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Europareife Steinewerfer

Was die meisten Pressestimmen gerne verschweigen: Der letzte Aufstand um die Prager Rundfunkstation fand 1945 statt. Er war blutig und richtete sich gegen die deutschen Besatzer

Den Deutschen hätte es gut angestanden, ihre Massenmedien zu „besetzen“

von HELMUT HÖGE

Es gibt ein merkwürdiges Desinteresse der Medien im Westen an der Besetzung des Prager Fernsehsenders. Die New York Times, die einst über die CIA-Sender „Radio Liberty“ und „Free Europe“ auf zwölf „Korrespondenten“ allein aus Prag zurückgreifen konnte, schickte jetzt nicht einmal jemanden für eine Schnellrecherche dorthin, sondern begnügte sich mit Tickermeldungen. Le Monde diplomatique wollte von ihrem Berliner Autor Christian Semler nicht einmal einen Vor-Ort-Bericht über die Prager Ereignisse haben.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) fand ich in einem Artikel über die „Solidaritätsdemonstration auf dem Wenzelsplatz“ die Schlussbemerkung: Einmal mehr beweise ein solches Verhalten in und mit Öffentlichkeit, dass Tschechien weit weniger „europareif“ sei, als seine Politiker „uns“ immer glauben machen wollten.

Diese dummdreiste FAZ-Äußerung ist umso schlimmer, als es gerade den Deutschen gut angestanden hätte, das eine oder andere Mal ihre Massenmedien zu „besetzen“. Außer der Besetzung des Vorwärts während des „Spartakus-Aufstands“ und später der Besetzung der Roten Fahne durch die SA gab es meines Wissens nach dem Krieg nur noch die gescheiterte Blockade der Springer-Zeitungen.

Linke Besetzungen kamen ansonsten bisher nur in der taz vor, dort aber gleich 12 Mal – bis heute. Und gerade von der taz hat die FAZ in den letzten Jahren personell gehörig profitiert.

Hinzu kommt bei dieser ganzen altdeutschen Oberlehrerhaftigkeit, dass es beim „Prager Aufstand“, der am 5. Mai 1945 – also kurz vor der Kapitulation – stattfand, gerade gegen die Deutschen gegangen war, die dort noch 80.000 Soldaten (der Heeresgruppe Mitte), mehrere SS-Divisionen, zentrale Gestapo-Dienststellen und 40.000 Zivilisten „stationiert“ hatten. An der Westfront wurde nicht mehr gekämpft, und die Deutschen wollten sich zu den Amis an der tschechischen Grenze durchschlagen, wo sie auf neue, saubere Legenden inklusive Massenbeschneidungen hofften – um anschließend erneut gegen die Rote Armee kämpfen zu können, diesmal als „Europäer“ an der Seite der „Sieger“.

Der Prager Aufstand, bei dem noch einmal etliche tausend Tschechen ums Leben kamen, verhinderte diesen deutschen „Dritten Weg“.

Am 8. Mai erreichte die Rote Armee – in Eilmärschen aus Dresden kommend – Prag. Von Anfang an ging es bei dem Aufstand um die Einnahme der Rundfunkstation, dem heutigen Fernsehsender. Dort mussten die Aufständischen buchstäblich jede Etage und jedes Büro blutig von Deutschen befreien. Am 7. Mai gerieten draußen die Barrikadenkämpfer in die Defensive – und damit an den Rand der Niederlage – weil ein schlecht bewaffneter spontaner Aufstand gegen einen hochgerüsteten Gegner nur offensiv eine Chance hat, indem er die Verwirrung vergrößert, also die ordentlichen Befehlsketten zersetzt. Die Rundfunkstation konnte jedoch die ganze Zeit gehalten werden. Obwohl man auch dort in den Meldungen bald mit Befehlsketten-Problemen haderte. Der verspätete, kurzatmige Prager Aufstand zeugt davon, dass die Tschechen wie die Deutschen „Ruhe und Ordnung“ besonders schätzen, sagen die einen Historiker, während die Kommunisten, die den Aufstand vorbereiteten, darin gerade das besonders Heroische sahen – denn die Beteiligten hätten ja auch zu Hause bleiben und die drei Tage in Ruhe abwarten können. Stattdessen kämpften sie verbissen – einige junge Frauen sogar mit Küchenmessern – gegen die Deutschen, die schon mit den Amerikanern in der Stadt „verhandelten“ ... wie auch immer.

Das Unvollkommene des Prager Aufstands wird seitdem jedenfalls immer wieder zu „heilen“ versucht – 1968, 1989, dann noch mal bei der Trennung der Slowaken, wo selbst Václav Havel „versagte“. Und nun eben wieder bei der Besetzung des Fernsehsenders, wo Havel nicht versagte, sondern sich solidarisierte. Woraufhin ein tschechischer Politiker im In- und Ausland mit dem Satz zitiert wurde: So ein verbaler Steinewerfer dürfe aber nun wirklich nicht Präsident bleiben. Es ist also zum Steinerweichen – mit den modernen Massenmedien: darauf wollte ich noch einmal hinaus.

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