Europawahlrecht: Fünfprozentklausel verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat die Fünfprozentklausel bei Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Mandate für Kleinparteien gibt es aber erst 2014.

Verfassungswidrig: Die Fünfprozentklausel. Bild: klosko/photocase.com

Das Bundesverfassungsgericht hat die Fünfprozenthürde bei Europawahlen gekippt. Bei der nächsten Europawahl im Jahr 2014 können deshalb viel mehr deutsche Parteien Abgeordnete ins Europäische Parlament entsenden.

Bei der Europawahl gibt es kein EU-weit einheitliches Wahlrecht. Vielmehr legt jeder Staat das Verfahren fest. Für die Wahl der 99 deutschen Abgeordneten gilt eine Fünfprozentklausel. Dagegen hatten drei Wähler geklagt, unter ihnen der Staatsrechtler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. Sie machten geltend, dass bei der letzten Europawahl wegen der Sperrklausel die Stimmen von 2,8 Millionen Wählern nicht berücksichtigt wurden. Damit fielen bei der Mandatsverteilung insgesamt rund 10 Prozent der Stimmen unter den Tisch.

Laut Bundeswahlleiter hätten ohne Fünfprozenthürde neben den üblichen Parteien noch sieben weitere mindestens ein Mandat errungen: Freie Wähler (1,7 Prozent,) Republikaner (1,3), Tierschützer (1,1) Familienpartei (1,0), Piraten (0,9), Rentnerpartei (0,8) und ÖDP (0,5). Die NPD war nicht angetreten.

Die Verfassungsrichter erklärten nun, dass die Fünfprozenthürde bei Europawahlen gegen das Prinzip der Wahlgleichheit verstößt. Danach muss jede Stimme grundsätzlich den gleichen Zähl- und Erfolgswert haben. Mit einer Sperrklausel wird jedoch der Erfolgswert der Stimmen für kleine Parteien verhindert. Ein solcher Eingriff sei nur möglich, wenn andernfalls "mit einiger Wahrscheinlichkeit" die Funktionsfähigkeit des Parlaments beeinträchtigt wäre. Karlsruhe will hier auch streng prüfen, weil sonst die Gefahr bestehe, dass die großen Parteien sich das Wahlrecht nach eigenen Interessen zurechtschneidern.

Bei der Europawahl sieht das Verfassungsgericht keinen zwingenden Grund für eine deutsche Sperrklausel. Zwar wäre die Zahl der Parteien im Europäischen Parlament von 162 auf 169 gestiegen. Bisher hätten sich kleine Parteien jedoch fast immer den großen Fraktionen angeschlossen, so dass eine weitere Zersplitterung nicht zu befürchten sei. Derzeit gibt es sieben Fraktionen: Christ- und Sozialdemokraten, Liberale, Grüne, Linke, Konservative und Europagegner.

Die Europawahl muss trotz des festgestellten Wahlfehlers nicht wiederholt werden. Selbst die deutsche Mandatsverteilung bleibt unangetastet. Der Wahlfehler sei nämlich "nicht unerträglich", so die etwas willkürliche Begründung der Richter.

Die Entscheidung am Zweiten Senat des Verfassungsgerichts fiel mit fünf zu drei Richterstimmen, wobei nur die beiden konservativen Richter Udo di Fabio und Rudolf Mellinghoff das Urteil im Ergebnis ablehnten. Sie hätten dem Gesetzgeber mehr Gestaltungsspielraum beim Wahlgesetz eingeräumt.

Das Urteil hat zunächst keine Auswirkungen auf Bundestags- und Landtagswahlen. Die Fünfprozenthürde bei Bundestagswahlen könnte erst nach der Wahl 2013 im Zuge einer Wahlprüfungsbeschwerde angegriffen werden. (Az.: 2 BvC 4/10)

Comments

[prozent klausel]

In dem Zusammenhang wären die anderen Länder bitte zu nennen und wie das dort läuft.

Bei Europawahl würde ich festlegen, das es reicht, wenn genug für einen Abgeordneten zusammenkommen.

Auch müssten Stimmen weitergegeben werden können. D.h. wenn z.B. die Graue Panther Partei-Delegierten 60:40 beschlossen hatten, das die Stimmen an die Grünen und Piraten gehen, werden die Graue-Panther-Stimmen in diesem Stimmverhältnis auf Grüne bzw. Piraten draufgezählt.

Dann könnte man auch kleinere Parteien wählen und hätte einen (oder mehrere) !vorher! bekannte und auf dem Wahlschein sichtbare automatische Fallbacks in Petto. Ein Bürger sollte wissen, das er vertreten wird.

Wichtig für Berichte wie diesen wäre auch, das man weiss wie viele Stimmen man für einen Abgeordnetenposten braucht.

An Wahlen sieht man die Trägheit des Verfassungsgerichtes und jahrelanger Prozesse besonders gut. Eigentlich müssten die ihre Abgeordneten-Gehälter mit den "richtigen" Abgeordneten die den Posten hätten kriegen müssen teilen. Selbst wenn die Abgeordnetenstimmen beim "falschen" Abgeordneten verbleibt.

[KFR]

logischerweise müsste das auch für alle Wahlen "innerhalb" der Republick gelten, hier fallen ebenfalls alle Stimmen unter den Tisch ( ausser für Aufwands-entschädigung per Stimmenzahl ).

[Karl]

Falls die Argumentation wirklich so ist, wie im Artikel dargestellt, dann muss doch auch die Sperrklausel in Deutschland fallen, da sie genau den gleichen Effekt hat?

[S.Christow]

Mit der gleichen Begründung kann man die Speerklausel bei Bundes- und Landtagswahlen angreifen. Hat sich das BVerfG dazu geäußert?

[Enzo Aduro]

Da freuen sich aber FDP und CSU :-)

Letztere musste ja bundesweit 5% schaffen, was so 65% in Bayern entspricht. Etwas weniger wenn die Wahlbeteiligung in Bayern überdurchschnittlich ist.

Aber schon etwas seltsam das die Deutsche Delegation ans EU Parllament jetzt so ein bunter haufen wird. Aber im EU Parlament gibt es ja eh eine andere Arbeitsweise.

[gerd.]

Die bemängelte "Ungleichgewichtung der Wählerstimmen" dürfte für jegliche solcher Sperrklauseln zu diagnostizieren sein, wenn mein juristisches Laienverständnis die Basisinformationen des Artikels richtig deutet.

Sollte dies womöglich erfolgreiche Klagen nach sich ziehen können gegen die 5%-Hürde auf Landes- und Bundesebene? Dann würde für jeden der 598 Bundestagssitze ca. 0.167% der Stimmen benötigt. Das würde unter den sogenannten kleinen Partien viel Wirbel machen.