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Europawahl in Bremen„Die Grundausrichtung ändern“

Sofia Leonidakis hat eine „eigene Vision“ von Europa: Sie will mehr soziale Rechte, offene Grenzen und eine Ukraine-Politik, die des Friedensnobelpreises würdig ist.

Will ins EU-Parlament: Sofia Leonidakis (Die Linke) Bild: DiG/Trialon
Jean-Philipp Baeck
Interview von Jean-Philipp Baeck

taz: Frau Leonidakis, dass die EU „neoliberal, militaristisch und undemokratisch“ sei, sollte ganz vorn ins Europawahlprogramm der Linken. Was wollen Sie bloß in Brüssel?

Sofia Leonidakis: Ich will Europa verändern – nicht nur im Parlament. Ich will eine Schnittstelle sein, um Forderungen linker Bewegung ins Parlament zu tragen, Informationen herauszutragen und an bestimmten Stellen einzugreifen.

Sofia Leonidakis

29, hat Politikmanagement und "European and World Politics" in Bremen und Istanbul studiert. Seit 2008 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Bürgerschaftsfraktion der Linken, unter anderen zum Thema Migration, und engagiert sich auch privat für die Rechte von Flüchtlingen.

Wo wollen Sie eingreifen?

Etwa bei der Arbeitszeitrichtlinie, die gerade neu verhandelt wird. Da geht es unter anderem darum, ob Höchstarbeitszeiten von bis zu 78 Wochenstunden zulässig werden. Aber das Parlament selbst wird nicht stoppen können, dass die EU neoliberal, militaristisch und weitgehend undemokratisch ist.

Das würden Sie schon so sagen?

Ja. Das ist in den Grundverträgen der EU angelegt: die vier Grundfreiheiten sind vor allem Wirtschaftsfreiheiten.

Zahlreiche EU-Richtlinien – etwa zum Verbraucherschutz – beschränken die Wirtschaft.

Das sind meistens kosmetische Korrekturen. Die Grundausrichtung der EU aber würde sich nur ändern, wenn man den Wirtschaftsfreiheiten starke soziale Rechte entgegensetzte.

Die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung ist ein Ziel der EU.

Ja, auch die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität der Generationen, der Schutz der Kinderrechte sind in den Verträgen verankert.

Aber?

Das sind hehre Ziele, die längst nicht so differenziert ausformuliert wurden, wie etwa die Warenverkehrsfreiheit. Einen Schutz vor Armut und soziale Grundrechte, die es in vielen Mitgliedsländern nicht gibt, auf europäischer Ebene zu implementieren, würde die Legitimität der EU stärken.

Europawahl in Bremen

Am 25. Mai finden in Deutschland die achten Wahlen zum Europäischen Parlament statt.

Bei der letzten Europawahl lag die Wahlbeteiligung im Land Bremen bei 38,9 Prozent, fast fünf Prozent niedriger als im bundesweiten und im europäischen Mittel (43,3 beziehungsweise 43 Prozent). In Bremen erreichte die SPD 29,3, die CDU 24,5 Prozent. Auf die Grünen entfielen 22,1, auf die FDP 8,9 und auf die Linkspartei 7,2 Prozent. Von den übrigen Parteien erreichten nur die Piraten sowie die Rentner-Partei-Deutschland mehr als ein Prozent der Stimmen.

Gewählt werden in Deutschland 96 Abgeordnete, insgesamt hat das Europa-Parlament 751 Sitze. Derzeit ist Helga Trüpel von den Grünen einzige Bremerin im EU-Parlament.

Neben ihr können zwei weitere BremerInnen auf ein Mandat hoffen: Staatsrat a.D. Joachim Schuster auf Platz 21 der SPD-Liste sowie Sofia Leonidakis auf Platz 9 der Liste von Die Linke.

Nur theoretische Chancen haben Magnus Buhlert (FDP, Listenplatz 17) und Martina Pöser (Piraten, Listenplatz 9).

Komplett aussichtslos scheint die Kandidatur von Carl Kau (CDU), dessen Spitzenplatz auf der Bremer Landesliste einem Platz jenseits von 50 auf der virtuellen Bundesliste der Unionsparteien entspricht.

Ist es ein Problem, dass Sie als Abgeordnete auch Europa repräsentieren würden?

Die Frage ist, für welches Europa man eine Repräsentantin ist und da habe ich eine eigene Vision: die eines sozialen Europas.

Die Linke fordert, Europas Grenzen zu öffnen. Ist das realistisch?

Allein die Grenzen zu öffnen, funktioniert natürlich nicht. Das Dublin-System muss weg. Zur Zeit landen Geflüchtete in den Staaten an den EU-Außengrenzen und bleiben dort. Griechenland kann fundamentale Rechte wie Krankenbehandlung oder Versorgung mit Lebensmitteln nicht mehr gewährleisten. Das sehen auch die anderen EU-Staaten: Frontex und Abschiebeknäste sind deren Lösung – und das ist keine Lösung.

Aber es wird nach wie vor darauf gesetzt…

Eine hundertprozentige Abschottung funktioniert nicht. Es wird immer Migration geben, sie wird nur gefährlicher, wenn das Grenzregime aufrüstet. Wir brauchen die Möglichkeit, legal in die EU zu reisen.

Würde der Druck auf die Sozialsysteme nicht zunehmen?

Das ist eine berechtigte Befürchtung, wenn alles bleibt, wie es ist. Arbeitsverbote müssen abgeschafft und die Sozialsysteme auskömmlich und gerecht finanziert werden. Ein erster Schritt wäre, dass die EU nicht mehr aktiv in anderen Ländern die Lebensgrundlagen zerstört: Exportsubventionen für Lebensmittel sollten gestoppt und Waffenexporte verboten werden.

Welche Rolle spielt für Sie Bremen in Europa?

Keine gute: Bremen ist Rüstungshochburg. Mindestens fünf lokale Rüstungsunternehmen sind Europa und Global-Player – auch, was die Aufrüstung der Außengrenzen angeht, bei der Weltraum-Überwachung, dem Marissa-Verband, dem Copernicus-Programm…

dem EU-Programm für Beobachtungs-Satelliten…

… die Infrastruktur, auf die Frontex zurückgreift, wird auch in Bremen hergestellt.

Und die Bremer Arbeitsplätze?

Anstelle von Rüstungsgütern kann man auch für die zivile Schiff, Luft und Raumfahrt produzieren.

Als Halb-Griechin, die in Bremen lebt, haben Sie mit zwei maroden Haushalten zu tun. Verbinden Sie das?

Arbeitslosigkeit und Kinderarmut etwa sind Parallelen. Ich bin motiviert, die Systematik aufzuzeigen.

Welche?

In der EU steht Wettbewerb über allem. In seinem Namen werden überall Unternehmenssteuern gesenkt und Sozialleistungen gekürzt. In einem solchen Konkurrenzsystem gibt es immer Verlierer. Dass es Unterschiede zwischen den Regionen in Europa gibt, ist keine Neuigkeit. Dass die Bundesregierung ein europäisches Armutsbekämpfungsprogramm blockiert, ist daher völlig unverständlich.

Nationalisten beschweren sich, dass „wir“ für „die Pleite der Griechen“ zahlen müssten. Was entgegnen Sie denen?

Fakt ist: Nur sechs Prozent der Kredite sind in den griechischen Staatshaushalt geflossen, der Rest ging direkt an die Gläubiger – an Banken, Investmentfonds, darunter viele Institutionen aus Deutschland. Es ist nicht so, dass die Deutschen die Griechen gerettet haben. Es war eine Umverteilung von unten nach oben.

Die Krim-Krise ist europäisches Top-Thema. Sind Sie eine Putin-Versteherin?

Nicht wirklich. Aber: Bislang wurde der Zeigefinger immer auf Putin gerichtet und betont, dass er der Völkerrechtsbrecher und Aggressor ist.

Ist er das nicht?

Doch, aber auch die EU hat schon einseitige Abspaltungen, die nach dem Völkerrecht unzulässig sind, befürwortet, etwa beim Kosovo. Es wird also mit zweierlei Maß gemessen. Was aber noch schlimmer ist: Die EU hat kurzsichtig gehandelt und mit den Verhandlungen des Assoziierungsabkommens zur Spaltung der Ukraine beigetragen.

Soll die Ukraine nicht Teil der EU werden?

Die EU will sich gen Osten erweitern. Bei der Ukraine wurde dabei in Kauf genommen, dass faschistische Kräfte an Macht gewannen und nun Zugriff auf die Sicherheitskräfte haben und dass eine Kriseneskalation droht. Der Preis ist mir zu hoch.

Wie sollte die Politik der EU nun aussehen?

Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Man hätte Putin vorher einbinden müssen. Jetzt kann man nur noch deeskalieren und diplomatisch verhandeln – Sanktionen gehören nicht dazu. Ich finde, die EU muss sich den Friedensnobelpreis noch verdienen.

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