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Ex-CDU-Wahlkampfmanager über SPD-Chancen"Politik ist grausam"

"Die SPD hätte die Regierung längst verlassen müssen", sagt der langjährige CDU-Wahlkampfmanager Peter Radunski. Und nur wenn sie die Saar-Wahl gewinnt, werde die Bundestagswahl noch spannend.

"Dann braucht die SPD zur Mitte der Wahlperiode nur ein Thema hochzuspielen. Schon platzt die Koalition." Bild: ap
Interview von Ralph Bollmann

taz: Herr Radunski, wenn Sie bei den Landtagswahlen am Sonntag das Rennen im Bund möglichst stark beeinflussen wollten - in welches Land müssten Sie umziehen, und welche Partei würden Sie dort wählen?

Peter Radunski: Die SPD im Saarland. Wenn ich eine spannende Bundestagswahl haben will, müsste ich dort einen Wechsel herbeiführen.

Weil die CDU dann eine schöne Vorlage hat für ihre Rot-Rot-Kampagne?

Sicher würden die CDU-Anhänger dann nicht mehr denken, die Wahl sei schon gelaufen. Aber mit einer solchen Kampagne sagen Sie ja auch: Die SPD hat eine Siegeschance. Für enttäuschte Sozialdemokraten wäre das eine Motivation, doch noch zur Wahl zu gehen.

Sonst wird die Wahlbeteiligung niedrig ausfallen?

Die Simulation eines Lagerwahlkampfs wirkt auf den Wähler nicht überzeugend. Wenn er überhaupt nicht sicher sein kann, welche Konstellation er mit seiner Stimme am Ende unterstützt - dann steht der Sinn des Wählens schon in Frage. Wir haben früher immer versucht, ihm eine Entscheidungsfrage vorzulegen. Freiheit statt Sozialismus, zum Beispiel. Das fehlt.

Der Wahlkampfmanager

Peter Radunski, 70, ist einer der erfahrensten Wahlkampfmanager der Republik. Von 1973 bis 1990 leitete er in der CDU-Zentrale alle Bundestags- und Landtagswahlkämpfe der Partei. Von 1990 bis 1999 war er Senator in Berlin, seither arbeitet er als Senior Advisor für die Agentur Publicis Consultants Deutschland. Er veröffentlichte 1980 das Handbuch "Wahlkämpfe. Moderne Wahlkampfführung als politische Kommunikation".

Sind diese Zeiten vorbei?

Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Gelb, das wäre eine solche Entscheidungsfrage gewesen. Leider hat sich die SPD festgelegt, jetzt kann sie nicht mehr anders.

Das war ein Fehler?

Ich habe nie verstanden, warum sich die SPD ihrer einzigen Machtoption selbst beraubt hat. Das wäre eine viel klarere Situation gewesen, man hätte die Kanzlerkandidatur von Frank-Walter Steinmeier ernst genommen. Die SPD hat eine linke Mobilisierung immer dann zustandegebracht, wenn sie keine Angst vor Tabus hatte.

Zum Beispiel?

Bei den Wahlen 1969 hat die SPD vorher nicht deutlich gemacht, dass sie die große Koalition verlassen wollte. Brandt hat als Außenminister Wahlkampf gemacht, nicht wirklich als Kanzlerkandidat. Die meisten Tabubrüche gab es bei Landtagswahlen. Walter Momper, der 1989 nicht mit den Grünen koalieren wollte. Reinhold Höppner, der 1994 nicht mit der PDS zusammengehen wollte.

Wenn Andrea Ypsilanti Erfolg gehabt hätte, wäre ihr Wortbruch inzwischen vergessen?

Natürlich wäre das vergessen. Wer weiß, wie bedeutend sie in der SPD wäre. Politik ist grausam. Die Verhältnisse sind, wie sie sind. Man muss damit arbeiten.

Sie raten Steinmeier, nach der Wahl sein Wort zu brechen und mit der Linken zu koalieren?

Nach dieser Vorgeschichte geht das nicht sofort. Aber stellen Sie sich vor, es kommt wieder zur großen Koalition. Dann braucht die SPD zur Mitte der Wahlperiode nur ein Thema hochzuspielen. Schon platzt die Koalition, und Steinmeier koaliert entweder mit FDP und Grünen oder mit der Linken und den Grünen. Wegen dieser Perspektive lohnt sich für die SPD der Wahlkampf um jeden Prozentpunkt. Für die CDU ist eine große Koalition deshalb hoch gefährlich.

Sie argumentieren aus Ihrer Erfahrung im Land Berlin, als Ihr Koalitionspartner Klaus Wowereit zwei Jahre nach der Landtagswahl 1999 aus der großen Koalition ausstieg und sich von der PDS zum Bürgermeister wählen ließ?

Mir war klar, dass das kommt. Deshalb haben wir das im Wahlkampf immer unterstellt. Dann kamen fantastische Dementis. Erst ein Neuer von außen konnte das machen. Mit Hilfe einer Fehlleistung der anderen Seite, die man den Bankenskandal nennt.

Wenn Steinmeier Rot-Rot nicht will, hätte er dann einen konsequenteren Regierungswahlkampf führen müssen?

Mein Ansatz wäre gewesen: Wenn ich die Oppositionskarte spielen und den Kanzler stellen will, hätte ich rechtzeitig aus der Regierung herausgehen müssen. Wenn ich das nicht will, hätte ich einen viel ruhigeren Wahlkampf führen müssen. Natürlich verliert ein Konsensmann wie Steinmeier Sympathie, wenn er plötzlich herummeckert. Das hätte ich ihm vorher sagen können. Ich bin sicher, die SPD hätte sonst drei bis vier Punkte mehr.

Viele in der CDU fürchten eine Wiederholung von 2005, als die SPD in letzter Minute die Angst vor Schwarz-Gelb mobiliserte. Kann das erneut passieren?

Tief im Herzen jedes Sozialdemokraten lebt die Lehre, in Deutschland gibt es keine Mehrheit für Schwarz-Gelb. Ojektiv gesehen muss man sagen, leicht ist es nicht. Weil Schwarz-Gelb nicht von sich aus ein Projekt hat, und weil das Lager aus einer eigenen Substanz lebt. Nach meinem Eindruck rechnen in der CDU mindestens so viele Leute mit einer großen Koalition wie mit Schwarz-Gelb.

Weil es schwer wird, nach der Wahl die nötigen Einschnitte gegen den Widerstand des linken Lagers durchzusetzen?

Wir werden nach der Bundestagswahl sowieso eine andere Angela Merkel erleben. Sie ist eine Politikerin, die ihre jeweilige Rolle aus der Distanz heraus beschreibt und spielt. Nehmen Sie nur diesen Satz mit der Garantie der Spareinlagen - das halte ich für das Sensationellste, was je ein deutscher Kanzler gemacht hat. Merkel weiß ganz genau, nach der Wahl wird es sehr viel härter. Es kommen große Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, in der Finanzpolitik.

Lässt es sich bis zum 27. September durchhalten, über die anstehenden Entscheidungen nicht zu sprechen?

Ich fürchte ja. Die Leute wollen es offenbar nicht hören. Sie wissen sowieso, dass es schlimm kommt. Warum soll man es dann noch betonen. Alle, die sich jetzt auf die Regierung freuen, werden sich sehr wundern.

Haben Sie je einen Wahlkampf erlebt, der so inhaltsleer war?

Nein. Letztlich fehlt mir das Verständnis, dass eine so ernste Lage eine so ruhige Wahlkampfführung erlaubt. Dass die Sorgen um unsere Lebensbasis nicht größer ist. Ob das Wachstum jemals in der alten Größenordnung wiederkommt. Ob die Staatsschulden jemals in einer normalen Form abgebaut werden können, außer mit Inflation und Währungsschnitten.

Warum wird das nicht stärker thematisiert?

Das ist der Fluch der großen Koalition. So ganz will Peer Steinbrück seine Tüchtigkeit bei der Bewältigung der Krise nicht leugnen. Oder Olaf Scholz mit seiner Arbeitsmarktpolitik. Dann können sie nicht so reden.

Die Opposition könnte es.

Die unverhofften Gewinne durch die große Koalition haben die kleinen Parteien sehr satt gemacht. Die Wahlkämpfe der drei sind nicht überzeugend. Bei der Linken und der FDP kann ich das nachvollziehen. Die Linke hat sich selbst aus dem Spiel katapultiert, weil sie Unwahrheiten erzählt und keine Lösungen anbietet. Die FDP bindet die Wählerschichten, die vom alten System gut gelebt haben und überhaupt nichts ändern wollen.

Und die Grünen?

Den Wahlkampf der Grünen finde ich enttäuschend. Das ist auch eine Personalfrage. Sie bräuchten so etwas wie einen modernen Ökonomen. Aber sie sind in der glücklichen Lage, genügend treue Anhänger zu haben. Solange die Bionade-Gesellschaft funktioniert, brauchen sie sich nicht anzustrengen.

Auf die Dauer wird man in der Politik aber nicht hinkommen, ohne mal etwas Negatives über den anderen zu sagen. Zum Glück schreiben die Fernsehleute die Parteizugehörigkeit der Politiker drunter, sonst könnten Sie das als Zuschauer gar nicht mehr erkennen. Diese Leute sind intelligent und kennen alle Zahlen - aber sie können nicht mehr erklären, warum sie etwas wollen.

Wird es bei dieser Nivellierung bleiben?

Es wird zurückschlagen aus der sozialen Realität. Wenn die Parteien so weitermachen wie bisher, werden wir populistische Parteien bekommen wie etwa in den Niederlanden. Durch die große Koalition wird das Parteienspektrum völlig zersplittert. In den niedrigsten Umfragen haben Union und SPD zusammen nur noch 56 Prozent. In vier Jahren könnten sie schon bei 49 Prozent liegen.

Ist Schwarz-Grün eine Alternative zur großen Koalition?

Wenn es mit der FDP nicht reicht, dann ist es für die Kanzlerin jedenfalls attraktiver. Der strategische Teil bei Angela Merkel scheint mir sehr gut zu funktionieren. Der muss ihr sagen: Wenn die SPD mit anderen Parteien eine Koalition bilden kann, dann passiert das irgendwann. Klaus Wowereit wird doch alles vermeiden, um 2011 noch mal in eine Wahl auf Landesebene zu gehen. Da wird er lieber versuchen, vorher bundespolitisch aktiv zu werden.

Das trauen Sie ihm zu?

Sehr gut sogar. Das ist ja seine große Stärke, dass er ein fast angstfreier Politiker ist.

Ein linker Politiker?

Sicher nicht im Sinne von Ideologie oder Identität. Mit so etwas gibt er sich nicht ab. Bei ihm geht es nur um Taktik.

Bei Merkel, glauben viele, ist das nicht anders.

Sie denkt mehr vom Kalkül her. Aber man muss fair sein. Es ist schon sehr viel, wenn eine Kanzlerin Ihre Machtoptionen gut sortieren kann. Früher hatte die CDU nur eine einzige Option, die FDP. Diesmal hat sie drei Optionen, auch die Grünen und die SPD. Das ist genial.

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12 Kommentare

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  • BM
    Ben Marl

    Also langsam fällt mir das Linke-Bashing der taz auch sehr unangenehm auf. Sind da so viele beleidigte Grüne beschäftigt oder was?

  • I
    ilfeld75

    WOWI FOR KANZLER !!!

  • A
    anke

    Steinmeier und Merkel sind die (noch relativ wenig qualifizierten) Vorboten eines neuen, projektorientierten Politikverständnisses, nehme ich an. In sofern ist das Foto zum Beitrag ganz gut gewählt.

     

    Dass eine Politik, deren angeblich intelligente Protagonisten ums Verrecken nicht erklären können, warum sie was wollen, eine Zukunft hat, ist unwahrscheinlich. Das Spaßprogramm der FDP und die Bionade-Wellness der Grünen haben meiner Meinung nach ähnlich gute Chancen auf ein ewiges Leben, wie die Neue Deutsche Welle sie hatte. Politik hat das Gestalten zum Ziel – oder sie ist keine. Wenn die Demokratie sich also nicht bald vollkommen neu erfinden will (und bisher gibt sie zu dieser Erwartung keinerlei Anlass), muss sie auch in Zukunft die (punktuelle) Veränderung wünschen. So lange der Wähler als solcher aber nicht vollkommen verblödet (und auch das ist für die nähere Zukunft nicht zwingend zu erwarten), wird er für die gewünschten Veränderungen Gründe hören, Möglichkeiten aufgezeigt und Risiken genannt bekommen wollen. Allein deswegen schon, weil in Zeiten eines sehr selektiv spürbaren (Minus-)Wachstums der Gewinn des einen immer des anderen Verlust ist.

     

    Es dauert ja meistens eine ganze Weile, bis gesellschaftliche Klimaveränderungen auf die Machtstrukturen durchschlagen. Mit bloßer Ideologie aber lassen sich am Wahlsonntag schon seit ein paar Jahren immer weniger Leute hinterm Grill hervor locken – von den inwendig braun gebrannten einmal abgesehen. Die sogenannte Projektarbeit hingegen ist mittlerweile fast jedem Deutschen ein Begriff, ob nun aus der Schule, aus der Firma oder aus den Medien. Dass das allein noch keine Garantie für irgend eine Form des Fortschritts ist, ist klar. Auch Projekte können mächtig in die Hose gehen, und zwar unabhängig davon, wie viele Leute ihnen zunächst zugestimmt hatten. (Afghanistan grüßt die Bankenretter.) Projektspezifisches Scheitern allerdings ist politisch, ökonomisch, sozial und militärisch sehr viel preiswerter, als das Scheitern einer ganzen, ausgefeilten Ideologie. Es wäre wirklich so etwas wie ein Wunder, würde sich ausgerechnet die Politik der Zukunft nicht am allgemeinen Wettsparen beteiligen.

     

    Bleibt die Frage, wie den dem Projektgedanken innewohnenden Zersplitterungspotentialen entgegen gewirkt werden kann. Diese Frage ist eine, die sich die politischen Eliten der Zukunft möglichst bald einmal stellen sollten. Es bringt überhaupt nichts, die früheren Ideologien in Millionen von Einzelteile zu zerlegen und diese per Dekret zu gleichrangigen Projekten zu erklären, da gebe ich Peter Radunski Recht. Wenn sich jeder aus einem Berg von Themen seine Lieblingsidee herausklauben und anschließend auf deren buchstabengetreue Durchsetzung dringen kann, wird Deutschland endgültig unregierbar. Parteiprogramme, in denen alle Schwüre gleichrangig untereinander stehen, taugen im Zweifel nicht das Papier, auf das man sie druckt. Frau Ypsilanti kann davon ein Lied singen. Um die Prioritätensetzung also wird in Zukunft niemand, der Politik machen will, mehr herum kommen. Von der Idee, schon wieder mit Platitüden wie "Freiheit statt Sozialismus" oder "Schwarz-Gelb statt Rot-Rot-Grün" zu werben, halte ich allerdings überhaupt nichts. (Einem 70-Jährigen kann man derartige Vorschöläge als Anfall von Nostalgie gerade noch mal durchgehen lassen.) Wenn dem aktuellen Wahlkampf etwas gar nicht fehlt, dann ist es eine noch größere Portion Bla. Darunter nämlich kann sich jeder alles mögliche vorstellen, und die enttäuschte Erwartungen, das sollte mittlerweile selbst der CDU aufgefallen sein, ist der größte Freund aller zwangsverpflichteten Stimmen-Auszähler. Projekte müssen konkret und abrechenbar sein.

     

    Sicher, sie sind dann auch gefährlich. Es lässt sich kaum vertuschen, wenn jemand seine Ziele völlig verfehlt. Da einer, der gar keine Ziele hatte, deren Erreichen aber auch nicht glaubhaft versichern kann, ist ein konkretes Versprechen allemal besser als gar keins. Tabus muss man dabei übrigens keine brechen. Das, schließlich, ist ein Job für Regisseure und sonstige Künstler. Politik ist nicht grausam. Sie ist bloß nicht klüger als die, die sie machen. Die Menschen sind wie sie sind. Man muss mit ihnen leben. Von Verhältnissen muss man das aber nicht behaupten.

     

    Apropos: Dass Schwarz-Gelb kein eigenes Projekt hätte, darf man Herrn Radunski nicht glauben. Das Projekt von Schwarz-Gelb ist die Grundlage des Glaubens der Sozialdemokraten an eine linke Mehrheit. Es besteht in der immerwährenden Umverteilung des Besitzes von unten nach oben und aus vielen Taschen in wenige. Irgendwie macht mir das Mut. Der Merkel-Satz mit der Garantie der Spareinlagen nämlich ist weder sensationell noch ist er genial. Er war lediglich das, was man eine Notlüge nennt. So etwas kam schon des öfteren vor.

  • M
    M.S.

    Steinmeier als Kanzler; Merkel als stellvertretende Regierungschefin. Das wäre eine Vision.

    Der CDU alle Türen zur politischen Macht zu öffnen, wäre ein Fehler. Die SPD-Politik der letzten Jahre war ein Desaster, trotzdem gibt es in dieser Partei noch etwas von linkem Gedankengut. Das Land braucht eine soziale Politik und keinen Überwachungsstaat.

  • I
    Ilijtsch

    Zitat "Die Linke hat (...) Unwahrheiten erzählt und keine Lösungen anbietet."

     

    Was für Unwahrheiten denn bitte? Wenn schon Propaganda, dann doch bitte auch mit Fakten füttern.

    Und von wegen keine Lösungsvorschläge. Was ist mit Grundeinkommen? Vermögens- und Reichensteuer? Abzug aus Afghanistan? Bildungsfreiheit? ich könnte noch weiter aufzählen, aber ich vermute, die ernst gemeinten Lösungsvorschläge der Linken will bei der taz einfach niemand hören.

  • P
    Peter

    Ein interessantes Interview. Ich denke, man darf die SPD noch nicht abschreiben. Warten wir erst einmal die Wahlen von Sonntag ab. So wie es momentan aussieht, werden sie in Sachsen zulegen, in Thüringen und im Saarland besteht sogar die Möglichkeit, die CDU abzulösen. Sollte sich ein Teil davon bewahrheiten, dann könnte es zu einem Aufwärtstrend kommen.

    Ich bin kein SPD-Wähler, aber ich muss sagen, dass auch die Medien nicht ganz unschuldig am Dilemma der SPD sind (nicht nur, denn teilweise wirkt die Partei schon sehr chaotisch). ABER: Die schlechten Umfragewerte werden ja regelrecht herbeigeredet und man hat das Gefühl, dass objektiver Journalismus momentan bei vielen Akteuren nicht en vogue ist. Im Grunde warten doch schon viele auf die neuen, noch schlechteren Umfragewerte, um wieder was zu schreiben und zu kommentieren zu haben.

    Mal sehen, ob der Wähler das nicht ganz anders sieht. Ein bisschen Spannung könnte ja den Wahlkampf noch beleben.

  • BM
    Ben Marl

    Also langsam fällt mir das Linke-Bashing der taz auch sehr unangenehm auf. Sind da so viele beleidigte Grüne beschäftigt oder was?

  • I
    ilfeld75

    WOWI FOR KANZLER !!!

  • A
    anke

    Steinmeier und Merkel sind die (noch relativ wenig qualifizierten) Vorboten eines neuen, projektorientierten Politikverständnisses, nehme ich an. In sofern ist das Foto zum Beitrag ganz gut gewählt.

     

    Dass eine Politik, deren angeblich intelligente Protagonisten ums Verrecken nicht erklären können, warum sie was wollen, eine Zukunft hat, ist unwahrscheinlich. Das Spaßprogramm der FDP und die Bionade-Wellness der Grünen haben meiner Meinung nach ähnlich gute Chancen auf ein ewiges Leben, wie die Neue Deutsche Welle sie hatte. Politik hat das Gestalten zum Ziel – oder sie ist keine. Wenn die Demokratie sich also nicht bald vollkommen neu erfinden will (und bisher gibt sie zu dieser Erwartung keinerlei Anlass), muss sie auch in Zukunft die (punktuelle) Veränderung wünschen. So lange der Wähler als solcher aber nicht vollkommen verblödet (und auch das ist für die nähere Zukunft nicht zwingend zu erwarten), wird er für die gewünschten Veränderungen Gründe hören, Möglichkeiten aufgezeigt und Risiken genannt bekommen wollen. Allein deswegen schon, weil in Zeiten eines sehr selektiv spürbaren (Minus-)Wachstums der Gewinn des einen immer des anderen Verlust ist.

     

    Es dauert ja meistens eine ganze Weile, bis gesellschaftliche Klimaveränderungen auf die Machtstrukturen durchschlagen. Mit bloßer Ideologie aber lassen sich am Wahlsonntag schon seit ein paar Jahren immer weniger Leute hinterm Grill hervor locken – von den inwendig braun gebrannten einmal abgesehen. Die sogenannte Projektarbeit hingegen ist mittlerweile fast jedem Deutschen ein Begriff, ob nun aus der Schule, aus der Firma oder aus den Medien. Dass das allein noch keine Garantie für irgend eine Form des Fortschritts ist, ist klar. Auch Projekte können mächtig in die Hose gehen, und zwar unabhängig davon, wie viele Leute ihnen zunächst zugestimmt hatten. (Afghanistan grüßt die Bankenretter.) Projektspezifisches Scheitern allerdings ist politisch, ökonomisch, sozial und militärisch sehr viel preiswerter, als das Scheitern einer ganzen, ausgefeilten Ideologie. Es wäre wirklich so etwas wie ein Wunder, würde sich ausgerechnet die Politik der Zukunft nicht am allgemeinen Wettsparen beteiligen.

     

    Bleibt die Frage, wie den dem Projektgedanken innewohnenden Zersplitterungspotentialen entgegen gewirkt werden kann. Diese Frage ist eine, die sich die politischen Eliten der Zukunft möglichst bald einmal stellen sollten. Es bringt überhaupt nichts, die früheren Ideologien in Millionen von Einzelteile zu zerlegen und diese per Dekret zu gleichrangigen Projekten zu erklären, da gebe ich Peter Radunski Recht. Wenn sich jeder aus einem Berg von Themen seine Lieblingsidee herausklauben und anschließend auf deren buchstabengetreue Durchsetzung dringen kann, wird Deutschland endgültig unregierbar. Parteiprogramme, in denen alle Schwüre gleichrangig untereinander stehen, taugen im Zweifel nicht das Papier, auf das man sie druckt. Frau Ypsilanti kann davon ein Lied singen. Um die Prioritätensetzung also wird in Zukunft niemand, der Politik machen will, mehr herum kommen. Von der Idee, schon wieder mit Platitüden wie "Freiheit statt Sozialismus" oder "Schwarz-Gelb statt Rot-Rot-Grün" zu werben, halte ich allerdings überhaupt nichts. (Einem 70-Jährigen kann man derartige Vorschöläge als Anfall von Nostalgie gerade noch mal durchgehen lassen.) Wenn dem aktuellen Wahlkampf etwas gar nicht fehlt, dann ist es eine noch größere Portion Bla. Darunter nämlich kann sich jeder alles mögliche vorstellen, und die enttäuschte Erwartungen, das sollte mittlerweile selbst der CDU aufgefallen sein, ist der größte Freund aller zwangsverpflichteten Stimmen-Auszähler. Projekte müssen konkret und abrechenbar sein.

     

    Sicher, sie sind dann auch gefährlich. Es lässt sich kaum vertuschen, wenn jemand seine Ziele völlig verfehlt. Da einer, der gar keine Ziele hatte, deren Erreichen aber auch nicht glaubhaft versichern kann, ist ein konkretes Versprechen allemal besser als gar keins. Tabus muss man dabei übrigens keine brechen. Das, schließlich, ist ein Job für Regisseure und sonstige Künstler. Politik ist nicht grausam. Sie ist bloß nicht klüger als die, die sie machen. Die Menschen sind wie sie sind. Man muss mit ihnen leben. Von Verhältnissen muss man das aber nicht behaupten.

     

    Apropos: Dass Schwarz-Gelb kein eigenes Projekt hätte, darf man Herrn Radunski nicht glauben. Das Projekt von Schwarz-Gelb ist die Grundlage des Glaubens der Sozialdemokraten an eine linke Mehrheit. Es besteht in der immerwährenden Umverteilung des Besitzes von unten nach oben und aus vielen Taschen in wenige. Irgendwie macht mir das Mut. Der Merkel-Satz mit der Garantie der Spareinlagen nämlich ist weder sensationell noch ist er genial. Er war lediglich das, was man eine Notlüge nennt. So etwas kam schon des öfteren vor.

  • M
    M.S.

    Steinmeier als Kanzler; Merkel als stellvertretende Regierungschefin. Das wäre eine Vision.

    Der CDU alle Türen zur politischen Macht zu öffnen, wäre ein Fehler. Die SPD-Politik der letzten Jahre war ein Desaster, trotzdem gibt es in dieser Partei noch etwas von linkem Gedankengut. Das Land braucht eine soziale Politik und keinen Überwachungsstaat.

  • I
    Ilijtsch

    Zitat "Die Linke hat (...) Unwahrheiten erzählt und keine Lösungen anbietet."

     

    Was für Unwahrheiten denn bitte? Wenn schon Propaganda, dann doch bitte auch mit Fakten füttern.

    Und von wegen keine Lösungsvorschläge. Was ist mit Grundeinkommen? Vermögens- und Reichensteuer? Abzug aus Afghanistan? Bildungsfreiheit? ich könnte noch weiter aufzählen, aber ich vermute, die ernst gemeinten Lösungsvorschläge der Linken will bei der taz einfach niemand hören.

  • P
    Peter

    Ein interessantes Interview. Ich denke, man darf die SPD noch nicht abschreiben. Warten wir erst einmal die Wahlen von Sonntag ab. So wie es momentan aussieht, werden sie in Sachsen zulegen, in Thüringen und im Saarland besteht sogar die Möglichkeit, die CDU abzulösen. Sollte sich ein Teil davon bewahrheiten, dann könnte es zu einem Aufwärtstrend kommen.

    Ich bin kein SPD-Wähler, aber ich muss sagen, dass auch die Medien nicht ganz unschuldig am Dilemma der SPD sind (nicht nur, denn teilweise wirkt die Partei schon sehr chaotisch). ABER: Die schlechten Umfragewerte werden ja regelrecht herbeigeredet und man hat das Gefühl, dass objektiver Journalismus momentan bei vielen Akteuren nicht en vogue ist. Im Grunde warten doch schon viele auf die neuen, noch schlechteren Umfragewerte, um wieder was zu schreiben und zu kommentieren zu haben.

    Mal sehen, ob der Wähler das nicht ganz anders sieht. Ein bisschen Spannung könnte ja den Wahlkampf noch beleben.