Ex-BGH-Richter über Afghanistan: "Mord mit gemeingefährlichen Mitteln"
Die Staatsanwaltschaft muss so schnell wie möglich die Ermittlungen gegen die Verantwortlichen in Kundus aufnehmen, meint Wolfgang Neskovic, Ex-BGH-Richter und Abgeordneter der Linken.
taz: Herr Neskovic, ein Offizier der Bundeswehr hat in Afghanistan einen Nato-Luftschlag befohlen, bei dem Dutzende von Menschen ums Leben kamen. Ein Fall für die Justiz?
Wolfgang Neskovic: Natürlich. Die zuständige Staatsanwaltschaft muss so schnell wie möglich ein Ermittlungsverfahren einleiten.
Was wäre der mögliche strafrechtliche Vorwurf?
Zu prüfen sind unter anderem fahrlässige Tötung, Totschlag und sogar Mord.
Mord?
Ja. Nach dem Strafgesetzbuch gilt ein Totschlag unter anderem dann als Mord, wenn er ,mit gemeingefährlichen Mitteln' durchgeführt wurde. Wenn ein Flugzeug Bomben auf gefüllte Tanklastzüge abwirft, ist das gemeingefährlich.
Die Bundeswehr befürchtete ein Selbstmordattentat der Taliban. Ist das kein Fall von Notwehr?
Notwehr setzt einen gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff voraus. Eine solche Notwehrlage kann ich hier aber überhaupt nicht erkennen. Die Lastzüge sollten nicht sofort eingesetzt werden, sondern laut Bundeswehr erst in den als Taliban-Hochburg geltenden Disktrikt Chahar Darah gebracht werden. Und auch das ist nicht gelungen, die Tanklaster steckten auf einer Sandbank im Fluss fest.
Wolfgang Neskovic (61, parteilos), ist rechtspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. Vorher war er Richter am Bundesgerichtshof.
Was gilt, wenn die Bundeswehr irrtümlich eine Notwehrlage annahm?
Wenn - wie hier - eine Notwehrlage willkürlich behauptet wird, dann ist das völlig unbeachtlich.
Die Bundeswehr könnte aber durch das UN-Mandat gerechtfertigt sein...
Da liegt sicher der Kern der strafrechtlichen Prüfung. Die Bundeswehr hat laut ISAF-Mandat der UNO und laut Mandat des Bundestags die Aufgabe, ein sicheres Umfeld für den Aufbau des afghanischen Staates zu schaffen. Dazu gehört auch, dass sie sich selbst vor Taliban-Angriffen schützt. Insofern kann sie auch versuchen, Anschlagsvorbereitungen der Taliban mit militärischen Mitteln zu verhindern. Allerdings muss sie dabei verhältnismäßige Mittel einsetzen, sonst machen sich die handelnden Personen strafbar.
War der Einsatz von Kundus verhältnismäßig?
Wenn das halbe Dorf um die Tanklaster herumstand, um Benzin zu zapfen, wie es afghanische Zeugen schildern, dann war der Angriff eindeutig rechtswidrig und Mord. Wenn die Bundeswehr die Zivilisten im Dunkeln fahrlässig übersehen hat, kommt fahrlässige Tötung in Betracht. Die Bundeswehr ist auch im Ausland an die Grundrechte gebunden. Dazu gehört auch das Grundrecht auf Leben.
Die Bundeswehr-Führung sagt, dass vermutlich gar keine Unbeteiligten zu Schaden kamen...
Wenn Verteidigungsminister Jung wissentlich versucht, die Bestrafung eines Täters durch falsche Aussagen zu verhindern, dann kann er sich wegen Strafvereitelung strafbar machen. Nato-Generäl Smith hat inzwischen die zivilen Verwundeten im Krankenhaus von Kundus besucht, da kann man sich doch nicht hinstellen und behaupten, es habe keine zivilen Opfer gegeben. Auch die afghanischen Behörden gehen von Dutzenden zivilen Toten aus.
In Afghanistan herrscht ein kriegsähnlicher Zustand. Macht es da Sinn, staatanwaltschaftliche Ermittlungen wegen Mordes oder fahrlässiger Tötung einzuleiten?
Die Bundeswehr ist in Afghanistan nicht im Krieg. Darauf weist auch die Bundesregierung immer wieder hin. Sie arbeitet auf der Grundlage des völkerrechtlichen ISAF-Mandats zur Stabilisierung des Landes. Deshalb gilt auch kein Kriegsrecht, sondern das normale deutsche Strafrecht.
Der Offizier hat aber nicht selbst getötet, die Bomben hat ein US-Flugzeug abgeworfen. Macht das einen Unterschied?
Grundsätzlich nein. Wenn sich der Verdacht bestätigt, handelte der Offizier als mittelbarer Täter. Er muss sich allerdings Unachtsamkeiten und Fehler der US-Piloten nicht zurechnen lassen, es sei denn, dass er sie durch die Art seines Befehls verursacht hat.
Die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft bereits, ob ermittelt werden muss.
Die Potsdamer Staatsanwälte haben nur eine Eilzuständigkeit für erste Ermittlungen. Sobald sich der Anfangsverdacht einer Straftat ergibt, geben sie den Fall an die Staatsanwaltschaft am Heimatstandort des Offiziers ab.
FDP und CDU/CSU fordern eine zentral zuständige Staatsanwaltschaft, damit Ermittlungen bei Auslandstaten von Soldaten schneller und effizienter werden. Eine sinnvolle Idee?
Ich halte das für gefährlich und lehne das ab. Wenn immer die gleiche Staatsanwaltschaft zuständig wäre, könnte eine zu große Nähe zur Bundeswehr entstehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt