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Evakuierung aus AfghanistanAntwort von der Stange

In einem Offenen Brief hatten NGOs das Innenministerium um Hilfe für bedrohte Af­gha­n:in­nen gebeten. Die Reaktion: eine Ansammlung von Textbausteinen.

Sie haben es geschafft: Diese Afghanen überquerten im September die Grenze nach Pakistan Foto: dpa

BERLIN taz | Weniger Wertschätzung geht kaum: Mit einem weitgehend aus Textbausteinen zusammengesetzten Schreiben des „Referats für Bürgerkommunikation“ hat das Bundesinnenministerium auf einen Offenen Brief von Menschenrechtsorganisationen an Ressortchef Horst Seehofer (CSU) reagiert. Terre des Hommes, Medico International und Terre des Femmes hatten in ihrer am 9. September verschickten Eingabe gefordert, „schnellstmöglich“ die Vergabe von humanitären Visa für gefährdete Menschen in Afghanistan auszuweiten.

Es gebe „Tausende Hilferufe von Menschen, die von den Taliban bedroht werden und dort noch immer um ihr Leben bangen“, hieß es in dem Appell. Man sei in tiefer Sorge um „mutige Jour­na­lis­t:in­nen und Menschenrechtsverteidiger:innen, Dis­krikt­gou­ver­neu­r:in­nen und Jurist:innen, die Terroristen in Gefängnisse gebracht haben“. Die Betroffenen würden ständig die Verstecke wechseln und könnten sich und ihre Angehörigen kaum versorgen. Verglichen mit früheren Ortskräften deutscher Stellen und deren Familien sei der Umgang mit deren Ausreisegesuchen „ungleich restriktiver“.

In der nach der Bundestagswahl eingegangenen Antwort der „Bürgerkommunikation“ des Ministeriums wird eingangs um Verständnis für die recht schnöde Antwort gebeten: Seehofer bekomme täglich eine „Vielzahl an Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern“ und habe deshalb die Antwort delegiert. Auf die einzelnen Forderungen geht das Ministerium nicht ein – und erklärt zum Beispiel auch nicht, warum Seehofer ein thüringisches Landesaufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan abgelehnt hat.

Stattdessen versichert das Referat „Bürgerkommunikation“ nur allgemein, dass sich das „zuständige Auswärtige Amt“ in Verbindung setze mit afghanischen „Personen, die sich für Menschenrechte aktiv eingesetzt haben“. Diese würden „über den weiteren Verlauf des Verfahrens“ informiert.

Die „Bürgerkommunikation“ verspricht, dass die Bundesregierung „weiter intensiv“ an Lösungen arbeite, „um Menschen, für die Deutschland besondere Verantwortung trägt, bei der sicheren Ausreise aus Afghanistan zu unterstützen“. Das Ende der militärischen Luftbrücke bedeute „nicht das Ende unserer Unterstützung“. Terre des Hommes und den anderen Pe­ten­t:in­nen wird abschließend geraten, sich bei weiteren Fragen direkt an das „zuständige Auswärtige Amt“ zu wenden. Es folgt ein falscher Internet-Link: „Die Kontaktdaten finden Sie hier: https://www Auswaertiges-amt. von/von/service / buergerservice-faq-kontakt.“

Seehofer als „Bremsklotz“?

Auf die Absender des Offenen Briefes muss die behördliche Antwort dreist und brüskierend wirken. Sie sehen Seehofer und seine Behörde ohnehin als „Bremsklotz“ bei den Bemühungen um eine Evakuierung von gefährdeten Afghan:innen. Das Ministerium hat immer wieder darauf gepocht, dass ein „gemeinsames europäisches Vorgehen erforderlich“ sei. Und dies, obwohl die Lage in Afghanistan immer dramatischer wird. Erst am Wochenende berichtete der niederländische Fernsehsender NOS, dass Familien von ehemaligen Ortskräften Vorladungen zu einem „Tribunal“ erhalten hätten. Ziel sei, „Verrätern eine Lektion zu erteilen“.

Nach taz-Informationen erschwert außerdem Pakistan inzwischen massiv die Möglichkeiten, auf dem Landweg Afghanistan zu verlassen. Schon wieder passé ist demnach das neue Verfahren, bei dem Betroffene direkt an der Grenze eine Einreisegenehmigung für Pakistan erhielten, wenn sie eine Verbalnote der Deutschen Botschaft in Islamabad vorzeigen konnten.

Jetzt gelten wieder die Regeln, die bis zum Umsturz in Kabul in Kraft waren: Afghanische Staatsangehörige, die nach Pakistan einreisen möchten, müssen vorab ein Visum online beantragen. Vor allem für diejenigen, die keinen Reisepass haben, ist das keine Lösung. Und eine Alternative hat das Auswärtige Amt mit den pakistanischen Behörden bisher nicht aushandeln können.

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