Event-Location auf St. Pauli: Die Macht des Faktischen

Auf dem Hamburger Feldstraßen-Bunker eröffnen im April ein Hotel und eine Konzerthalle. Damit werden alle Befürchtungen der Projekt-Gegner wahr.

Blick vom Bunkerdach auf den Hamburger Fernsehturm

Eigene Liga: Das nächst hohe Gebäude ist der Fernsehturm mit seiner geschlossenen Aussichtsplattform auf 120 Metern Foto: Franziska Spiecker/dpa

HAMBURG taz | Noch drehen sich die Kräne hoch oben über dem Feldstraßen-Bunker, und unten laufen die Leute, die seine Zukunft besichtigen dürfen, im Matsch, über Bretter und Pfützen. Sie haben Helme aufgesetzt bekommen, schöne schwarze Lederstiefel kriegen Dreckspritzer ab, aber klar: Das gehört zum Business. Fernsehen ist auch da, die Kameraleute tragen ihre Ausrüstung auf der Schulter.

Die schiere Größe dieses denkmalgeschützten Hochbunkers aus den letzten Jahren der Nazi-Zeit macht schon klar, dass es sich nicht um eine ganz normale Baustelle handeln kann. 75 Meter breit und 75 Meter lang ist der Betonklotz mit seinen meterdicken Wänden, mit den vier Flaktürmen, an jeder Ecke einer, kam er ursprünglich auf 38 Meter Höhe.

Mit dem terrassenförmigen Aufbau samt Dachgarten, der in den vergangenen Jahren auf dem Bunkerdach entstanden ist, sind es nun 58 Meter. Das nächste Gebäude vergleichbarer Höhe ist der einen Kilometer entfernte Wasserturm im Schanzenpark, die „Tanzenden Türme“ am Eingang der Reeperbahn sind 75 und 85 Meter hoch, die Elbphilharmonie 110 Meter, 120 Meter die derzeit nicht betriebene Aussichtsplattform des Fernsehturms.

Von oben aus betrachtet rücken diese Landmarken der Stadt magisch zusammen. Sie sind sich die nächsten Nachbarn, was unten drunter liegt, kann in dieser Liga nicht mitspielen.

Dass der Bunker jetzt so hoch wird, finden seine Befürworter nicht schlimm, schließlich, sagen sie, ist ja direkt nebenan das Heiligengeistfeld, wo dreimal im Jahr der Jahrmarkt ist, den sie in Hamburg „Dom“ nennen, mit einem Riesenrad, das mit 60 Metern sogar noch etwas höher ist. Und überhaupt, was sind schon 58 Meter?

Im Bunkerschatten

Das stimmt einerseits. Andererseits beginnt auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Karolinenviertel mit seinen Altbauten, von denen manche nun im Bunkerschatten liegen. Das Karolinenviertel mit seinen Kneipen, Cafés und hippen Modeläden hat sich in den Jahren immer mehr touristifiziert. Trotzdem leben dort auch Menschen, die dem Wachstum des Bunkers skeptisch gegenüberstehen.

Ursprünglich ging der Widerstand sogar noch weiter, schließlich ist der Bunker auch ein historisches Monument. Gebaut von Zwangsarbeitern, stand er für den Durchhaltewillen Nazi- Deutschlands am Ende des Krieges. „Unsere Forderung war immer: Mahnmal erhalten, nicht bebauen“, sagt Teresa Jakob, die für die Linke in der Bezirksversammlung Mitte sitzt und Mitglied im Quartiersbeirat Karolinenviertel ist, einer Art Anwohner*innenvertretung, die vom Bezirk eingerichtet wurde.

Vor zehn Jahren, 2014, waren die Pläne für einen Bunker-Aufbau zum ersten Mal öffentlich vorgestellt worden. Tobias Boeing von der Stadtteil-Initiative „Hilldegarden“ und der Architekt Tim Schierwater stellten ein Modell vor, das schon fast so aussah wie das, was jetzt vor aller Augen entstanden ist: ein terrassenförmiger Aufbau, fünf Stückwerke hoch, allseitig begrünt, mit einem Dachgarten oben drauf, der über eine 300 Meter lange, umlaufende Rampe erreichbar ist.

Allerdings war der Zungenschlag bei der Vorstellung doch noch ein anderer: Der Bunker bekomme auf seinem Dach einen öffentlich zugänglichen Park, einen „Stadtgarten“ St. Pauli, direkt neben dem Stadion des Fußballvereins, und Freiflächen für Urban Gardening gebe es auch noch! Und im Inneren? Nun, eine „Kulturhalle“ solle dort entstehen, Musikclubs, Ateliers und Proberäume, und „Gästehäuser“ für die Künstler*innen.

Der Pächter des Bunkers, der Hamburger Großinvestor Thomas J. C. Matzen, sei an Bord, hieß es bei der Präsentation, er übernehme die Kosten. Auch der Bezirk sei informiert. Dem Projekt stehe nichts mehr im Wege.

Das war zu schön, um wahr zu sein. Kurz darauf wurde bekannt, dass Thomas J. C. Matzen seinen Erbpachtvertrag im Gegenzug unentgeltlich verlängert bekommen sollte, auf 99 Jahre. Recht bald stellte sich auch heraus, dass es sich bei den „Gästehäusern“ doch eher um ein ausgewachsenes Hotel handelt, mit über hundert Zimmern, denn irgendwie muss das Geld für die Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe ja auch wieder reinkommen, oder?

Die komplette Chefetage

Aber Geld verdienen ist ja keine Sünde, und in Hamburg schon gar nicht. Wenn nur die renitente Nachbarschaft nicht wäre! Und so hat man sich jetzt, bei der Vorstellung dessen, was unter und auf das grüne Dach des Bunkers kommt, wirklich Mühe gegeben. Von RIMC Hotels & Resorts, dem Hotelbetreiber, ist die komplette Chefetage gekommen, viele von ihnen haben denselben Nachnamen: ein echtes Hamburger Familienunternehmen, Sitz: zwischen Rothenbaumchaussee und Außenalster, eine exklusive Lage.

Sie seien ein wenig nervös, sagt der Familien-CEO, normalerweise halte man sich eher im Hintergrund, betreibe zwar Hotels überall auf der Welt, aber unter anderem Label, „Marriot“ vielleicht oder sonst was. „Es ist für uns das erste Mal, dass wir so in die Öffentlichkeit treten“, sagt er vorn auf der Bühne, während das Publikum unter dem tollen ringförmigen Oberlicht des „Resonanzraums“ sitzt, der Heimstätte des Ensembles Resonanz, das hier probt und manchmal auch Konzerte gibt.

Von der Bar zieht Kaffeeduft herüber, natürlich gibt’s Catering für die Gäste, wir sind ja zu Gast bei Hoteliers. Das Hotel auf dem Bunkerdach hat allerdings auch ein Label oder noch besser „Brand“, wie es heißt: „Reverb by Hardrock“, eine extrem coole Marke, die es sonst nur noch in Atlanta gibt. Im Mittelpunkt, erklärt der baumlange Hotel­manager, der jetzt auf die Bühne kommt, stehe die Musik und die Fankultur. Derzeit sei man in der „heißen ­Rekrutierungsphase“, geöffnet werde im April, Zimmer seien ab jetzt buchbar.

Vielleicht sollte man hier erwähnen, dass oben auf den Bunker außer dem Hotel eine Konzerthalle kommt, in die 2.200 Menschen passen und die später besichtigt werden darf, „mit Erlaubnis des Geschäftsführers“, der Wolf von Waldenfels heißt und zuletzt direkt darunter, im obersten Stock des alten Bunkers, erfolgreich den Club ­„Uebel & Gefährlich“ betrieb, in den leider nur 1.000 Leute gehen.

Die Halle ist ein Wunderwerk der Technik, auf den Boden werden die Linien projiziert, wenn sie morgens zur Sporthalle für die umliegenden Schulen aus dem Stadtteil wird, die man natürlich ebenso ins Boot geholt hat wie auch den FC. St. Pauli, der nicht nur Partner ist, sondern in einem der Flaktürme einen Fanshop betreibt.

Die Konzerte, das Hotel, die Bars und Restaurants, das alles passt wunderbar zusammen und wird zu einer „Bunker-Experience“, die gleich beim Check-in beginnt, wenn der Gast einen der Aufzüge verlässt, die in die Welt auf dem Bunkerdach führen. Direkt am Weg liegt eine seltsame Betonkammer, „das Munitionsdepot“, hier wird der Nachbarschaftsverein Hilldegarden, der außer fürs Urban Gardening für die Nazi-Geschichte zuständig ist, vielleicht Filme zeigen.

Denn es ist ja nicht so, dass den Managern nicht klar wäre, was an diesem Ort passiert ist. „Wir wollen aber trotzdem lieber in die Zukunft blicken“, hatte der CEO unten bei der Begrüßung gesagt. Beim Check-in in einem der Flaktürme lässt sich sehen, wo die Grenze verläuft, unten Nazi-Beton, oben drüber neues Mauerwerk: der historische Bruch in a Nutshell. Darüber könnte man in einem der Fläzsessel mit eingebautem Soundsystem, die am Rande stehen, nachdenken, wenn man wollte.

Der übermächtige Bunker, vom Karoviertel aus gesehen

Des Karo­viertels hoher Nachbar: 58 Meter hoch ragt der Feldstraßenbunker nun auf Foto: Marcus Brandt/dpa

In anderen Flaktürmen befinden sich Bars über drei Ebenen, Pivate-Dining-Areas und andere Dinge, die Hotelzimmer sind stilecht in möglichst roher Betonanmutung gehalten. „Das ist rough“, sagt der Hotelmanager, der die Gruppe führt, zufrieden und fährt mit dem Finger über die Wand. Chic ist es trotzdem, der Ausblick aus dem Fenster grandios, die Pflanzen davor lassen noch Licht rein.

„Habt ihr das Graffito gesehen?“, die Frage geht, wieder draußen im Flur, herum. „Welches Graffito?“ Und tatsächlich, drinnen an der Wand, neben dem Fenster, ist eine stilisierte E-Gitarre, die so gut in den Raum passt, dass sie unsichtbar bleibt.

Bis auf den Dachgarten erstreckt sich das Konzept des neuen Bunkers, denn: „Die Flächen sind öffentlich zugänglich, aber sie gehören schon uns.“ Darum sind eben auch Bereiche, die nicht so öffentlich sind, und es gibt einen Container, der derzeit in der Mitte von dem steht, was mal eine Wiese werden soll. Irgendwann wird er an den Rand des Dachgartens geschoben werden und im Winter wird man Fischbrötchen verkaufen und im Sommer Bunker-Burger mit Frozen Yoghurt. „Und dazu ein Sundowner“, sagt der Hotelmanager entzückt, währen der Nieselregen herniedergeht. Aber ohne Fantasie geht sowieso nichts.

Von 7 bis 20 Uhr im Winter und von 7 bis 23 Uhr im Sommer wird der Dachgarten geöffnet sein, bis zu 900 Personen dürfen sich oben, im eigentlichen Garten aufhalten, 5.000 Menschen auf der „gesamten Anlage“, zu der auch der „Bergpfad“ gehört, der einmal rund um den Bunker hoch führt. Ein Drehkreuz unten wird die Besu­che­r*in­nen zählen und blockieren, wenn es zu viele werden.

Mit 6.000 bis 7.000 Gästen am Tag rechnen die Hotelmanager, zusätzlich zu den Konzert- und Clubbesuchern. Damit werden die schlimmsten Befürchtungen der Kri­ti­ke­r*in­nen aus dem Viertel wahr, die in den langen Jahren der Planung immer wieder vor einer weiteren „Eventisierung“ des Stadtteils gewarnt haben. Teresa Jakob vom Quartiersbeirat sieht „Party-People ohne Ende“. „Wenn da auf dem Dach dann Remmidemmi ist und gecornert wird, weiß die Polizei doch gar nicht, wie sie das handlen kann“, sagt sie. „Was, wenn die da Flaschen runterwerfen?“

Die schlimmsten Befürchtungen der Kri­ti­ke­r*in­nen aus dem Viertel werden wahr, die immer wieder vor weiter „Eventisierung“ gewarnt haben

Besonders bitter für die übrig gebliebenen Stadt­teil­ak­ti­vis­t*in­nen ist die Konzerthalle. Bevor die Bunkerpläne aufkamen, hatte es schon mal einen Anlauf gegeben, in der Rindermarkthalle nebenan eine zu bauen. Damals scheiterte das noch am Widerstand aus dem Viertel.

„Da machen 2.000 Leute Halligalli, weil sie ins Konzert wollen“, sagt Teresa Jakob. Sie befürchtet, dass sie ins benachbarte Karoviertel kommen, dorthin, wo sie wohnt. „Und wir haben den Krach.“

Drei Monate Jahrmarkt

Seit im Karoviertel Anwohnerparken gilt, hat sich der Verkehr dort allerdings beruhigt. Und der Bunker ist im Vergleich zu dem, was sonst noch auf der andern Straßenseite los ist, gar nicht so groß: Der Jahrmarkt auf dem Heiligengeistfeld campiert dort dreimal im Jahr für jeweils einen Monat, zum gerade zu Ende gegangenen Winterdom kamen insgesamt eine Million Menschen, macht 33.000 pro Tag. Und beim FC St. Pauli sind alle zwei Wochen Spiele, die immer ausverkauft sind, das Stadion hat 30.000 Plätze.

Noch hat sich der Quartiersbeirat zu den neuen Bunkerplänen auch gar nicht offiziell geäußert. Der damalige SPD-Bezirksamtsleiter Falko Droßmann, der inzwischen für die SPD im Bundestag sitzt, hat den Ak­tivis­t*­in­nen 2020 in der Zeit vorgeworfen, sie würden nur die Interessen einer „kleinen, weißen, alternden Einwohner-Elite“ vertreten.

Das ist vielleicht ein bisschen hart, und Ängste vor einer Gentrifizierung, die durch die schicken neuen Locations vorangetrieben würde, sind wahrscheinlich sehr berechtigt. Aber es sieht doch so aus, als würde das Viertel mit der neuen Bunkerperspektive leben können. In der Feldstraße jedenfalls, die das Karoviertel auf der einen Seite von Bunker, Dom und FC St. Pauli auf der anderen Seite trennt, haben bereits Geschäfte aufgemacht, die ihr großes Gegenüber im Namen tragen. Seit einem Jahr gibt es dort einen Friseur namens „Bunker-Cut“, und ein paar Häuser weiter hat ein „Bunker-Döner“ geöffnet.

Macht sich als Marke eben nicht schlecht, der alte Weltkriegskoloss.

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