehr möglich – da wäre ich nie und nimmer geblieben. So aber konnten wir das Rückspiel gegen Rostock im Frühjahr 1992 mit 2:1 gewinnen. Wir haben in diesem Spiel das Fundament für den Klassenerhalt gelegt.

Nach Platz 14. in der Premierensaison sind Sie trotzdem zurückgetreten. Warum?

Der Entschluss reifte bei mir während einer eigentlich unvergessenen Abschlussfahrt nach Florida, die wir spendiert bekamen. Zum einen hatte ich bei den Spielern schon fast alle Kniffe angewandt. Zum anderen hatte ich nach dem Einstieg eines Investors das Gefühl, dass der Sport nicht mehr die erste Geige spielt. Der Verein war in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, wobei ich den damaligen Verantwortlichen gar keinen Vorwurf machen konnte. Ich habe mal plakativ gesagt: Sie haben das Geld eingenommen wie die Sozialisten, aber ausgegeben wie die Kapitalisten. Man hätte unbedingt einen organisatorischen Leiter oder Geschäftsführer aus dem Westen einstellen müssen.

Missmanagement hat dazu geführt, dass Hansa Rostock und Dynamo Dresden in der Dritten Liga spielen. Beide treffen am Samstag aufeinander; speziell für Dresden sieht es als unangefochtener Tabellenführer recht gut aus.

Ich glaube, dort sind die richtigen Grundlagen wieder gelegt. Ralf Minge, der jetzt Sportdirektor ist, war in meiner Zeit ja bereits mein Co -Trainer. Keiner ist besser geeignet als er, weil er die Gegebenheiten bei Dynamo am besten kennt. Dresden besitzt mit dem schmucken Stadion alle Voraussetzungen, sich dauerhaft in der Zweiten Liga und vielleicht auch mal wieder in der Bundesliga zu positionieren. Sie dürfen sich nur nicht wieder selbst ein Bein stellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!