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Evakuierungen aus Mariupol„Ihr müsst sie holen“

Mehr als Hundert Zivilisten können aus dem Asowstal-Komplex in Mariupol gerettet werden. Selenski hofft auf eine Fortsetzung der Aktion.

Evakuierte Zivilisten aus dem Stahlwerk in Mariupol am 1. Mai Foto: Alexander Ermochenko/reuters

taz | Die Rettung von Zivilisten aus dem Stahlwerkskomplex Asowstal in der ostukrainischen Hafenstadt Mariupol kommt offenbar voran. Es seien am Wochenende 126 Menschen in Sicherheit gebracht worden, teilte das russische Verteidigungsministerium am Montag mit. Ukraines Präsident Wolodimir Selenski hoffte auf eine Fortsetzung der Aktion. „Zum ersten Mal hatten wir zwei Tage lang eine Waffenruhe in diesem Gebiet, und wir haben es geschafft, mehr als hundert Zivilisten, Frauen, Kinder, herauszubringen“, sagte er in seiner nächtlichen Videoansprache.

Bilder aus dem Werk zeigten wie Kämpfer des ukrainischen Asow-Regiments Zivilpersonen durch Trümmer zu einem Bus halfen. Am Montag sollten eigentlich weitere Menschen herausgebracht werden. Die Stadtverwaltung widersprach am Nachmittag allerdings Angaben eines Bürgermeisterberaters, dass weitere Evakuierungsbusse die Stadt bereits verlassen hätten. Die Busse hätten den vereinbarten Abholpunkt noch gar nicht erreicht, hieß es.

Ein erster Buskonvoi hatte am Wochenende Zivilisten aus dem Stahlwerk gebracht. Beteiligt waren die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Nach ukrainischen Angaben sollen in den Bunkeranlagen des Stahlwerks noch etwa 1.000 Zivilisten und 2.000 Soldaten eingeschlossen sein.

Die Evakuierten wurden in das 230 Kilometer entfernte Saporischschja gebracht, durch teils schwer umkämpftes Gebiet. Von dort war am Samstag morgen der Konvoi losgefahren, um die Zivilisten aus Mariupol abzuholen. Bei bisherigen Evakuierungsversuchen mussten die Busse immer vorher umkehren, weil das russische Militär sie nicht durchließ.

Diesmal scheint es zumindest einmal gelungen zu sein. Aber „sobald die Busse mit Evakuierten Asowstal gestern verlassen hatten, begann sofort neuer Beschuss“, sagte Petro Andryu­schtschenko, ein Mitarbeiter von Mariupols Bürgermeister, im ukrainischen Fernsehen. Das IKRK teilte am Sonntagabend mit, es werde keine Einzelheiten über die Evakuierung bekannt geben, „um eine Gefährdung der Sicherheit der Zivilisten und des Konvois zu vermeiden“.

Wer kein Auto hat, der hat keine Chance

Gegenüber der Nachrichtenagentur AP schilderten mehrere Familien die kata­strophalen Bedingungen der vergangenen Monate. Mit Wasser aus einem Brunnen und spärlichem Essen von einem behelfsmäßigen Herd hätten sie sich am Leben gehalten, sagte Anastasija Dembytska am Montag gegenüber AP nach ihrer Ankunft in Saporischschja. Sie habe die kurze Waffenruhe am Sonntag genutzt, um mit ­ihrer Tochter, ihrem Neffen und einem Hund zu fliehen. Olena Gibert gelang ebenfalls die Flucht aus Mariupol, in einem Privatauto. Wer kein Auto habe, der habe keine Chance, aus der Stadt rauszukommen, sagte sie in Saporischschja. „Sie sind verzweifelt. Ihr müsst sie holen. Die Leute haben nichts. Wir hatten nichts.“

Swjatoslaw Palamar, stellvertretender ­Kommandeur des Asow-Regiments, sagte, die Verteidigung von Asowstal werde durch die Anwesenheit von Kindern und Zivilisten erschwert. Das Trinkwasser reiche nicht aus, in der Luft liege der Gestank verwesender Leichen. Es gebe keine Spezialausrüstung, um Trümmer zu ­beseitigen, und es sei schwierig, zu Verletzten zu gelangen. Alle Menschen sollten aus der Anlage gebracht werden, sagte Palamar. (ap, rtr, dpa, afp, taz)

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