Ex-"Bild"-Chef Röbel über Schlagzeilen: "Wulff ist für 'Bild' ein Sechser im Lotto"
Der Krimi-Autor und frühere "Bild"-Chef Udo Röbel über die Folgen der Wulff-Affäre, wütende Anrufe Mächtiger und die Strategie seines Nachfolgers Diekmann.
taz: Ein Mann kommt am Flughafen an und hört seine Mailbox ab. Darauf droht ihm ein anderer Mann mit "Krieg". Sie sind Krimiautor, Herr Röbel. Ist das ein idealer Krimieinstieg?
Udo Röbel: Es könnte ein idealer Krimieinstieg sein. Dramaturgisch eine interessante Szene, in der eine Story spannend angerissen wird. Jetzt kommt es nur noch darauf an, welcher Plot sich da entwickelt.
Ist der Plot, dass ein Schurke auf der Mailbox die Pressefreiheit bedroht hat?
Mächtige, die bestimmte Veröffentlichungen verhindern wollen – das ist ja nichts Neues, sondern fast ein eigenes Genre. Die Frage ist, wie weit gehen diese Mächtigen: Bringen sie den Journalisten womöglich um? Wäre es ein Krimi, könnte der Einstieg auch sein, dass die Polizei eine Leiche findet. Und dann stellt sich heraus: Die Leiche war ein Journalist.
Kai Diekmann, der Bild-Chef?
Zum Beispiel. Aber die eigentliche Causa Wulff, auf die Sie hinauswollen, taugt nicht zum Krimi. In Weißrussland wäre das etwas anders, aber in Deutschland sehe ich den Anruf nicht als unmittelbaren, die Person direkt bedrohenden Angriff. Hier geht es um etwas anderes: Ein Bundespräsident hat keinen Chefredakteur anzurufen. Punkt. Weder den von Bild, noch den der SZ. Das ist mit dem Amt und dessen Würde nicht vereinbar.
Journalist: Zuerst bei den Agenturen dpa und AP. Dann Polizeireporter bei Bild. Ab 1983 Vizechef des Express in Köln. Enthüllt 1984 eine Geheimdienst-Schlamperei, durch die der General Kießling als potenzieller Geheimnisverräter geschasst worden war. Dafür ausgezeichnet mit dem angesehenen Wächterpreis. 1988 steigt er zu den Geiselgangstern von Gladbeck ins Auto, lotst sie aus der Kölner Innenstadt; die Aktion wird zum Negativbeispiel für Grenzüberschreitungen von Journalisten. Ab 1993 Bild-Vize und 1998 bis 2000 Chefredakteur.
Krimiautor: Neuester Roman ist "Der rote Reiter" um ein Verbrechen an einer jüdischen Familie und den von den Nazis geförderten Großmufti von Jerusalem (RegioKom, 15,99 Euro). Röbel hat auch eine iPad-App entwickelt, die Fotos und historische Belege im Buch anzeigt. Heldin ist die Psychologin Dr. Eurydike Schmitz wie schon in "Schattenbrüder", das sich um einen Spitzenpolitiker dreht.
Als Bild-Chef hatten Sie mal einen tobenden Helmut Kohl am Apparat. Worum ging es?
Es war 2000 und Kohl war schon nicht mehr Kanzler, sondern einfacher Abgeordneter. Wir hatten an dem Tag eine nette, fast liebevolle Geschichte über die Straße gemacht, in deren Nähe er in Berlin eine neue Wohnung bezogen hatte. "Hier ist Ihr Bäcker, hier Ihr Kiosk." Und so weiter. Da stellt meine Sekretärin mittags Kohl durch.
Und dann fing der schon an zu schimpfen: Schweinejournalist, Drecksblatt. Als ich zu Wort kam, sagte ich: Worum geht es denn, Herr Kohl? Aber die Stimme überschlug sich. Ich konnte ihn kaum verstehen, und irgendwann dachte ich: Ja, leck mich doch am Arsch. Und legte auf.
Scheint, als hätten Sie damals einen Angriff auf die Pressefreiheit verpennt.
Nein, das war kein Angriff auf die Pressefreiheit. Aber Kohls ungehobeltes Verhalten mag ein Beleg sein für das innere Verhältnis von Politikern dieser Geisteshaltung zur Presse.
Sie kannten diese Geisteshaltung damals schon?
Ja, ich machte 1998, als er noch Kanzler war, meinen Antrittsbesuch als Bild-Chef bei ihm in Bonn. Ich quäle mich drei Stunden durch ein Interview, teils in Pfälzisch, ich komme ja auch aus der Pfalz. Als es endlich vorbei ist, gehen wir ins Vorzimmer. Er öffnet einen Schrank, holt ein schwarzes Kunstleder-Portemonnaie raus mit dem Wappen der Bundesrepublik und drunter in Silber seine Unterschrift.
Und dann sagt er in pfälzischem Du: "Jetzt fahrschd du zurück nach Hamburg und sagschd deim Vorstand än scheene Gruß vun mir, unn er soll dir immer schee Bimbes (Geld, d. Red.) noi mache."
Kohl-Humor?
Ja, es sollte wohl ein Scherz sein. Aber welches Verständnis von Presse und speziell vom Springer-Verlag steckte dahinter? Ich kam nur zu einem Schluss: Der Kanzler denkt wohl, Journalisten muss man in schöne Positionen bringen, mit Geld stopfen und sie wissen lassen, wer sie da reingebracht hat – dann spuren die. Und das ist ihre Aufgabe: zu spuren.
Das dachte Wulff auch?
Es könnte sein Unverständnis erklären und seinen Wutausbruch: Wie können die das machen, wo ich mit denen so viele tolle Deals gemacht habe?
Ist die Geschichte für Sie wenigstens spannend?
Nein, das finde ich nicht mehr spannend. Spätestens seit dem Fernsehinterview von Wulff wirkt es abstoßend auf mich. Ich fand es beim Zusehen extrem unbehaglich, dass der Mann, der mein Land in der Welt repräsentiert, sich so einer Art Fernsehgericht stellen muss.
Beim normalen Krimi weiß jeder sofort, wer der Schurke ist und wer für Wiederherstellung des Guten zuständig. Im Fall Wulff wird der vermeintliche Gute plötzlich von einem weiteren Schurken als Schurke entlarvt, was diesen wiederum zum Guten werden lassen soll?
Sie können die Frage stellen, aber ich werde Ihnen nicht recht geben, dass Diekmann ein Schurke ist. Ich sage es so und wieder als Krimi-Autor: Vom Setting her ist die Häutung eines Schurken immer reizvoll. Und gänzlich weg von Ihrer Frage: Wer bekommt schon solch eine Chance, ein negatives Bild so zu revidieren? Besser geht es ja gar nicht.
Jetzt ist der Bundespräsident der Böse und die Bild-Leute sollen die Helden sein – da gerät nicht nur für uns von der taz die Welt aus den Fugen.
Die Welt ist nicht wegen Wulff aus den Fugen. Sie ist grundsätzlich aus den Fugen geraten. Wir haben längst zwei mediale Welten. Das Kapitel Wulff wird ja im Internet mit ganz anderen Prioritäten diskutiert.
Etwa über die Vergangenheit der Frau des Bundespräsidenten, Bettina Wulff, das hat Wulff im Fernsehen selbst thematisiert.
Wir haben Geschichten, die nur im Internet stattfinden und sich offenbar im rechtsfreien Raum bewegen. Da werden Grenzen überschritten.
Als Bild-Chef haben Sie doch auch Grenzen überschritten. Sie haben Opfer mit Namen und Foto gezeigt und die Privatsphäre missachtet.
Manchmal. Vielleicht. Aber es gab eine Autobahn mit Leitplanken, die ich versucht habe einzuhalten.
Das Internet ist schlimmer als Bild?
Nein, das sage ich nicht. Es ist nur so, dass ich zunehmend Schwierigkeiten habe, mit zwei medialen Welten klarzukommen, wo journalistische Regeln und Gesetze ein paar Mausklicks weiter außer Kraft sind – und keiner sich wehrt.
Wer gegen Gerüchte im Internet juristisch vorgeht, riskiert, dass dann die Presse einsteigt und über diese Reaktion berichtet. Taktisch könnte das Selbstmord sein.
Ach? Wenn Bild was schreibt, sofort Unterlassung, Schmerzensgeld, Rüge vom Presserats – und ein paar Klicks weiter wäre es Selbstmord, das zu verfolgen? Das kann es doch nicht sein. Ein überwiegender Teil der Bevölkerung ist längst in der anderen Medienwirklichkeit angekommen.
Schizophren: wir reden darüber, ob es presserechtlich zu verantworten ist, dass Bild diesen Mailboxanruf veröffentlicht. Und woanders im Internet wird das Persönlichkeitsrecht mit Füßen getreten – und keiner diskutiert darüber.
Scheint ja ein neues Betätigungsfeld von Bild-Chefs oder Ex-Bild-Chefs zu sein, für Pressefreiheit und gegen mediale Verfehlungen zu kämpfen. Sind Sie da der Richtige?
Ich kann für mich nur reklamieren, dass ich zehn Jahre aus dem Job bin und mir aufgrund meiner Erfahrung Gedanken mache über die heutige Medienwirklichkeit. Und: Dagegen war die Zeit, als ich Bild-Chef war, Steinzeit. Im Vergleich zum Internet könnte man ja fast sagen, dass Bild zahnlos geworden ist.
Verkauft sie sich deshalb so schlecht?
Selbst wenn Bild bewusst Grenzen überschreiten wollte – das bringt doch nichts mehr. Da schließt sich der Kreis zum Internet. Bild verliert Auflage. Selbst Exklusivität ist kein Verkäufer mehr, weil die Leute gar nicht mehr wissen, was exklusiv ist. Bild bildet nur noch ab und braucht auch nicht mehr zu haben als andere in einer Gesellschaft, die sich hauptsächlich zwischen Bohlen und Dschungelcamp bewegt. Bild hätte durch boulevardeskes Verhalten überhaupt keinen Vorteil mehr.
Und erfindet sich als politisch-moralisches Medium neu?
Sagen wir so: In dem Moment, in dem alte Geschäfts- und Gefechtsfelder nichts mehr bringen, muss ich mich nach neuen Feldern umsehen. Bild hat sich gefragt: Okay, wo sind unsere öffentlich-medialen Bedeutungsfelder? Antwort: Politik. Deswegen hat Bild sich nicht nur in den Berliner Politikbetrieb integriert, sondern alles daran gesetzt, die Führung zu übernehmen oder zumindest den Anschein zu erwecken, Agendasetter zu sein.
In diesem Bestreben ist die Wulff-Jagd ein Meilenstein?
Ja. Die Wulff-Affäre ist ein Sechser im Lotto für Bild. Sie enthüllt – und das hat bei der Veröffentlichung bestimmt im Hinterkopf mitgeschwungen – unsaubere Kredite des Präsidenten. Nicht Spiegel. Oder Stern. Sondern Bild! Ein Coup. Und durch Wulffs blöden Umgang mit der Affäre steht Bild jetzt als Gralshüter der Pressefreiheit da.
Sind Sie traurig, dass Sie jetzt nicht mehr vorn mitmischen?
Überhaupt nicht. Ich habe ja nicht als Bild-Chef angefangen. Meine Leidenschaft war es, Reporter zu sein. Mit ein paar Sidesteps wurde ich dann Redaktionsleiter, stellvertretender Chefredakteur und irgendwann Chef. Und immer habe ich einen Wunsch verschoben, den ich mir jetzt erfülle: Krimis schreiben.
Gerade ist Ihr neuer Roman "Der rote Reiter" rausgekommen, für den Sie jahrelang in Archiven recherchiert haben. Wie geht es Ihnen besser? Als Chefredakteur oder als Romanautor?
Als Autor. Das ist mir viel lieber. Heute läuft das Tagesgeschäft doch nur noch wie eine Nachrichtenverarbeitungsfabrik. Da drin zu stehen und Informationen so zu verpacken, dass sie noch über den Tag hinaus Bestand haben, das bringt mir nichts mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren