European Maccabi Games in Berlin: Gewagte Konstruktion
Halbleere Ränge, kurze Sponsorenliste: Das Interesse an den Maccabi Games hält sich in Grenzen. Für die Bundesregierung ist das Event ein „Geschenk“.
Ich halte für einen Moment inne: Man kann doch in diesem Zusammenhang froh, optimistisch, traurig, pessimistisch, positiv, kritisch sein – aber dankbar? Bitte nicht. „Wir sind dankbar“, will uns die Regierung sagen, dass die Juden bereit sind, im Land der Täter Sport zu treiben. Sie sind, nach dem von Deutschland initiierten und denkbar rational durchgeführten Genozid an Millionen von Juden, „ein Geschenk“.
Und in der Tat, bringt Bundespräsident Gauck in seiner ruhigen und schön unaufgeregten Rede bei der Eröffnung der Spiele in Berlin einmal mehr dieses Wort: „Geschenk“. Doch will man das sein? Ein Geschenk? Und: Wem werden wir hier eigentlich verschenkt?
Empathie zeigt sich üblicherweise in Form von Interesse, nicht von glänzendem Geschenkpapier. Und das mit dem Interesse der nichtjüdischen Öffentlichkeit hielt sich an diesem kühlen, klaren Berliner Abend auch deutlich in Grenzen: Die Gesichter waren aus Frankfurter, Berliner und Münchner Gemeindekontexten bereits bekannt, die Rängen halb leer, die Sponsorenliste kurz.
Die Waldbühne, der Austragungsort der Eröffnung, dagegen ist und bleibt von unheimlicher Imposanz: eine Nazi-Antike im Olympiapark, erbaut zu den Spielen von 1936. Die NS-Zeit war an diesem Abend eine entscheidende Referenz. Die sechs ohne Ausnahme männlichen Speaker des Abends (“Muskeljuden sind eben männlich“, wie eine historisch kundige Facebook-Freundin süffisant anmerkte) redeten von einem Kreis, der sich hier und heute schließe.
Nationalsozialismus und Israel
Er schließt sich, weil mehr als 2.000 Athlet*innen in einem Berlin auftreten, das ihre Großeltern diskriminiert hatte und ausradieren wollte. Es ist den Nazis nicht gelungen und nun sind die jüdischen Sportler*innen da, nach den Spielen von 2011 in Wien, die als „erste Spiele auf dem früheren Gebiet des sogenannten Dritten Reichs“ beworben wurden.
Nationalsozialismus und Israel – diese Pole der Geschichte prägten die Eröffnung und das gesamte 20. Jahrhundert. Doch das jüdische Leben fand auch anderswo statt. Wer dachte bei der Begrüßung der deutschen Delegation, die mit mehr als 300 Teilnehmer*innen die größte bei diesen Spielen war, dass sie zu 80 bis 90 Prozent aus Kindern der postsowjetisch-jüdischen Einwanderer bestand, die ins wieder vereinigte Land kamen? Wer reflektierte bei der frenetischen Begrüßung der israelischen Delegation die Tatsache, dass viele der im Publikum anwesenden jungen Leute Israelis waren, die der Heimat bewusst aus politischen Gründen den Rücken gekehrt haben?
Nein, eine andere Kontinuität war an diesem Abend zentral: Die verfremdend dargestellten Gleise in Auschwitz veränderten sich in einer Videoinstallation zu Rennbahnen. Eine gewagte Konstruktion. Denn so verläuft die Geschichte nicht, und so schließt sich kein Kreis.
Ich war kritisch. Doch ich sah die glücklichen Gesichter der Leute – der Sportler*innen aus 35 Ländern und des Publikums. Und so dachte ich am Ende: Die Zeit für eine politische, intellektuelle und ästhetische Neuorientierung des Judentums in Deutschland und Europa ist reif. Die Zeit für emotionale, ergreifende Momente und Erinnerungen (als die Makkabi-Veteranen der Kopenhagener Spiele 1959 durch die Arena marschierten) muss da sein. Mit etwas weniger unreflektiertem, ungefiltertem Nationalismus – mit mehr Wagnis: inszenatorisch, politisch und geschichtlich.
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