Eurovision Song Contest-Vorentscheid: Sieg der optimistischen Abgefucktheit
Leichtgewichtige Männerauftritte konnten sich ebensowenig durchsetzen wie der klassische Schlager. Stattdessen werden die No Angels für Deutschland in Belgrad antreten.
Da stand sie nun rum, die Hamburger Musicalsängerin Carolin Fortenbacher und hatte sich das Ende des Abends anders gewünscht: Nicht sie und ihr Titel "Hinterm Horizont" sind vom ARD-Publikum gewählt worden, Deutschland beim 53. Eurovision Song Contest (24. Mai in Belgrad) zu vertreten, sondern die routinierten Frauen von No Angels mit ihrem Titel "Disappear".
Fortenbacher enttäuscht? "Nein, ich habe mein Bestes gegeben." Vielleicht nicht ganz: 49,5 Prozent errang sie, 50,5 Prozent ihre Konkurrentinnen. Deren Vorteil: Ihr Lied, das sie in weißflächigen Fummeln vortrugen, die ein wenig an die Ästhetik des Ralph Siegel dereinst erinnerten, hatte mehr Frische und, was als Lob zu verstehen ist, optimistische Abgefucktheit. Die Musicaldame hingegen - klassischer Popschlager mit raumgreifenden Gesten und Augenaufschlägen, die auf Verzweiflung deuten.
Erstaunlich aber: Fünf Acts traten im Hamburger Schauspielhaus an - und nach der ersten Runde der von Thomas Hermanns moderierten Show waren alle Männer (Cinema Bizarre, Tommy Reeve und die Band Marquess) draußen. Zwei Tage vor dem Internationalen Frauentag wollte das Publikum offenbar leichtgewichtige und langweilende Männerauftritte nicht auch noch belohnen.
Als Frechdachs des Abends gönnte man sich sogar den Baumarktpromoter Oliver Pocher, der sich gar - möglicherweise zur Freude seiner Fans - leistete, die serbische Eurovisionsgewinnerin des Vorjahres, Marija Serifovic, gehässig zu belästern: "Was war denn das für ein dicker Pinguin aus Serbien?" Ob Deutschland mit den No Angels im Mai punkten kann, besser abschneiden als Roger Cicero in Helsinki, wo er den 19. Platz belegte, mochte von Experten in Hamburg niemand zu prophezeien.
Was aber wahr ist: Anders als Cicero und im Jahr zuvor Texas Lightning sind die No Angels in halb Europa als bestsellende Popmarke eingeführt. Die Gruppe jedenfalls sagte, befragt, warum sie denn 2002 in einer Talkshow abstritten, jemals am Eurovision Song Contest teilnehmen zu wollen: "Das waren andere Zeiten. Unsere Songs passen da jetzt besser hin. Und wir wollen uns Europa wieder in Erinnerung rufen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus