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Evangelikaler Kita-Träger abserviertLieber ohne Mission

In Bremen-Blumenthal wollte ein evangelikales Sozialwerk ein Sozialzentrum errichten. Nach einer Intervention der Linken ist das Projekt vom Tisch.

Kein reicher Stadtteil: leerstehende Geschäfte und Schuldnerberatung in Bremen-Blumenthal Foto: imago images / Eckhard Stengel

Bremen taz | Alles schien nach Plan zu laufen für das freichristliche Sozialwerk „Perspektive Oldenburg“, das ein Sozialzentrum in Blumenthal bauen wollte, mit Kita und Kantine, Wohngruppe und Begegnungsstätte, Indoor-Spielplatz und einer psycho-sozialen Beratungsstelle. Wer auch könnte etwas dagegen haben? Die sozial-demografische Bedarfslage in Blumenthal, Lüssum-Bockhorn und Rönnebeck scheint offensichtlich, und so stimmte der Ortsbeirat Blumenthal dem Projekt im April 2019 einstimmig zu.

Doch nun ist das Sozialwerk als Träger vom Tisch. Die Kita wird stattdessen vom säkularen Träger „Kindertagesstätten Nord e.V.“ realisiert. Wie ist das passiert?

Das Sozialwerk „Perspektive Oldenburg“, das das Projekt „Ermlandstraße 2020“ angeregt hatte, ist der karikative Zweig einer freichristlichen, evangelikalen Gemeinde aus Oldenburg. Bereits im Frühjahr 2019 warfen taz-Recherchen ein kritisches Licht auf die evangelikale Gemeinde.

Denn innerhalb der zahlreichen freikirchlichen Gemeinden in Deutschland gilt die Pfingstbewegung, zu denen auch die Oldenburger Frei­christen gehören, als die radikalste und reaktionärste, aber auch dynamischste und hippste Strömung. Seit Jahren befindet sie sich im globalen Aufwind: US-Präsident Donald Trump ließ sich unlängst per Handauflegen für das Wahljahr 2020 segnen, und in den brasilianischen Favelas präparierte die Pfingstbewegung die Bevölkerung für die Wahl ihres rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro.

Leider sind viele der gemeinnützigen oder kommunalen Träger fast am Limit

Sofia Leonidakis, Fraktionsvorsitzende der Linken

In Deutschland sieht die Pfingstbewegung ihre Aufgabe in der Evangelisation, also der christlichen Missionierung im eigenen Land. Dies geschieht im freundlichen und poppigen Gewand auf Festivals, YouTube oder in Fußgängerzonen, stets im Gepäck sind Bibelfundamentalismus, Sexismus und Homophobie.

Hauptverantwortlich für die politische Koordination des Projekts war Peter Nowack, der an diesem Montag abgewählte Ortsamtsleiter von Blumenthal. Schon im Frühsommer 2019 habe ihn die Bremer Bildungssenatorin, Claudia Bogedan (SPD), auf starke Bedenken der Linksfraktion bezüglich der konfessionellen Ausrichtung des Trägers hingewiesen, so Nowack auf Anfrage.

„Nach einem gemeinsamen Gespräch mit mir und der Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sofia Leonidakis, konnte keine Einigung erzielt werden, weswegen ich mich auf die Suche nach einem neuen Träger gemacht habe“, schildert Nowack. „Glücklicherweise konnte ich den gemeinnützigen Träger Kindertagesstätten Nord e.V., der bereits einige Kitas hier in Nord betreibt, für die Sache gewinnen.“ Für ihn sei „einfach wichtig, dass wir hier die Kitaplätze bekommen, die wir brauchen, um die Vorgaben des Senats zu erfüllen“.

Vorerst wird also erst einmal die Kindertagesstätte gebaut. Perspektivisch soll laut des ehemaligen Ortsamtsleiters aber das gesamte Projekt, inklusive sozial-psychologischer Beratungsstelle, dem In- und Outdoorspielplatz und der Wohngruppe durch verschiedene Träger realisiert werden. Die Planung dafür könne aber erst nach den Haushaltsverhandlungen der rot-rot-grünen Regierungskoalition ernsthaft in Angriff genommen werden.

„Ich bin erst mal total froh, dass das Projekt realisiert wird, da solch ein soziales Angebot in Blumenthal dringend gebraucht wird“, sagt Sofia Leonidakis, kinderpolitische Sprecherin und Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft. „Allerdings“, bekräftigt sie, „haben wir als Linke immer klar gemacht, dass mit einem evangelikalen oder kommerziellen Träger bei uns eine rote Linie überschritten wird. Leider sind viele der Bremer gemeinnützigen oder kommunalen Träger organisatorisch und personell fast am Limit mit der Schaffung weiterer Kitaplätze. Insofern sind wir besonders erleichtert, dass die Kooperation mit dem Sozialwerk,Perspektive Oldenburg' vom Tisch ist.“

Bis nun offiziell mit dem Bau des Kitaprojekts unter einem säkularen Träger begonnen werden kann, müssen noch einige Hürden genommen werden. Zunächst muss der neue Träger „Kindertagesstätten Nord e.V.“ eine Interessensbekundung bei der Behörde einreichen. Nach der Prüfung entscheidet dann der Unterausschuss „Frühkindliche Bildung“ in der Bürgerschaft über den Antrag. Bis dahin können noch mehrere Monate verstreichen.

Selbst bauen will der neue Träger nicht, als Voraussetzung für den Betrieb fordert er, dass der Bau durch eine externe Partei übernommen wird. Das scheint kein Hindernis mehr zu sein: Ein Investor habe sich bereits gefunden, so Nowack. Er selbst hofft auf eine Eröffnung der Kita im Sommer 2021.

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2 Kommentare

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  • Obedfuchs, Ihren Ausführungen muss energisch widersprochen werden. Ihnen müsste eigentlich klar sein, dass freikirchliche Einrichtungen, zumal in Anbindung an die Pfingstkirchler in den USA (Evolutions-Leugnung, Darwin-Hass, Hass auf Wissenschaftler:innen, z.T. Flatearthers - um nur vier Aspekte zu nennen) auf keinen Fall die Möglichkeit bekommen sollten, ihre Ideologie an Kinder heranzutragen.



    Spätestens, wenn sich jemand wie Trump "einsegnen" lässt, weiß man doch wohl, mit wem man es zu tun hat.



    Ihr Versuch, die heutigen "Linken" mit der SED gleichzusetzen, ist plump und passt nicht.



    Davon ab: "Fragen Sie mal "überzeugte Christen" (z.B. aus der EKD oder der kathol. Kirche), was die von den Pfingstkirchlern und "Freikirchen" halten, Sie werden staunen.



    Nebenbei: Es heißt "Atheismus" - von "theos" = Gott.



    Schließlich: Sind Sie wirklich sicher, dass die Agenda der Pfingstkirchler (vgl. Bolsonaro) etc. tatsächlich etwas mit "gelebter Demokratie" zu tun hat?

  • Ich finde den Artikel echt schade. Wir haben hier in Deutschland Religionsfreiheit. Nun mag man ja den christlichen Glauben aus linksideologischer Perspektive nicht teilen wollen. Aber ein Nachweis für ein angemessenes Demokratieverständnis der Linken ist das angesichts ihres Ursprungs als Nachfolgepartei der SED, und was bereits diese alles den überzeugten Christen gegenüber unterstellt und angetan hat, beileibe nicht. Da sollte man sich mit Forderungen gegenüber der CDU, diese möge doch nun mal endlich ihre scharfe Abgrenzung gegenüber der Linken überdenken, sehr zurückhalten. Ich bin kein Anhänger der Pfingstbewegung, aber die von der Linken betriebene Ideologiesierung in "ihre eigene atteistische Richtung" geht leider in die falsche überwunden geglaubte Richtung des alten SED-Stils. Überzeugte Christen haben in unserem Land die gleiche Berechtigung zur Durchführung humanitärer und sozialer Projekte wie Atteisten und Nichtchristen und verdienen in einer gelebten Demokratie dafür auch eine angemessene (staatliche) Wertschätzung und auch Förderung. Vielen Dank!